Weißbuch "Arbeiten 4.0": Die Experimente der Frau Nahles
Die Arbeitsministerin will den Acht-Stunden-Tag probeweise aufweichen, Weiterbildung ausbauen - und Auszeiten vom Beruf staatlich fördern.
Andrea Nahles dachte immer, die deutschen Unternehmen seien gut organisiert. Das machte doch immer ihren guten Ruf im Ausland aus: Das Durchgeplante, das Geordnete. Nachdem die Arbeitsministerin monatelang Betriebe besucht, mit Experten diskutiert und Stellungnahmen gelesen hatte, denkt sie nicht mehr so. „Die Strukturen sind hier viel zu starr und patriarchalisch“, sagte sie am Dienstag, als sie das Weißbuch Arbeiten 4.0 vorstellte und über die Führungskultur von morgen sprach.
Die SPD-Politikerin möchte Deutschland fit machen für die digitalen Umwälzungen dieser Zeit. 3D-Drucker seien keine „technischen Spinnereien mehr“, sondern Realität. Wovor sie warnt, sei die Prophezeiung vom Ende der Arbeit. Schon 1978 habe der „Spiegel“ getitelt „Die Computer-Revolution: Fortschritt macht arbeitslos“. Statt sich zu fürchten, sollten Politik, Unternehmen und Sozialpartner das, was geschieht, gestalten, und den Menschen erklären. „Wir haben die Chance auf einen Jahrhundert-Fortschritt, der allen nutzt“, meinte Nahles.
Weiterbildung wird enorm wichtig
Um in der Arbeitswelt, die immer technologischer werden wird, zu bestehen, ist ein „Recht auf Weiterbildung“ eines ihrer Ziele. Die Bundesagentur für Arbeit solle künftig auch Beschäftigte bei der Qualifizierung beraten. Wenn das Risiko in Zukunft zunehme, dass Wissen veralte und lebenslanges Lernen zur Notwendigkeit wird, müsse die Arbeitslosenversicherung zu einer Arbeitsversicherung werden.
Außerdem sollten Selbstständige eine Pflicht zur gesetzlichen Rentenversicherung erhalten. Digitalen Plattformen – Anbieter von Ferienwohnungen oder Fahrdiensten – werden immer mehr und mächtiger. Nur beschäftigen sie oft Solo-Selbstständige, die nicht sozial abgesichert sind.
Flexibleres Arbeiten wird ausprobiert
Ein anderes Schwerpunktthema ist die Flexibilisierung von Arbeit. Nahles schlägt ein „Wahlarbeitszeitgesetz“ vor, das den Beschäftigten mehr Optionen bei Arbeitszeit und -ort schaffen soll. In einer zweijährigen Probephase sollen Arbeitgeber und Arbeitnehmer, in großen und kleinen Unternehmen, verschiedene Alternativen zum Acht-Stunden-Tag vereinbaren und testen können. Möglich wären Pausen zur Kinderbetreuung, Homeoffice am Abend oder ein Arbeitsende jenseits der gesetzlichen Regelung. „Ich vertraue da auf die Frauen“, sagte sie. „Nicht nur hier sind sie die treibende Kraft.“
Für das Pilotprojekt will Nahles im Bundeskabinett eine Experimentierklausel verabschieden lassen. Zugleich macht Nahles klar: Ruhezeiten seien weiter nötig! Es werde nur immer „normaler“, die Arbeitszeit an bestimmte Lebensphasen anzupassen, sagte sie. „Arbeitszeiten differenzieren sich, das ist ein klarer Trend. Eine So-und-so-viel-Stunden-Woche für alle ist heute nicht mehr das Thema.“ Im Weißbuch ist auch von einem Recht auf Homeoffice die Rede. Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer hält die Modernisierung der Arbeitszeitordnung angesichts der digitalen Revolution für längst überfällig. Eine Reform des Arbeitszeitgesetzes sei im „Interesse der Unternehmen und hinsichtlich der Vereinbarkeit von Familie und Beruf auch der Arbeitnehmer“.
Nahes Alternative zum Grundeinkommen
Nahles befürwortet außerdem ein persönliches Erwerbstätigenkonto mit Startguthaben. Anstelle eines bedingungslosen Grundeinkommens, das seit längerem diskutiert und erprobt wird. Alle Bürger sollten beim Start ins Arbeitsleben ein persönliches Erwerbstätigenkonto mit Startguthaben erhalten. Damit sollten Lohnausfälle bei Weiterbildung, Existenzgründung, Teilzeitphasen oder Auszeiten kompensiert werden. Der Arbeitgeberpräsident widersprach auf der Bühne recht schnell. Nahles würde nicht sagen, wo das Geld für ein Erwerbstätigenkonto herkommen solle. „Es ist wichtig, dass sowas nicht die nächste Generation belastet“, sagte Kramer.
Aus Gewerkschaftssicht sagte DGB-Chef Reiner Hoffmann, Nahles setze mit ihrem Weißbuch die richtigen Prioritäten. Es komme aber darauf an, dass die Beschäftigten die Spielräume auch nutzen könnten. Ein „Arbeiten-4.0-Gesetz“, sagte Nahles noch, werde sie nicht vorlegen. Habe die Debatte der vergangenen Monate doch gezeigt, wie verschieden die Ansprüche und Bedürfnisse von morgen sind.
Marie Rövekamp