Sind die Lebensversicherungen noch zu retten?: Weniger Geld für Kunden, Aktionäre und Vertreter
Nach Plänen der Regierung soll bald der Garantiezins sinken und bei Schieflagen sollen Ausschüttungen an Aktionäre und Kunden gekürzt werden. Allerdings sollen Versicherte künftig weniger Provision zahlen. Was können die Verbraucher tun?
Die Europawahl hat Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) noch abgewartet, jetzt liegt das lang erwartete Maßnahmenpaket zur Rettung der deutschen Lebensversicherung auf dem Tisch. Es enthält bittere Pillen für alle: die Versicherer, die Aktionäre der Versicherungsunternehmen und die Kunden.
Wie am Dienstag aus Regierungskreisen bekannt wurde, soll der Garantiezins, der für die gesamte Vertragslaufzeit gilt, zum 1. Januar 2015 für Neuverträge von derzeit 1,75 auf dann 1,25 Prozent gesenkt werden. Ein Lebensversicherungsreformgesetz soll zudem sicherstellen, dass die Versicherer ihre Leistungsversprechen weiter einhalten können. Dazu müssen notfalls Aktionäre als auch Versicherungskunden, deren Vertrag endet, finanzielle Einbußen hinnehmen. Die Beteiligung der Kunden an den Bewertungsreserven von festverzinslichen Wertpapieren soll ganz oder teilweise gestrichen werden, wenn der Versicherer die Garantien seiner sonstigen Kunden nicht bedienen kann. Gleiches gilt für die Dividendenzahlung an die Aktionäre, die – je nach Schieflage des Unternehmens – ebenfalls ganz oder teilweise gekürzt werden kann. 2012 hatten die Versicherungsunternehmen insgesamt 800 Millionen Euro an Dividenden gezahlt.
Was Berlin verhindern will
„Kurz- und mittelfristig werden die Lebensversicherer ihre Leistungsversprechen erfüllen können“, betont Kathi Schulten von der Finanzaufsicht Bafin. Doch das könnte sich ändern, wenn die Niedrigzinsphase weiter anhält. Die Rendite öffentlicher Anleihen des Bundes ist im vergangenen Jahr auf durchschnittlich 1,6 Prozent gesunken. Zugleich müssen die Lebensversicherer ihren Kunden einen Garantiezins von durchschnittlich 3,2 Prozent zahlen. Eine Schieflage, die auch der Deutschen Bundesbank zu denken gibt. Bleibt es bei den niedrigen Zinsen, dürfte ein Drittel der Versicherer in den nächsten zehn Jahren Probleme bekommen, ihre aktuellen und zukünftigen Leistungsversprechen an die Kunden einzuhalten, warnt die Bundesbank.
Das will die Regierung verhindern. Ihr liegen vor allem die milliardenschweren Bewertungsreserven am Herzen. Diese entstehen dadurch, dass die Kurse der alten, hochverzinsten Wertpapiere, die in den Depots der Versicherungen schlummern, steigen. Diese Kursgewinne müssen per Gesetz zur Hälfte an die ausscheidenden Kunden ausgezahlt werden. Das Problem: Die Gewinne stehen nur auf dem Papier und verschwinden komplett, wenn die Anlage fällig wird.
Die Neuregelung würde das ändern. Auf Basis der Zahlen von 2012 würde die Reform nach Regierungsangaben pro Vertrag zu einer durchschnittliche Einbuße von 440 Euro führen. Im Einzelfall könnten es aber auch mehrere Tausend Euro sein, warnen Verbraucherschützer.
Was sollen die Verbraucher tun?
Noch im Juni soll das Kabinett entscheiden, das neue Gesetz soll möglichst schon im August in Kraft treten. Von der Neuregelung der Bewertungsreserven wären alle Verträge betroffen, die dann auslaufen. Die Regierung macht Druck. Obwohl der Referentenentwurf erst am Montag verschickt wurde, sollen die Verbände bereits bis zu diesem Freitag Stellung nehmen. Angesichts der komplexen und schwierigen Materie sei das „eine Frechheit“, sagte der Chef des Bundes der Versicherten, Axel Kleinlein, dem Tagesspiegel. „Hier soll offensichtlich im Windschatten der Fußball-WM ein wichtiges Gesetz durchgepeitscht werden“, kritisierte der Verbraucherschützer. Kleinlein sieht das Vorhaben „durchwachsen“. Zwar klinge der Ansatz nach einer vernünftigen Diskussionsgrundlage, der Entwurf enthalte aber auch bittere Pillen.
