Elektromobilität und Ladeinfrastruktur: Die Last mit dem Laden
Multienergiezapfsäulen sind die Zukunft. Bis dahin bleibt es mühsam, seinen Stromer zu tanken.
Was war eher da, die Henne oder das Ei? Braucht die Elektromobilität mehr Ladepunkte, um zu wachsen? Oder muss es erst mehr E-Autos geben, damit die Infrastruktur ausgebaut wird?
Zu entschlossenen Vorgaben konnte sich die EU in ihrer neuen Gebäudeeffizienzrichtlinie jedenfalls nicht durchringen. Die kürzlich ausverhandelte, aber noch nicht beschlossene Richtlinie sieht vor, dass in neuen und umfassend renovierten Nicht-Wohngebäuden mit mehr als zehn Parkplätzen mindestens eine Lademöglichkeit für Elektroautos geschaffen werden soll. Bei mindestens einem von fünf Parkplätzen soll eine Vorverkabelung gezogen werden. Gebäude im Eigentum von kleinen und mittleren Unternehmen können aber von dieser Regelung ausgenommen werden.
Petter Haugneland, Sprecher der Norwegian Electric Vehicle Association, hat da ganz andere Ansprüche: „Richtig wäre, wenn in neuen Gebäuden jeder Stellplatz eine Lademöglichkeit hätte.“ So weit ist aber auch der Vorreiter Norwegen noch nicht. In Oslo muss aktuell einer von zwei Stellplätzen in neuen Gebäuden eine Lademöglichkeit haben, berichtet Haugneland. Die Verkabelung muss auf eine komplette Versorgung ausgerichtet sein. Das immerhin sieht die EU für Wohngebäude ebenfalls vor.
Solange der Gesetzgeber so wenig Ehrgeiz zeigt, bleibt eine großzügige Zahl von Ladepunkten in Mehrfamilienhäusern wohl die Ausnahme. So wie in einem Projekt des Bauträgers ProB in Berlin-Friedrichshain. Dort gibt es auf dem Dach eine Solaranlage, die Kabel reichen in alle 32 Stellplätze in der Tiefgarage.
Wer aktuell über den Kauf eines Elektroautos nachdenkt, scheint auch die „Betankung“ gleich mitzubedenken. Besitzer von Ein- und Zweifamilienhäusern jedenfalls, die sich ein Elektroauto kauften, zögen zu 91 Prozent auch die Installation einer Solaranlage in Betracht. Das ergab eine Umfrage des Beratungsunternehmens EuPD-Research. „Mit einer neu installierten Photovoltaikanlage auf dem eigenen Hausdach lässt sich Strom mittlerweile je nach Standort zu Kosten von etwa zehn bis elf Cent je Kilowattstunde günstig erzeugen und macht die Elektromobilität kostenseitig erst richtig interessant“, erläutert EuPD.
Wer kein Eigenheim besitzt, wird aber weiter auf öffentliche Ladesäulen angewiesen sein. Hier ist das Stromtanken weiterhin kompliziert und oft zu teuer. Das hat 2017 ein Ladesäulen-Check des Marktforschungsinstituts Statista im Auftrag des Ökostromanbieters Lichtblick ergeben. Die komplexen Tarifstrukturen seien für Verbraucher kaum zu durchschauen, lautet das Fazit des Vergleichs von elf Ladesäulenbetreibern. Bei acht von ihnen sei kein spontanes Laden ohne vorherige Anmeldung möglich. Berechnungsgrundlage waren jeweils die Kosten pro Kilowattstunde für 100 Kilometer. Betankt wurde ein Nissan Leaf mit einem Typ-1-Stecker. Die Tester berücksichtigten ausschließlich Tarife ohne Vertragsbindung.
„Beim Stromtanken an Ladesäulen gibt es zu viele Insellösungen“
Die meisten Ladesäulenbetreiber rechnen nicht nach Verbrauch ab, sondern nach Ladezeit, heißt es in der Auswertung. Umgerechnet auf den Preis pro Kilowattstunde ergeben sich daraus oft höhere Preise als für Haushaltsstrom. So kostet die Kilowattstunde Ladestrom beim größten deutschen Ladesäulenbetreiber Innogy 67 Cent. Beim Stromversorger EWE kostet die Kilowattstunde 53 Cent, bei den Stadtwerken München 47 Cent und bei Allego/The New Motion in Berlin 32 Cent. Diese Tarife sind deutlich teurer als Haushaltsstrom mit durchschnittlich 29 Cent je Kilowattstunde.
„Beim Stromtanken an Ladesäulen gibt es zu viele Insellösungen“, sagt Kurt Sigl, Präsident des Bundesverbandes Elektromobilität. „Es kann nicht sein, dass die Autofahrer mit verschiedenen Karten hantieren müssen.“ Gebraucht werde ein Roaming wie beim Handy, das verschiedene Karten akzeptiere und die Abrechnung transparent mache. Die Ladesäulenverordnung bringe in diesem Punkt nichts, weil sie nur die technischen Anforderungen für das Laden selbst regele.
