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„Im öffentlichen Dienst fehlen derzeit rund 200 000 Arbeitskräfte“, sagt Ulrich Silberbach.
© Mike Wolff

Beamtenbund-Chef im Interview: „Die öffentlichen Kassen sind voll“

Ulrich Silberbach, Vorsitzender des Beamtenbunds, im Gespräch mit dem Tagesspiegel über Nachwuchsmangel, angemessene Einkommen und das Streikverbot für verbeamtete Lehrer.

Herr Silberbach, wie geht es dem deutschen Beamten?
In Prinzip gut – wenn er denn seine Arbeit machen könnte. Uns macht Sorgen, dass die Politik häufig nach dem Motto „rein in die Kartoffeln, raus aus den Kartoffeln“ agiert und uns dann ein schwieriges Feld hinterlässt.

Sie meinen die zähe Regierungsbildung?

Ja, auch. Wobei gerade die vergangenen Monate gezeigt haben, wie gut der öffentliche Dienst funktioniert. Mit der Stabilität unserer staatlichen Dienstleistungen liegen wir europaweit vorn, deswegen ist ja den Bürgerinnen und Bürgern auch nicht weiter aufgefallen, dass wir keine Regierung hatten.

Sie hätten gerne Jamaika gehabt.
Das ist richtig. Von Jamaika oder auch einer Minderheitsregierung hätte ich mir mehr Mut versprochen – auch bei der Bundeskanzlerin. Deutschland ist reif genug, um das zu wagen. Mit einem Strippenzieher wie Peter Altmaier im Kanzleramt hätte es funktionieren können, dass sich die Regierung für verschiedene Projekte unterschiedliche Mehrheiten im Parlament sucht.

Haben Sie keine Angst vor der FDP, die ja den schlanken Staat propagiert?
Privat vor Staat ist vorbei, das hat inzwischen auch Christian Lindner verstanden. Die alte FDP ist ja so vorgegangen: Erst mal rasieren und tüchtig Stellen abbauen im öffentlichen Dienst und dann anschließend die Aufgaben anpassen. Umgekehrt muss es sein, und das weiß auch Lindner. Mit der neuen FDP hätte man Jamaika wagen können.

Weil wir gerade eine neue Wertschätzung der öffentlichen Daseinsvorsorge erleben?
Die Bürger erwarten das. Ein guter, stabiler Staat hilft an allen Ecken und Enden. Und die Leute wissen, dass der öffentliche Dienst besser ist als sein Ruf, der uns hier und da noch immer anhängt.

Jedenfalls gab es viel Verständnis in der Bevölkerung, als in den vergangenen zwei Jahrzehnten die Bezüge der Beamten gekürzt und die Arbeitszeit verlängert wurden.
Vielleicht waren wir als Gewerkschaften auch zu staatshörig und haben uns zu verantwortlich gefühlt für das Gesamtsystem. Anders als etwa in den 1970er Jahren, als erhebliche Erhöhungen durchgesetzt wurden, waren unsere Tarifrunden eher moderat. Das ist vorbei, die öffentlichen Kassen sind voll, und die Beamten und Angestellten brauchen mehr Geld.

Der Beamtenbund müsse auch lauter werden, haben Sie vor einem halben Jahr nach Ihrer Wahl angekündigt. Passt das zum Selbstverständnis des dbb?
Wir brauchen Schwert und Florett in der öffentlichen Debatte, und ich kann mit beiden umgehen. Das wichtigste Thema in den nächsten Jahren ist der Strukturwandel im öffentlichen Dienst. Hier ist viel versäumt worden. Seit Jahrzehnten reden wir über die demografische Entwicklung, und was macht der Bund? Er schafft 500 neue Stellen im Jahr. Das reicht hinten und vorne nicht.

Wie viele müssten es sein?
Allein beim Bund ist rund ein Viertel des Personals abgebaut worden, die Lücken schließen Sie nicht mit 500 Leuten. Über alle Gebietskörperschaften hinweg fehlen derzeit rund 200 000 Arbeitskräfte, darunter allein 130 000 Erzieher. In Berlin schicken wir 90 Prozent der Kita-Kinder ohne Deutschkenntnisse in die Grundschule – das ist eine Bankrotterklärung des Staates.

Dabei gab es doch vor drei Jahren einen großen Arbeitskampf, an dessen Ende deutliche Einkommenserhöhungen für die Erzieherinnen und Erzieher standen.
Damals gab es bis zu 60 Euro mehr im Monat – das ist nicht das, was die Kolleginnen und Kollegen verdient haben. Die Diskussion, die von der neuen Familienministerin Giffey angestoßen wurde, dass nämlich Erzieher so bezahlt werden sollten wie Grundschullehrer, kommt ja nicht von ungefähr. Die Anforderungen an das Kita-Personal sind immer weiter gestiegen – im Übrigen auch von Seiten der Eltern. Ohne pädagogisches Studium ist das fast nicht zu bewältigen.

