Rätsel der Produktivität: Die Wirtschaft wächst - wird aber kaum effizienter
Trotz Digitalisierung, Internet und Robotern wird die Wirtschaft nicht produktiver. Ökonomen sorgen sich deshalb bereits um den Wohlstand.
Es geht um Schnelligkeit, das sagt schon der Name. „Speedfactory“ nennt der Sportartikelhersteller Adidas seine neue Fabrik in Ansbach. Das Versprechen: Dort würden die Sportschuhe „schneller als je zuvor“ hergestellt. Haben die Mitarbeiter die Schuhe früher in Handarbeit gefertigt – erst in Deutschland, später in Asien –, übernehmen das nun Roboter. Adidas will dadurch effizienter werden, produktiver. Glaubt man Ökonomen, ist das gesamtwirtschaftlich auch dringend nötig. Während die einen um ihre Jobs bangen, weil Roboter menschliche Arbeit ersetzen, sagen Volkswirte: Wir bräuchten in Deutschland eigentlich noch viel mehr Speedfactories, also Fabriken, die in kürzerer Zeit mehr produzieren. Nur dann wächst die Produktivität. Nur dann steigt der Wohlstand für alle.
Nun mag man sagen: Deutschland geht es doch gut. Um 1,5 Prozent soll die Wirtschaft in diesem Jahr wachsen. Die deutschen Firmen konnten zuletzt so viele Waren ins Ausland verkaufen wie nie. Auch die Zahl der Beschäftigten ist auf einem Rekordhoch. Doch: All das reicht langfristig nicht, um den Lebensstandard zu halten. Um zu kompensieren, dass künftig weniger Arbeitnehmer für mehr Rentner aufkommen müssen.
Wenn die Zahl der Rentner steigt, muss Deutschland produktiver werden
Gerade der demografische Wandel macht deutlich, wie wichtig Produktivität für eine Gesellschaft ist. Wenn weniger Angestellte für mehr Pensionäre zahlen müssen, können sie das nur leisten, indem sie mehr arbeiten – oder produktiver werden. Wollen die Deutschen sich nicht schlechter stellen, müssen sie also in der gleichen Zeit mehr erreichen. „Ob ein Land seinen Lebensstandard über die Zeit verbessern kann, hängt fast vollständig davon ab, ob es gelingt, den Output pro Arbeitnehmer zu steigern“, schreibt der US-Ökonom Paul Krugman. Deshalb ist die Arbeitsproduktivität für Volkswirte ein so wichtiges Maß. Nur wenn sie zulegt – weil die Maschinen besser werden, weil die Menschen sich weiterbilden, weil sie neue Technologien entdecken – geht es langfristig allen besser.
Das Problem ist nur: In Deutschland nimmt die Arbeitsproduktivität kaum noch zu. Während sie von 1996 bis 2006 im Schnitt noch um 1,7 Prozent pro Jahr gestiegen ist, lag der Zuwachs zwischen 2006 und 2016 nur bei 0,7 Prozent. Der Sachverständigenrat macht sich deshalb Sorgen. Die Ökonomen halten „die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen“ und „den materiellen Wohlstand“ in Deutschland für gefährdet. Dabei steht die Bundesrepublik mit dem Problem nicht allein da: In fast allen Industrienationen ist die Arbeitsproduktivität seit den 1970er Jahren gesunken.
Das ist verwunderlich. Schließlich erleben wir einen technologischen Wandel. Mit dem Smartphone trägt heute fast jeder einen Minicomputer in der Tasche, Dienste wie Facebook oder Whatsapp vernetzen uns untereinander, Industriekonzerne setzen auf Roboter und Maschinen, die miteinander kommunizieren. All das sollte uns produktiver machen. Tut es aber nicht – zumindest nicht in dem Maße, wie man es vermuten würde.
