IHK-Chefin Beatrice Kramm im Interview: „Die klassische Industrie wird durch Digitalisierung nicht überflüssig“
Beatrice Kramm, die seit Montag Präsidentin der Berliner Industrie- und Handelskammer ist, über ihren ersten Tag und ihre Pläne für die Berliner Wirtschaft
Frau Kramm, wie fühlt sich der erste Tag als Präsidentin an?
Am Montagabend habe ich eine Veränderung gespürt, einen signifikanten Unterschied in der Aufmerksamkeit, die auf meiner Person lag. Aber ansonsten hat sich nichts Grundlegendes verändert.
Sie sagten in Ihrer Antrittsrede, Sie würden in große Fußstapfen von Eric Schweitzer treten. Aber zum Glück seien Pumps und Herrenschuhe nicht zu vergleichen. Welche Sorge steckt dahinter?
Da schwingt keine Sorge mit. Ich glaube einfach, dass es schwierig ist, Menschen, die Positionen zu unterschiedlichen Zeiten übernehmen, miteinander zu vergleichen. Man wird es trotzdem tun. Aber ich möchte mir zunächst alles anschauen und werde dann eigene Akzente setzen. Ich habe den Satz aber auch gesagt, weil ich einen Lacher am Ende der Rede haben wollte.
Das ist Ihnen gelungen. Bei anderer Gelegenheit haben Sie erklärt, die Kammer müsse ansprechbarer für Ihre Mitglieder werden, vor allem auch für Kleinstunternehmen werden. Wie genau stellen Sie sich das vor?
Zentral ist, dass die IHK sichtbarer, und auch wahrnehmbar wichtiger für diese Unternehmer wird. Da gibt es mehrere Möglichkeiten: Eine ist die direkte Ansprache über digitale Medien. Auch müssen wir stärker bekannt machen, dass der Servicebereich der IHK extrem gut ist und jedem Gewerbetreibenden zur Verfügung steht.
Schwebt Ihnen eine Service-App oder Ähnliches vor?
Das will ich nicht ausschließen. Man muss weiterdenken – wobei Aufwand und Erfolgsaussichten zueinander passen müssen. Man sollte sich keiner Überlegung in den Weg stellen, die dazu beiträgt, dass die IHK bei ihren Mitgliedern noch angesehener wird. Wir haben durch Befragungen festgestellt, dass wir – sobald ein Unternehmer Kontakt mit unserer Kammer hatte – sehr gute Noten für Service und den Inhalt der Leistung bekommen.
In Ihrer Rede beim Festakt haben sie betont, dass Berlin sich nicht nur auf Industrie 4.0. konzentrieren solle. Auch Ansiedelung klassischer Industrie sei wichtig.
Klassische Industrie ist ja nicht überflüssig geworden durch die Digitalisierung. Letztere ist nur ein Teil der Industrie. Es wird besonders schwer sein, klassische Industrie in Berlin zu erhalten oder gar auszubauen. Das hat beispielsweise etwas mit Flächenbedarf und Umweltauflagen zu tun. Dennoch gilt auch da: Wir müssen in alle Richtungen schauen.
Als Unternehmerin kommen Sie aus der Kreativwirtschaft. Wie nah sind Ihnen die Metall- und Elektroindustrie, Pharma und Chemie?
Wo dort der Schuh drückt, erfährt man am besten, wenn man auf die Leute zugeht und sie fragt. Das habe ich vor. Und ich bin nicht allein. Es gibt motivierte und kompetente IHK-Mitarbeiter, deren Aufgabe es ist, am Puls der Mitglieder zu sein. Und das machen die gut. So bekomme ich auch schon viel mit. Doch egal ob aus der Kreativwirtschaft oder Metallindustrie - es mag Unterschiede bei den Produkten oder im Selbstverständnis geben: Am Ende gibt es aber viele Anliegen, die Unternehmer teilen.
Was ist aktuell größte Anliegen oder Problem der Berliner Wirtschaft?
Der Mangel an gut ausgebildeten Arbeitskräften, am Fachkräftenachwuchs.
Und wie sollte man das Problem angehen?
Wir müssen die Attraktivität der dualen Ausbildung stärken und sowohl in den Schulen dafür werben als auch an den Universitäten die Studienabbrecher überzeugen, wie viel ihnen dieses System bietet. Und wir müssen Flüchtlingen ein Angebot in der Stadt machen, sofern diese eine Bleibeperspektive haben. Dazu erarbeiten wir derzeit gemeinsam mit Politik und Verwaltung geregelte Prozesse – von der Kompetenzerhebung, über den Spracherwerb bis hin zur Integration in Arbeit und Ausbildung.
Am Sonntag wurde die AfD in drei Landtage gewählt. Was würde es bedeuten, wenn Berliner die Partei im September auch ins Abgeordnetenhaus bringen?
Ich finde es schade, dass es den Volksparteien nicht gelingt, der Bevölkerung die Sorge zu nehmen, die sie heute mit der Zuwanderung von so vielen Menschen verbindet. Berlins Ruf als besonders weltoffene und tolerante Stadt darf nicht beschädigt werden. Ich male keinen Teufel an die Wand – aber das Signal wäre sicher nicht schön.
In lokalen Wahlprogrammen fordert diese Partei drastische Steuersenkungen und Abbau von Sozialleistungen. Demoskopen behaupten, dass relativ viele Unternehmer und Freiberufler ihr Kreuz bei der AfD gemacht haben. Nachvollziehbar für Sie?
Ich glaube nicht, dass wirtschaftliche Erwägungen bei der Wahl der AfD eine Rolle gespielt haben.
Kommen wir zum Dauerbrenner BER. Was denken Sie: Am Eröffnungstermin Herbst 2017 festhalten, um Druck auf der Baustelle zu halten? Oder lieber einen neuen Termin ausrufen?
Die Verlässlichkeit eines Termins ist das oberste Gebot. Zugleich darf man den Termindruck nicht wegnehmen.
Eine salomonische Antwort.
Der nächste Termin muss stehen. Mehr kann und möchte ich dazu nicht sagen. Ich gehe davon aus, dass alle Beteiligten fieberhaft daran arbeiten, weil sie natürlich wissen, dass der BER nicht nur für die Wirtschaft der Stadt außerordentlich wichtig ist, sondern auch für das internationale Standing Berlins.
Das Interview führte Kevin P. Hoffmann