Und wenn es so viel Geld gibt wie in der Grundschule, ist das Kita-Problem gelöst?
Nein, die Ausbildung dauert drei bis fünf Jahre. Fachhochschulen und Universitäten können gar nicht so schnell liefern, wie wir das Personal brauchen. Und auf dem Arbeitsmarkt verschärft sich der Wettbewerb um die guten Leute.

In der Wirtschaft wird mehr verdient.
Ich nehme aber derzeit eine Diskussion wahr unter jungen Menschen, die für den öffentlichen Dienst spricht: Es gibt flexible Arbeitszeiten und sichere Arbeitsplätze. Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist im öffentlichen Dienst eher gewährleistet als in der Wirtschaft. Aber ganz klar: Die Politik muss den Wettbewerb um die Arbeitskräfte annehmen und mit uns gemeinsam den öffentlichen Dienst attraktiver machen. Dazu ist die aktuelle Tarifrunde da. Und die Kassen sind voll.

Die Kommunen haben 140 Milliarden Euro Schulden und einen Investitionsstau von 126 Milliarden Euro.
Wenn wir nicht die Lücken schließen, dann wird aus dem Investitionsstau ein Investitionsinfarkt, weil keine Leute mehr da sind, um die Investitionen zu planen und umzusetzen. Dann kommen wir in der Bildung nicht voran und kriegen auch unsere Infrastruktur und die Wirtschaft nicht modernisiert. Wir müssen auch finanzielle Anreize setzen.

Eine angehende Krankenschwester bekommt im zweiten Ausbildungsjahr 1102 Euro, das sind rund 130 Euro mehr als in Handwerksberufen gezahlt wird.
Ich behaupte ja auch nicht, dass die Azubis im öffentlichen Dienst heulend und zähneklappernd durch die Gegend laufen. Doch gerade in Pflegeberufen finden wir nicht die Leute, die wir brauchen. Es geht um die Wertschätzung in Politik und Gesellschaft insgesamt. Irgendwann ist auch der osteuropäische Arbeitsmarkt leer, und dann haben wir keine Pflegerinnen und Pfleger in der immer älter werdenden Gesellschaft.

In dieser Tarifrunde geht es fast nur um Geld, anders als kürzlich in der Metallindustrie, wo die Arbeitszeit eine große Rolle spielte, um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu verbessern. Ist das kein Thema für Sie?
Wir haben immer noch Nachholbedarf bei den Einkommen und konzentrieren uns deshalb darauf. Aber in einer der nächsten Tarifrunden werden wir über Arbeitszeitmodelle reden müssen, auch im Zusammenhang mit der Digitalisierung. Viele Bereiche im öffentlichen Dienst brauchen ebenso leistungsfähiges Internet wie die Unternehmen.

Glasfaserleitungen machen den Amtsschimmel flott?
Da wir auf dem Arbeitsmarkt nicht die erforderlichen Fachkräfte finden, müssen wir das vorhandene Personal weiterbilden, gerade auch mit Blick auf die Möglichkeiten der Digitalisierung. Doch das weite Feld der Qualifizierung und Weiterbildung ist im öffentlichen Dienst eine Trauerlandschaft. In den letzten 30 Jahren ist da nicht viel passiert. Die vorhandenen Menschen fit machen für die digitale Welt – das ist das dicke Brett der kommenden Jahre.

Das Bundesverfassungsgericht entscheidet in ein paar Monaten, ob verbeamtete Lehrer streiken dürfen. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte ist dafür. Was spricht dagegen?
Rund 600 000 der 800 000 Lehrerinnen und Lehrer hierzulande sind aus guten Gründen verbeamtet und dürfen nicht streiken. Die Menschen schätzen die Zuverlässigkeit des Staates, in dem die Schulpflicht immerhin Verfassungsrang hat. Daraus ergibt sich umgekehrt natürlich die Verpflichtung, Unterricht verlässlich zu garantieren.

Alle paar Jahre ein paar Tage schulfrei wegen eines Lehrerstreiks – das trifft die meisten Bürger weniger stark, als wenn die zum Beamtenbund gehörende Gewerkschaft der Lokführer das Land lahmlegt.
Das Verständnis von Müttern und Vätern für einen Arbeitskampf ist sehr begrenzt, beim Kita-Streik 2015 gab es Hunderte zum Teil sehr erboste Reaktionen. Wir haben in Deutschland eine Entscheidung getroffen für ein Berufsbeamtentum ohne Streikrecht. Die Sozialromantiker, die das abschaffen wollen, verstecken sich hinter Europa und haben hierzulande keine Mehrheit.

Welche Sozialromantiker?
SPD und DGB versuchen seit Jahrzehnten, das Berufsbeamtentum auszuhöhlen und am Ende ganz abzuschaffen. Das kann man in den Papieren nachlesen.

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