Die Digitalisierung war bislang nicht weltbewegend genug
Einer, der versucht, dieses „Rätsel der Produktivität“ zu lösen, ist der US-Ökonom Robert Gordon. Er erklärt die Entwicklung so: Die jüngsten technologischen Innovationen sind einfach nicht so weltbewegend wie frühere Erfindungen – etwa wie die der Dampfmaschine, der Eisenbahn, des Telefons oder selbst der Toilettenspülung. Dank der Eisenbahn konnten Menschen Waren sehr viel schneller von A nach B bringen. Als die Toilettenspülung eingeführt wurde, floss der Unrat nicht mehr über die Straße, Menschen wurden weniger schnell krank und konnten mehr arbeiten. Entsprechend groß waren die Produktivitätssprünge, die diese Entdeckungen auslösten.
Glaubt man Gordon, war die letzte Erfindung mit einem solch enormen Umwälzungspotenzial die des Computers. PCs ersetzten in den Büros die Schreibmaschinen, Textprogramme wie Word machten die Arbeit leichter, schneller und damit produktiver. Doch das passierte bereits in den achtziger und neunziger Jahren. Neuere Innovationen wie Facebook, Uber oder YouTube haben die Produktivität dagegen laut Gordon kaum gesteigert. Selbst Tech-Experten sehen das ein. Investor Peter Thiel sagt in Anspielung auf den Kurznachrichtendienst Twitter: „Wir wollten fliegende Autos – bekommen haben wir 140 Zeichen.“
Andere sagen: Wir brauchen nur etwas Geduld
Gleichzeitig gibt es aber auch Ökonomen, die diesen Pessimismus für übertrieben halten. Barry Eichengreen von der University of California in Berkeley argumentiert, dass technischer Fortschritt Zeit braucht; dass sich Erfindungen nicht sofort positiv auf Produktivität und Wirtschaftswachstum auswirken – sondern erst nach Jahren, wenn sie massentauglich werden. So hat Thomas Edison zum Beispiel die Glühbirne bereits 1897 erfunden; die Welt verändert hat das aber erst, als ab den 1920er Jahren auch die Privathaushalte elektrisches Licht bekamen.
Folgt man dieser Argumentation, müssen wir nur noch etwas warten, bis sich Roboter nicht nur in der Industrie, sondern etwa auch im Dienstleistungssektor durchgesetzt haben. Bis der Roboter die Wohnung putzt, das Essen serviert und im Krankenhaus die Pillen austeilt. Erst dann steigt die Produktivität wieder stärker, erst dann bringt der technologische Wandel uns den entscheidenden Schritt voran. Dabei gehen Ökonomen stets davon aus, dass technologischer Fortschritt gut für die Gesellschaft ist. Dass durch ihn langfristig mehr neue Jobs entstehen, als etwa durch den Einsatz von Robotern verloren gehen. Für den Einzelnen, dessen Arbeitsplatz durch die Automatisierung wegfällt, ist die Entwicklung tragisch – gesamtwirtschaftlich gibt es jedoch keine Alternative.
Vor allem im Dienstleistungssektor ist die Produktivität gering
Zumal es noch andere Faktoren gibt, die die Produktivität und damit den langfristigen Erfolg der Wirtschaft einschränken. Einer ist der Strukturwandel. So entstehen seit Jahren neue Jobs vor allem im Dienstleistungssektor. In Deutschland steht der bereits für 70 Prozent der Wirtschaftsleistung. Doch ausgerechnet im Dienstleistungssektor wächst die Produktivität traditionell eher langsam. Führt eine Fabrik eine neue Maschine ein, können die Arbeiter dort plötzlich in derselben Zeit sehr viel mehr produzieren als vorher. Bei Dienstleistern funktioniert das weniger gut: Ein Friseur kann nicht auf einmal in derselben Zeit mehr Menschen die Haare schneiden, nur weil er eine neue Schere bekommt. Olaf Henkel, früherer Präsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI), hat das einmal zu der provokanten Aussage verleitet: Wir könnten doch nicht dauerhaft davon leben, uns gegenseitig die Haare zu schneiden.
