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Die Lira ist immer weniger wert.
© AFP

Währungskurs fällt auf Rekordtief: Die Türkei leidet unter der Lira-Schwäche

Der Kurs der Lira ist abgestürzt. Das liegt nicht nur an der Corona-Pandemie. Es hat auch politische Gründe.

Die Türkei ist in eine neue schwere Währungskrise geschlittert, die Einkommen schrumpfen lässt und die Regierung von Präsident Recep Tayyip Erdogan unter Druck setzt. Die Landeswährung Lira sackte am Freitag auf ein neues Rekordtief gegenüber Euro und Dollar ab und beschleunigte damit eine seit Monaten anhaltende Talfahrt. Ursache ist nicht nur die Corona-Pandemie, durch die der Türkei wichtige Einnahmen aus dem Tourismus verloren gehen. Die Politik der türkischen Regierung, die trotz hoher Inflation die Zinsen nicht erhöhen will, sowie die außenpolitischen Spannungen im östlichen Mittelmeer schwächen die Lira ebenfalls. Die Opposition fordert den Rücktritt von Finanzminister Berat Albayrak, einem Schwiegersohn von Erdogan.

Ein Euro kostete am Freitag zeitweise 8,71 Lira, für einen Dollar mussten vorübergehend 7,36 Lira gezahlt werden. Damit hat die Währung seit Jahresbeginn gegenüber dem Euro mehr als 25 Prozent und gegenüber dem Dollar fast 20 Prozent an Wert verloren. Später erholten sich die Kurse wieder. Erst vor zwei Jahren hatte ein türkischer Streit mit den USA schon einmal eine Währungskrise ausgelöst. Auch im Frühjahr ging die Lira in den Sinkflug, doch diesmal ist der Absturz noch tiefer. Die türkische Wirtschaft erlebe ein Tschernobyl, kommentierte die Zeitung „Karar“.

Das Geld ist weniger wert

Die Krise trifft Normalverbraucher schwer. Zu Beginn des Jahres war der monatliche Mindestlohn, der für Millionen Beschäftigte gilt, noch 350 Euro wert – heute sind es noch 267 Euro. „Die Wirtschaftskrise ist schlimmer als die Pandemie“, sagt ein Istanbuler Kleinunternehmer. Vor Ausbruch der Pandemie im Frühjahr hatte sich die Türkei gerade von einer Rezession erholt. Nun erwartet der Internationale Währungsfonds (IWF), dass die türkische Wirtschaft in diesem Jahr um fünf Prozent schrumpfen wird. Der Fremdenverkehr, der im vergangenen Jahr noch rund 30 Milliarden Euro in die Staatskasse spülte, fällt wegen der Coronakrise in diesem Jahr als Devisenbringer aus. Auch die türkischen Exporte gingen in den ersten sieben Monaten des Jahres im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um fast 14 Prozent zurück. Das Handelsbilanzdefizit wächst.

Die türkische Zentralbank und staatseigene Banken versuchten in den vergangenen Monaten, den Kursverfall der Lira mit einem milliardenschweren Stützungsprogramm aufzuhalten – vergeblich. Wegen der teuren Aktion schmolzen die Devisenreserven der türkischen Währungshüter dahin. Allein seit Jahresbeginn seien die Reserven um 30 Milliarden Dollar auf 51 Milliarden gesunken, meldete die Nachrichtenagentur Reuters. Schon in den kommenden Monaten könnte der Bank das Geld ausgehen, warnen einige Analysten. „Die plündern die Kasse“, sagte der Oppositionspolitiker Erdogan Toprak in der Zeitung „Sözcü“ über die Regierung.

Nimmt die Politik Einfluss auf die Zentralbank?

Politischer Druck auf die Zentralbank verschlimmert die Lage. Trotz einer Inflationsrate von fast zwölf Prozent hat die Zentralbank auf Weisung von Erdogan die Leitzinsen seit dem vergangenen Jahr von 24 auf 8,5 Prozent gesenkt. Diese negativen Realzinsen lasten ebenfalls auf der Lira. Normalerweise würde die Zentralbank jetzt die Zinsen erhöhen, doch Erdogan ist ein erklärter Gegner von Zinserhöhungen: Im vergangenen Jahr feuerte er den damaligen Zentralbankchef, weil der sich gegen Zinssenkungen stemmte. Auch ein Hilfsprogramm vom IWF lehnt Erdogan ab.

Präsident Tayyip Erdogan ist ein Gegner der Zinserhöhung.
Präsident Tayyip Erdogan ist ein Gegner der Zinserhöhung.
© REUTERS

Der Analyst Timothy Ash vom Vermögensverwalter BlueBay schrieb auf Twitter, die türkische Regierung wolle eine Zinserhöhung unbedingt vermeiden. Nach einem Bericht der Nachrichtenagentur Bloomberg gab es Anzeichen dafür, dass die Zentralbank zumindest vorübergehend auf eine weitere Stützung der Lira verzichtete. Das könnte einen weiteren Kursverfall beschleunigen.

Nach Berechnungen des regierungskritischen Wirtschaftsexperten Mustafa Sönmez haben ausländische Anleger innerhalb eines Jahres rund 13 Milliarden Dollar aus der Türkei abgezogen. Zum schwindenden Vertrauen vieler Investoren kommen außenpolitische Turbulenzen. Nach einer vorübergehenden Beruhigung eskaliert derzeit wieder der Streit zwischen der Türkei und ihren Nachbarn um Gasvorräte im östlichen Mittelmeer. Griechenland und Ägypten, zwei Gegner der Türkei in dem Konflikt, schlossen diese Woche ein Abkommen über die Abgrenzung ihrer Wirtschaftszonen im Mittelmeer, mit dem türkische Ansprüche in der Region zurückgewiesen wurden. Der Streit belastet die Beziehungen der Türkei zur EU, dem wichtigsten Handelspartner Ankaras.

Die Regierung weist die Verantwortung von sich

Dennoch sieht Erdogans Regierung keinen Grund für einen Kurswechsel. Alle Krisenszenarien würden ins Leere laufen, sagte Ömer Celik, Sprecher der Regierungspartei AKP. Wie schon bei den anderen Währungskrisen der vergangenen Jahre versuchen Erdogan-Anhänger, die Schuld an dem neuen Kursverfall der Lira dem Ausland in die Schuhe zu schieben, das den Aufstieg der Türkei zur Regionalmacht verhindern wolle. Der derzeitige „wirtschaftliche Angriff“ und der griechisch-ägyptische Vertrag dienten dem Ziel, die Türkei aus dem Mittelmeerraum zu vertreiben, schrieb Ibrahim Karagül, Chefredakteur der regierungsnahen Zeitung „Yeni Safak“.

Dass Finanzminister Albayrak die politische Verantwortung für die Krise übernimmt und zurücktritt, ist nicht zu erwarten. Allerdings könnte Erdogan wegen der Krise gezwungen werden, einer Zinserhöhung zuzustimmen. Ob dies die Lira dauerhaft stabilisieren würde, ist nicht sicher. Einen schlüssigen Plan zur Rettung der Lira hat die Regierung noch nicht vorgelegt.

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