Tim Cook und sein Coming-Out: Die Worte des Apple-Chefs haben Signalwirkung
Apple-Chef Tim Cook hat sich zu seiner Homosexualität bekannt. In den USA ist das noch ungewöhnlich. Viele hoffen, dass sich jetzt die Gesellschaft verändert.
Zweitausendvierzehn ... Mag sich manch einer denken, wenn er mitbekommt, was derzeit in den USA los ist. Am vergangenen Donnerstag äußerte sich Tim Cook, der Konzernchef von Apple, erstmals öffentlich zu seiner Homosexualität. Ein Coming-out als „Breaking News“. Kaum eine US-Zeitung, die das Thema nicht auf die erste Seite hievte. Überall wird auf den längst fälligen Tabubruch hingewiesen und die historische Bedeutung betont.
„Cooks Bekanntmachung wird zahllose Leben retten“, hat zum Beispiel Chad Griffin, Präsident der Bürgerrechtsorganisation Human Rights Campaign, gesagt. Tim Teeman, leitender Redakteur des Online-Magazins „The Daily Beast“, bezeichnete Cooks Coming-out-Beitrag als ein „radikales Manifest“. Und Facebook-Chef Mark Zuckerberg lobte den 54-Jährigen als „mutigen und authentischen Anführer“.
Tim Cook hat seine Worte sehr bewusst gewählt
Tabubruch? Leben retten? Manifest? Im Jahr 2014? Der ist doch nur schwul. Was wie die Aneinanderreihung maßloser Übertreibungen klingt, ist jedoch in Wahrheit viel mehr eine notwendige Einordnung. Cook selbst zitierte in seinem Essay für die Zeitschrift "Businessweek" niemand Geringeren als Martin Luther King, der einst sagte: „Die bleibende und wichtigste Frage im Leben lautet: Was tust du für andere?“
Und was tut Tim Cook? Er macht Mut. Weil er sich der Tragweite dieses Schrittes am allerbewusstesten ist, sind seine Worte nicht zufällig gewählt. „Ich bin stolz darauf, schwul zu sein“, schreibt er in der Businessweek. Ein Satz, der in Deutschland doch sehr an Klaus Wowereit erinnert. Der verkündete, wenige Tage bevor er Regierender Bürgermeister in Berlin wurde, bei einem SPD-Sonderparteitag: „Ich bin schwul und das ist auch gut so.“ Ein Ausspruch, der ebenfalls für Furore sorgte und heute legendär ist. Nur: Das ist über 13 Jahre her.
"Die Toleranz gegenüber Homosexuellen wächst nur langsam"
Heute würde in Deutschland keiner auf die Idee kommen, das Coming-out eines wichtigen Vorstandsvorsitzenden als „bahnbrechend“ einzuordnen. Nun ist Tim Cook nicht einfach ein wichtiger Vorstandsvorsitzender. Er ist der Chef der meistvergötterten Firma der Welt. Und er lebt eben in den USA. „Nicht alle haben so viel Glück“, lobt er die Unternehmenskultur von Apple – und hält zugleich der Kultur anderer Unternehmen, ja seinem ganzen Heimatland einen Spiegel vor: „Weiß, männlich, verheiratet. Und die Frau kümmert sich zu Hause um die Kinder.“
Wenn man sich die Führungsetagen von US-Unternehmen anschaut, könnte man glauben, dass so die Einstellungskriterien für „ganz oben“ lauten. Vor allem die so fortschrittliche IT-Branche wirkt in der Hinsicht doch recht unfortschrittlich. Dabei liegen zwischen San Francisco und dem Silicon Valley doch nur 70 Kilometer.
„Die Toleranz gegenüber Homosexuellen wächst in diesem größtenteils noch konservativen und prüden Land nur sehr langsam. Die USA sind in der Hinsicht rückständig“, sagt Richard L. Zweigenhaft, Psychologie-Professor an der Guilford-Universität in North Carolina, dem Tagesspiegel. Er hat das Buch „Diversity in the Power Elite“ (Vielfalt in der Machtelite) geschrieben. Immerhin: „Ich könnte mir vorstellen, dass Chefs anderer Unternehmen sich durch Cook ermutigt fühlen und sich auch outen“, sagt Zweigenhaft.
Viele US-Amerikaner verheimlichen ihre sexuelle Orientierung
In 32 Bundesstaaten und der Hauptstadt Washington ist die Homo-Ehe mittlerweile legal. Viele Unternehmen brüsten sich mit Programmen zum sogenannten Diversity Management. Theoretisches Wohlwollen. Die Praxis? Laut einer Studie der Wirtschaftsprüfungsfirma Deloitte verstecken 83 Prozent der schwulen, lesbischen und bisexuellen US-Amerikaner mindestens teilweise ihre Identität bei der Arbeit. Den Partner zur Firmenfeier mitnehmen? Lieber nicht. Und ein Schwuler an der Spitze? Noch mal eine ganz andere Nummer.
Jennifer Brown ist Gründerin und Geschäftsführerin einer Agentur, die Unternehmen in Sachen Vielfalt und Gleichberechtigung berät. Sie sagt: „Unter den 1000 größten Unternehmen gibt es nur sehr wenige offiziell schwule Chefs. Es sind hauptsächlich heterosexuelle Männer.“ Cooks Coming-out sei auch aus einem anderen Grund wichtig – seine Homosexualität war jahrelang offenes Geheimnis. „Man hatte den Eindruck, dass er sich vor einem Outing fürchtet“, so Brown. Eine fatale Botschaft wäre das. Sie wurde nun korrigiert.
Auch auf die Apple-Aktie könnte Cooks Coming-out sich auswirken
Brown könnte sich vorstellen, dass die Nachricht sogar Auswirkungen auf den Unternehmenswert von Apple hat. Nur, in welche Richtung, das wisse sie noch nicht. „Die Aktie könnte steigen, weil die Marke in der liberalen Welt an Sympathie gewinnt“, sagt Brown. „Oder sie fällt, weil in vielen Ländern Homosexualität kein Grund zur Freude ist.“ So stellt sich die Frage, ob Apple zukünftig, wie in dieser Woche spekuliert, Produkte im Iran verkaufen wird. Ja, es gibt natürlich Länder, da würde man sich wünschen, dass das Coming-out einer öffentlichen Person für Schlagzeilen sorgt. Nur für Schlagzeilen.