Schwul im Beruf: "Viele Arbeitnehmer haben Angst"
Mehr als die Hälfte der schwulen und lesbischen Beschäftigten haben sich noch nicht geoutet, sagt Bernd Schachtsiek. Mit dem Tagesspiegel spricht der schwule Manager über Homosexualität in Unternehmen.
Herr Schachtsiek, Thomas Hitzlsperger hat sich in dieser Woche als erster deutscher Spitzenfußballer als schwul geoutet. Wie viele Homosexuelle wagen diesen Schritt in anderen Branchen?
Herr Hitzlsperger hat für sein Outing bewusst das Ende seiner Karriere abgewartet. In Deutschland gibt es sehr viele Arbeitnehmer, die im aktiven Berufsleben mit Blick auf ihre sexuelle Ausrichtung lieber die Füße stillhalten.
Haben Sie konkrete Zahlen?
Laut einer Untersuchung haben sich über 50 Prozent aller schwulen und lesbischen Arbeitnehmer in ihren Unternehmen noch nicht geoutet.
Warum?
Viele haben Angst, dass ein Outing am Arbeitsplatz womöglich Nachteile mit sich bringt. In Wahrheit ist das aber gar nicht so: Seit das Lebenspartnerschaftsgesetz im August 2001 in Kraft getreten ist, hat ein Bewusstseinswandel in der Bevölkerung stattgefunden. Sie geht offen mit dem Thema gleichgeschlechtliche Partnerschaft um. In der Wirtschaft ist das aber nicht immer so ...
Wo hakt es?
Es gibt sowohl in kleinen als auch großen Betrieben immer noch Homophobie, die auch öffentlich geäußert wird. Besonders konservative, männerdominierte und techniknahe Branchen gehen mit dem Thema Homosexualität sehr zurückhaltend um.
Gehen Großkonzerne und mittelständische Unternehmen unterschiedlich mit dem Thema um?
Ja. In Großbetrieben wird Diversität heute großgeschrieben. Homosexuelle Mitarbeiter gehören mittlerweile zum Alltag. Auch bei international tätigen Unternehmen spielt die richtige Mischung des Personals eine wichtige Rolle. Oft verkürzt sich die Förderung aber auf Frauen und Migranten. Deshalb fordern wir immer ein ganzheitliches Diversity Management.
Und beim Mittelstand?
Von offizieller Seite heißt es da oft: Wir haben mit Homosexualität kein Problem. In Wahrheit duckt sich besonders der deutsche Mittelstand immer noch davor weg. Man redet schlicht und ergreifend nicht darüber – mit dem Ergebnis, dass schwule oder lesbische Mitarbeiter in diesem wenig offensiven Klima lieber auf ein Outing verzichten.
Was schlagen Sie vor, damit sich dieses Klima ändert?
Wenn es um Homosexualität geht, denken die Leute immer gleich an das, was sich im Bett abspielt. Darum geht es aber gar nicht – es geht um die sexuelle Identität, um eine angstfreie Kommunikation untereinander im Betrieb. Da genügt es nicht, dass Unternehmer mit Blick auf die sexuelle Ausrichtung ihrer Mitarbeiter tolerant sind. Sie müssen im betrieblichen Alltag Respekt vor der Lebensrealität homosexueller Kollegen zeigen – etwa durch entsprechend neutral formulierte Betriebsvereinbarungen. Wir müssen dem Mittelstand klarmachen, dass sich mit einer homo-freundlichen Firmenpolitik vor allem bei der Akquise von Personal wirklich punkten lässt.
Wie ist die Lage bei Deutschlands schwulen Managern?
Viele Führungskräfte versuchen, ihr Privatleben aus der Öffentlichkeit herauszuhalten. Vor allem die älteren unter ihnen haben sich nicht geoutet, sondern jahrelang als heterosexuell getarnt. Für sie wird es immer schwieriger, mit der Wahrheit herauszurücken, weil sie einen Autoritätsverlust fürchten. Bei den jüngeren Führungskräften sieht die Sache anders aus. Sie gehen offener mit dem Thema um und machen aus ihrer Neigung keinen Hehl. Eines Tages werden sie ganz oben angelangt sein – auch, wenn es bis dahin vielleicht noch eine Generation dauert.
Das Gespräch führte Sarah Kramer
Bernd Schachtsiek, 63, hat BWL studiert und ist Volljurist. Seit 2008 ist er Vorstand beim Völklinger Kreis, dem Verband schwuler Führungskräfte. Er lebt mit seinem Partner in Berlin.