Mehr Raum für Frauen: Die Grünen fordern eine feministische Mobilitätspolitik
Bürgerinnen gehen eher zu Fuß und fahren seltener Auto. Sie sind auf anderen Wegen unterwegs als Männer. Braucht es ein Umdenken bei der Stadtplanung?
Aspern hat ein weibliches Gesicht. In dem neuen Quartier vor den Toren Wiens erinnert die Barbara-Prammer-Allee an die österreichische Nationalratspräsidentin, die Ilse-Buck-Straße ist nach der „Vorturnerin der Nation“ benannt, der Architektin Zaha Hadid wurde ein Platz gewidmet.
Damit unterscheidet sich das neue Stadtentwicklungsgebiet deutlich vom Rest der österreichischen Hauptstadt, in der 3750 Straßen nach Männern benannt sind. In der Bundesrepublik sieht es ähnlich aus. Laut einer Analyse kamen in Deutschland im Jahr 2015 auf einen weiblichen 14 männliche Straßennamen.
Die Namensgebung in Aspern kann durchaus symbolisch verstanden werden. In der Seestadt werden Frauen und ihre Bedürfnisse in den Blick genommen. Ein Ansatz, der bei der Stadtplanung in Wien seit 30 Jahren eine Rolle spielt, vorangetrieben von der Stadtplanerin Eva Kail. Ihr Ziel ist, „ein Viertel für alle“ zu gestalten, in dem unterschiedliche Mobilitätsbedürfnisse berücksichtigt werden.
„Stadtplanung im Allgemeinen und Verkehrsplanung im Besonderen war einfach ein Männerjob“, sagt Juliane Krause, die sich als Verkehrsplanerin seit rund 30 Jahren mit dem Thema beschäftigt und ein eigenes Beratungs- und Planungsbüro führt. Das sei einer der Gründe, warum die Belange von Frauen wenig berücksichtigt wurden. Ebenso die von Kindern sowie von wirtschaftlich schwachen und mobilitätseingeschränkten Menschen. Die meisten europäische Städte wurden von Männern für Männer geplant.
Kein Platz für Kinderwagen, aber vier Autospuren
Auf der Greifswalder Straße in Berlin sieht es zum Beispiel so aus: Vier Spuren, über die Autos, Lastwagen und Lieferwagen brettern, in der Mitte rollt die Tram stadtein- und -auswärts, beide Richtungen getrennt durch einen Grünstreifen, der vor allem als Hundeklo genutzt wird. Zwar gibt es seit der Coronapandemie Pop-up-Radwege, am rechten Straßenrand wird der Radverkehr wegen einer Baustelle allerdings über den Bürgersteig umgeleitet.
Die Mutter mit dem Kinderwagen versucht, sich an der Absperrung vorbeizuquetschen und dabei nicht mit anderen Fußgängern zu kollidieren. Der Radfahrer mit Anhänger muss in einem nicht ganz ungefährlichen Manöver die Bordsteinkante überwinden. Den Autofahrer wiederum stört das wenig, weil er sicher in seinem Fahrzeug sitzt.
„Der Weg vom eigenen Zuhause zur Arbeit und zurück, mit dem Auto oder dem ÖPNV, stand in den vergangenen Jahrzehnten in der Regel im Mittelpunkt der Stadtplaner“, sagt Juliane Krause. Studien zufolge sind genau das die Wege, die Männer überwiegend zurücklegen.
In Summe pendeln sie täglich wesentlich weitere Strecken als Frauen. Unbezahlte Arbeit und die dafür nötigen kurzen Wege wie der Einkauf im Supermarkt, das Abholen der Kinder von der Kita oder Schule, die in der Stadt häufig zu Fuß zurückgelegt werden, spielten kaum eine Rolle.
Autos werden von Männern gesteuert
Frauen gehen deutlich häufiger zu Fuß als Männer. Rund 24 Prozent ihrer Wege legen sie per pedes zurück, Männer dagegen nur 20 Prozent. Das zeigt eine Auswertung des Braunschweiger Verkehrsplanungsbüros Plan und Rat. Ihr liegt eine Studie im Auftrag des Bundesverkehrsministeriums zugrunde, die sich auf Zahlen von 2017 stützt.
Diese zeigt auch: Ein Großteil der Autos wird von Männern gesteuert. Für die Hälfte ihrer Wege setzen sich die Männer selbst hinter das Steuer, Frauen nur für 37 Prozent. Wenn Frauen Auto fahren, dann allerdings überwiegend als Beifahrerin oder auf dem Rücksitz.
Zwar besitzen Frauen unter 50 Jahren heute fast genauso häufig einen Führerschein wie ihre männlichen Altersgenossen. Mehr Autos sind in Deutschland nach wie vor allerdings auf Männer zugelassen, auch wenn der Anteil weiblicher Fahrzeughalter in den vergangenen zehn Jahren von 35 auf 38 Prozent gestiegen ist, wie der Branchenverband VDA jüngst mitteilte.
Die Grünen kritisieren das Dienstwagenprivileg
„Der Fokus auf das das männliche Mobilitätsverhalten lässt sich auch in der Politik beobachten“, sagt die Grünen-Bundestagsabgeordnete Lisa Badum im Gespräch mit Tagesspiegel Background. Die bisherige Verkehrspolitik sei „überwiegend auf den männlichen Norm-Arbeitnehmer ausgerichtet“ gewesen. Deshalb habe sich die Politik vor allem damit beschäftigt, wie Wege über weite Strecken beschleunigt werden könnten.
Ein Beispiel sei das Dienstwagenprivileg, von dem überwiegend Männer profitierten. Frauen fahren weitaus seltener einen Firmenwagen. Badum fordert deshalb die Abschmelzung von steuerrechtlichen Privilegien für spritfressende Dienstwagen. Das zahle auch auf die Klimaziele ein, sagt die Politikerin. „Eine feministische Mobilitätspolitik ist gleichzeitig auch eine klimafreundlichere“, so die Grünen-Politikerin.
Tatsächlich mischen sich Frauen zunehmend in die Mobilitätsdiskussion ein. Immer mehr Frauennetzwerke und -plattformen gründen sich, vor allem in Berlin. Das beobachtet auch Verkehrsplanerin Juliane Krause von Plan und Rat. Auch auf dem Arbeitsmarkt seien Frauen häufiger gefragt, berichtet sie.
Mitunter bekommt sie Anrufe von Behördenleitern in Städten und Kommunen, die sie um Empfehlungen für Kandidatinnen bitten. Als sich Krause selbst in den Neunzigerjahren um Stellen in leitender Funktion bewarb, sei das viel schwieriger gewesen und sie belächelt worden.
Barcelona und Paris drängen Autos zurück
Was entstehen kann, wenn Frauen und die weibliche Perspektive bei der Stadtplanung einbezogen werden, zeigt sich nicht nur am Beispiel Wien. In Barcelona sollen im bevölkerungsreichsten Stadtteil sogenannte Superblocks entstehen, riesige Fußgängerzonen, um die der Verkehr weitestgehend herumgeführt werden soll. Die katalanischen Hauptstadt hat in Ada Colau eine Bürgermeisterin.
Auch in Paris soll die Stadt radikal umgebaut werden. Bürgermeisterin Anne Hidalgo setzt auf einen radikalen Umbau der Stadt: Fußgänger und Radfahrer bekommen mehr Platz, das Ufer der Seine wurde für Autos gesperrt, Parkplätze werden abgeschafft. Im Jahr 2020 wurde Hidalgo wiedergewählt In Deutschland hingegen sitzt nur in neun Prozent aller Rathäuser eine Frau.