Der Stromversorger Lichtblick schlägt vor, dass jeder Kunde seinen Haushaltsstromtarif an jeder öffentlichen Ladesäule tanken kann. „Das ist transparent und verbraucherfreundlich. Jeder Stromanbieter soll seine Tarife an jeder Ladesäule anbieten können.“
Während verbraucherfreundliche Rahmenbedingungen auf sich warten lassen, arbeitet die Forschung schon an technischen Lösungen für die Ladesäulen der Zukunft. Ganz groß denkt das Zentrum für Sonnenenergie- und Wasserstoff-Forschung Baden-Württemberg (ZSW). Mitte Februar begannen die Forschungsarbeiten an der Zapfsäule der Zukunft, an der Strom, Wasserstoff und Methan (Erdgas) getankt werden können. Das Projekt wird vom Wirtschaftsministerium mit rund 1,3 Millionen Euro gefördert und soll testen, wie ein ganzer Stadtteil vollständig mit erneuerbaren Energien versorgt werden kann.
Bislang werden Strom- und Wasserstofftankstellen massiv ausgebaut, auch solche, die beide Energieformen anbieten. Eine Tankstelle, die Strom, Wasserstoff und auch Methan liefert, gibt es bislang aber noch nicht. Aus der Multienergiezapfsäule soll erneuerbarer Strom, etwa aus Windkraftanlagen, über das Stromnetz direkt in die Batterie der Elektroautos geladen werden. Ist der Bedarf höher als das Angebot, soll eine angeschlossene Großbatterie einspringen, die zuvor bei einem Überangebot an Strom gefüllt wurde. Ist die Batterie voll und der Bedarf der tankenden Elektroautos gering, soll der Ökostrom in einem zweiten Schritt in Wasserstoff umgewandelt werden. Diesen Kraftstoff nutzen Brennstoffzellenfahrzeuge, die zwar auch einen Elektromotor haben, der aber von Strom aus einer Brennstoffzelle gespeist wird. Fällt mehr Wasserstoff an als gebraucht wird, kommt er in einen Speicher.
Die Tankstelle der Zukunft ist eigentlich eine kleine Fabrik
In einem dritten Schritt erzeugt die Tankstelle der Zukunft Methan. Das soll dann passieren, wenn der Wasserstoffspeicher voll ist und die Brennstoffzellenautos das Gas nicht abnehmen. Zur Umwandlung in Methan wird dem Wasserstoff Kohlendioxid zugeführt. Beide Gase reagieren an einem Katalysator zu Methan. Methan ist der Hauptbestandteil von Erdgas, Erdgasautos können den Kraftstoff problemlos nutzen. Ist mehr verfügbar als getankt wird, kommt das Methan in einen Speicher. Ist er voll, wird das Methan in das Erdgasnetz eingespeist. Diese Tankstelle der Zukunft ist also eigentlich eine kleine Fabrik, die gut in ein System mit sehr vielen erneuerbaren Energien passt.
Naheliegender ist das, was BMW, VW/Audi, Mercedes und Ford vorhaben. Seit die Autohersteller im November 2016 ihre Zusammenarbeit beim Thema Schnellladen angekündigt hatten, fielen sie mehr durch Ankündigungen auf als durch Taten. Aber jetzt wird es konkret: Das Joint Venture mit dem Kunstnamen Ionity in München hat nach Angaben der Gesellschafter mehr als 50 Mitarbeiter. Mitte April sollen an der A 61 (Raststätte Brohltal) und in Neuenkirch bei Luzern in der Schweiz die ersten Stationen eröffnet werden. Die nächsten zwanzig stünden an Autobahnen und anderen wichtigen Straßen vor allem in Deutschland, Österreich und Norwegen. Noch 2018 sollen es mehr als hundert Stationen sein, bis 2020 dann 400 in 18 Ländern.
Tank & Rast gehört zu den Kooperationspartnern von Ionity, ebenso wie Shell, die österreichische Tankstellenkette OMV und Circle K. Das letztgenannte Unternehmen ist eine Tochter des kanadischen Konzerns Couche-Tard. Die Europazentrale von Circle K liegt nicht zufällig in Norwegen. Innerhalb von Ionity wird Circle K für den Aufbau der Schnellladesäulen in Skandinavien, im Baltikum und in Irland zuständig sein. OMV übernimmt neben seinem Heimatland noch Slowenien, Tschechien und Ungarn.
Es ist geplant, dass 2020 alle 120 Kilometer eine Ladesäule steht, um den Kunden die Reichweitenangst zu nehmen. Wegen der enorm hohen Ladeleistung von bis zu 350 Kilowatt (kW) wird angestrebt, dass der Ladevorgang „nicht länger als eine Kaffeepause“ dauert, heißt es bei Ionity. Für eine Reichweite von rund 400 Kilometern benötigt ein kompatibles Auto dann nur rund zwölf Minuten Ladezeit.
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