Das sieht die Versicherungswirtschaft auch so. Am Dienstag kündigte der Versicherungsverband GDV vorsorglich an, dass man keinesfalls alle im Entwurf vorgesehenen Folgeänderungen bis zum 1. Januar 2015 umsetzen könne - und eigentlich auch nicht wolle. "Eine generelle Ausschüttungssperre schießt völlig über das Ziel hinaus", sagte ein Sprecher dem Tagesspiegel. Sie schneide die Versicherungsunternehmen von den Kapitalmärkten ab. Auch die geplanten Regelungen zur Vertreterposition sieht man in der Branche kritisch. Eingriffe in die Bilanzierung der Vertriebs- und Abschlusskosten seien eine "einseitige Wettbewerbsverzerrung" zu Lasten der Versicherungswirtschaft. Und auch eine höhere Beteiligung der Kunden an den Risikogewinnen stößt in der Branche auf Ablehnung. Das schränke den Spielraum der Unternehmen ein, Reserven zu bilden und Ertragsschwankungen – etwa durch anhaltende Niedrigzinsen – für die Kunden auszugleichen.
Vor einem Jahr war die Regierung mit einer Reform gescheitert
Fragt sich, ob die Versicherer damit durchdringen. Denn eine Belastung auch der Aktionäre, der Versicherungen und der Vertreter ist ein wesentliches Element der Reform. Vor einem Jahr war die Regierung nämlich mit einer Lebensversicherungsreform an den Ländern gescheitert. Anders als damals, enthält das neue Maßnahmenpaket jetzt bewusst weitere Elemente. Um Kunden künftig stärker an Risikogewinnen zu beteiligen, soll der so genannte Mindestbeteiligungssatz von 75 auf 90 Prozent angehoben werden, 90 Prozent dieser Gewinne sollen künftig den Kunden zufließen. 2012 hatten diese Risikogewinne, die durch eine besonders vorsichtige Kalkulation der Versicherer entstehen, 800 Millionen Euro betragen. Zudem sollen Verbraucher künftig geringere Provisionen für die Versicherungsvertreter zahlen müssen. Im Verbraucherministerium kommt das gut an. Eine einseitige Belastung der Kunden lehnt Verbraucherminister Heiko Maas (SPD) ab, man habe stets auf eine sozialverträgliche Ausgestaltung gedrängt, heißt es dort.
Verbraucher stehen jetzt vor einer schwierigen Frage: kündigen oder nicht? Wer jetzt seinen Vertrag auflöst, kann noch auf eine ordentliche Finanzspritze aus den Bewertungsreserven hoffen. Dafür verzichtet man auf den Schlussüberschuss, den die Versicherungen nur treuen Kunden zahlen. Was tun? Das lässt sich nur im Einzelfall sagen, betont Verbraucherschützer Kleinlein. Kunden sollten sich daher von ihren Versicherungen ausrechnen lassen, wie hoch ihre Ansprüche jeweils wären. Allerdings: Wer einen Altvertrag mit 3,5 oder vier Prozent Garantiezins hat, der noch eine Weile läuft, sollte besser dabei bleiben.
- bbbbbb
- Brandenburg neu entdecken
- Charlottenburg-Wilmersdorf
- Content Management Systeme
- Das wird ein ganz heißes Eisen
- Deutscher Filmpreis
- Die schönsten Radtouren in Berlin und Brandenburg
- Diversity
- Friedrichshain-Kreuzberg
- Lichtenberg
- Nachhaltigkeit
- Neukölln
- Pankow
- Reinickendorf
- Schweden
- Spandau
- Steglitz-Zehlendorf
- Tempelhof-Schöneberg
- VERERBEN & STIFTEN 2022
- Zukunft der Mobilität