Kommt der Strafzins für Banken?: Die EZB ist unter Zugzwang
Kommende Woche könnte die Europäische Zentralbank bei ihrer Ratssitzung den Leitzins senken. Oder sogar einen Strafzins beschließen. Die Gefahr einer Deflation bleibt.
Berlin/Frankfurt am Main - So gesprächsfreudig waren die europäischen Notenbanker selten vor einer anstehenden Ratssitzung. EZB-Präsident Mario Draghi, Chefvolkswirt Peter Praet oder Bundesbanker Jens Weidmann: Sie alle haben derzeit etwas loszuwerden. „Wir werden uns nicht damit abfinden, dass die Inflation zu lange auf zu niedrigem Niveau bleibt“, sagt zum Beispiel Draghi. Experten sind deshalb überzeugt: Auf der Ratssitzung der Europäischen Zentralbank am kommenden Donnerstag werden Draghi und seine Kollegen sich auf neue Schritte in der Geldpolitik verständigen. Angedeutet hat sich das bereits Anfang Mai, nach der letzten Ratssitzung. Da hatte der EZB-Chef gesagt, man „fühle sich wohl damit, beim nächsten Mal zu handeln“.
Warum die EZB handeln will
Das Ziel der Notenbanker ist klar: Sie wollen der Wirtschaft in der Euro-Zone neuen Schwung verleihen und einer Deflation vorbeugen. Vor allem die Entwicklung der Preise bereitet Draghi derzeit Sorgen. Im April lag die Inflationsrate nur noch bei 0,7 Prozent – dabei hat die Notenbank als Ziel eine Inflation von zwei Prozent ausgegeben. Je niedriger die Rate ausfällt, desto größer ist die Gefahr einer Preis-Abwärtsspirale. Die kann für die Wirtschaftsentwicklung fatal sein. Gerade hat der US-Ökonom Paul Krugman erneut vor dieser „ökonomischen und politischen Falle“ gewarnt. Sinken die Preise, schieben Verbraucher und Unternehmen Käufe und Investitionen auf – in der Hoffnung, dass die Preise weiter fallen. Das würgt das Wirtschaftswachstum ab.
Deshalb gehen Experten davon aus, dass die Gefahr der Deflation die EZB zum Handeln zwingt. „Es ist unsere Verantwortung, die Risiken für dieses Szenario zu sehen und uns darauf vorzubereiten“, sagt Draghi. Er warnt: „Eine langanhaltende Periode niedriger Inflationsraten könnte die Inflationserwartungen aus dem Gleichgewicht bringen.“ Die Erfahrung zeige, dass das sehr schnell passieren könne, „vor allem wenn das Ziel der Geldpolitik nicht klar ist“. Dabei sei es wichtig, rechtzeitig zu handeln. Denn die Maßnahmen der Notenbanker wirkten mit Zeitverzögerung.
Wie sich die Zinsen entwickeln
Experten halten es deshalb für wahrscheinlich, dass die Währungshüter kommende Woche den Leitzins weiter senken – von derzeit 0,25 auf 0,1 Prozent. Von diesem Zins hängt ab, zu welchen Konditionen Banken sich Geld bei der EZB leihen können. Ist der Zins besonders niedrig, geben die Geldinstitute das an die Kunden weiter, die dann weniger für ihr Erspartes bekommen. Indem die EZB den Leitzins drückt, will sie die Banken dazu animieren, mehr Kredite an Unternehmen zu vergeben und so die Wirtschaft ankurbeln. Doch gerade in Deutschland ist das schwierig: Die Banken klagen bereits seit Längerem, dass sie gerne mehr Kredite vergeben würden – die Unternehmen sie aber schlichtweg nicht nachfragten. Deshalb glaubt Sparkassen-Präsident Georg Fahrenschon: „Von einer erneuten Leitzinssenkung wird kein Impuls auf die Realwirtschaft ausgehen.“
Der Sparkassen-Präsident kritisiert das Vorhaben der EZB. Schon jetzt werde den Menschen durch das historisch niedrige Zinsumfeld zunehmend ein realer Wohlstandsverzicht im Rentenalter abverlangt. „Die EZB darf sich nicht dem Verdacht aussetzen, aus politischen Gründen die Refinanzierungsbedingungen für überschuldete Staaten und Banken weiter erleichtern zu wollen“, sagt er. Otmar Lang, Chefvolkswirt der Targobank, sieht das ähnlich. Die lange Phase der Niedrigzinsen sei „gefährlich und ökonomisch nicht gerechtfertigt“, sagt er. „Die künstlich niedrigen Leitzinsen sind und bleiben Doping für die Finanzmärkte.“
Die Notenbanker kennen diese Kritik – halten aber dagegen. So zeigt EZB-Chefvolkswirt Praet zwar Verständnis für die Sparer, die über die niedrigen Zinsen klagen. Seiner Meinung nach müssten sie da jedoch durch. Nur so könne die Krise überwunden werden. Denn anders als in Deutschland schwächelt die Wirtschaft noch in vielen Euro-Ländern. Im ersten Quartal lag das Wachstum in der Euro-Zone im Vergleich zum vierten Quartal 2013 bei nur 0,2 Prozent – das ist weniger als die EZB erhofft hatte. Frankreich meldete Stagnation, Italien und die Niederlande sogar negative Raten.
Womit die EZB Banken abstrafen könnte
Neben einer Leitzinssenkung könnte die EZB kommende Woche deshalb erstmals einen negativen Einlagezins für die Banken beschließen. Institute, die in Zukunft Geld bei der EZB parken wollen, bekämen dafür dann keine Guthabenzinsen mehr sondern müssten stattdessen sogar einen Strafzins zahlen. Auch das soll die Banken dazu ermuntern, mehr Kredite an Unternehmer zu vergeben. „Je weiter die Erholung vorangeht, desto wichtiger ist es, dass Beschränkungen im Kreditangebot zurückgehen, damit die Konjunktur überhaupt wieder anziehen kann“, sagt Draghi. Rückendeckung bekommt er in dem Punkt von Bundesbanker Weidmann.
Volkswirte sind davon allerdings nicht vollends überzeugt. Manche fürchten gar, die Geldinstitute könnten künftig einfach Bargeld horten, statt es bei der Notenbank anzulegen. Außerdem könnten die Banken die Strafzinsen an ihre Kunden weitergeben. Dass das nicht unwahrscheinlich ist, zeigen die Erfahrungen, die Notenbanken in Dänemark und den USA gemacht haben. Während die dänischen Institute die Kredite verteuerten, drohten die amerikanischen Banken mit einer Anhebung der Kontogebühren, als die US-Zentralbank einen solchen Schritt plante.
Für die EZB wären Strafzinsen ein Novum. Dennoch deuten die Äußerungen mehrerer Notenbanker darauf hin, dass die EZB sie einsetzen könnte. Zuletzt hatte EZB-Direktoriumsmitglied Benoît Coeuré gesagt, negative Einlagenzinsen seien „eines der Instrumente, die uns zur Verfügung stehen.“