Verstärkt wird die Entwicklung noch dadurch, dass im Dienstleistungssektor oft Geringqualifizierte angestellt werden. Sie übernehmen meist arbeitsintensive Jobs. Auch das senkt die Arbeitsproduktivität weiter – selbst wenn es gesellschaftlich ein Erfolg ist, mehr Menschen in den Arbeitsmarkt zu integrieren.
Auch die Industrie hat ein Problem mit der Produktivität
Dabei wäre es allerdings falsch zu glauben, nur der Dienstleistungssektor habe ein Problem mit der Produktivität. Selbst in der Industrie hat sich ihr Wachstum abgeschwächt. Ist die Arbeitsproduktivität der deutschen Industrie von 1995 bis 2005 noch im Schnitt um 3,1 Prozent jährlich gewachsen, sind die Zuwachsraten inzwischen nur noch halb so hoch. Die Ökonomen des Sachverständigenrats erklären das mit einer Strukturveränderung. So ist die Produktivität der Industrie Ende der neunziger Jahre deshalb so stark gestiegen, weil Firmen große Teile der Fertigung ins Ausland verlagert haben. Outgesourct wurden dabei vor allem solche Schritte, die besonders arbeitsintensiv und dadurch wenig produktiv sind. In Deutschland verblieben ist die Endmontage, durch die volkswirtschaftlich gesehen die höchste Wertschöpfung entsteht. Seit 2009 ist das Outsourcing laut Sachverständigenrat jedoch zum Ende gekommen – in der Folge hat sich das Wachstum der Produktivität abgeschwächt.
Dazu kommt noch, dass auch die Höhe der Löhne eine Rolle spielt. Einerseits können Firmen es sich nur leisten, ihre Angestellten besser zu bezahlen, wenn das Unternehmen produktiver wird. Andererseits haben Firmen aber nur wenig Anreize, überhaupt ihre Produktivität zu steigern, solange die Löhne gering sind. Denn sind viele Menschen bereit, für wenig Geld zu arbeiten, können die Firmen eine schwache Produktivität leicht ausgleichen, indem sie mehr Geringverdiener beschäftigen. Ein Dilemma – für die Wirtschaft wie für die Gesellschaft.
Es gibt viele Stellschrauben, an denen die Politik drehen könnte
Trotzdem lässt sich das Problem nicht einfach lösen, indem der Staat höhere Löhne verordnet. Zum einen kann er das überhaupt nur im begrenzten Umfang tun (etwa über den Mindestlohn). Zum anderen gibt es viele andere Stellschrauben für die Produktivität. So sieht der Sachverständigenrat im Dienstleistungssektor noch viele Marktbarrieren. Zum Beispiel könnte etwa der Wettbewerb unter Handwerkern steigen, wenn nicht in allen Gewerken ein Meisterbrief vorausgesetzt würde, um sich selbstständig zu machen.
Christine Lagarde, Chefin des Internationalen Währungsfonds, wünscht sich dagegen vor allem mehr Investitionen. Ginge es nach ihr, sollte es mehr staatliche Angebote für Weiterbildung und lebenslanges Lernen geben. Außerdem sollte mehr in Breitband-Ausbau, das Straßennetz, oder die Sanierung von Schulen investiert werden. Für Letzteres hat die Bundesregierung zwar schon mehr Gelder bereitgestellt – bislang rufen die Kommunen sie aber nur zögerlich ab. Auf dieses Problem haben erst kürzlich wieder die führenden Wirtschaftsforschungsinstitute hingewiesen. Das Dilemma: Investiert der Staat nicht, halten sich auch die Firmen mit Investitionen zurück. IWF-Chefin Lagarde hält das für fatal: „Wir brauchen mehr, nicht weniger Innovationen.“ Sonst kommt Deutschland und die Welt aus der Produktivitätsfalle nicht heraus. Da hilft dann auch eine Speedfactory wenig.
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