Deutsche-Bank-Ökonom Stefan Schneider: „Die Erholung verlangsamt sich“
Das zuletzt starke Wachstum im dritten Quartal darf man nicht überschätzen, warnt Deutsche-Bank-Ökonom Stefan Schneider. Eine Normalisierung sei das noch nicht.
Erst Mitte 2022 dürfte die Wirtschaft wieder das Vorkrisenniveau erreichen. Davon gehen die zwölf Top-Ökonomen aus, die zwei Mal im Jahr die Konjunkturprognose des Bankenverbands erstellen. Die Gruppe rechnet – ähnlich wie die Bundesregierung – für dieses Jahr mit einem Einbruch der deutschen Wirtschaft um bis zu sechs Prozent. Das geht aus ihrem Herbstgutachten hervor, das sie an diesem Mittwoch veröffentlichen und das dem Tagesspiegel vorab vorliegt. Geleitet wird das Gremium von Stefan Schneider, dem Chefvolkswirt für Deutschland bei der Deutschen Bank.
Herr Schneider, die Wirtschaft hat sich in den letzten Wochen kräftig erholt. Sie warnen allerdings davor, sich von den guten Zahlen blenden zu lassen. Warum?
Das zuletzt starke Wachstum ist eine Gegenbewegung zum zweiten Quartal, in dem der Einbruch extrem war. Von April bis Juni ist allein der private Verbrauch um elf Prozent abgestürzt. Das hat Friseure getroffen, Einzelhändler, die Tourismusbranche. Im Sommer ist die Nachfrage dann wieder angesprungen. Daraus darf man aber nicht schließen, dass jetzt alles wieder gut ist. Schließlich steigen die Neuinfektionen wieder. Und es ist unklar, wie es in der kälteren Jahreszeit weitergeht, wenn man sich nicht mehr so viel draußen aufhalten kann. Deshalb wäre es verfrüht, von einer Normalisierung zu sprechen.
Wird das Wachstum im vierten Quartal also wieder schwächer ausfallen?
Das ist zu vermuten. Allein schon, weil dieser Aufholeffekt, den wir zuletzt gesehen haben, ausläuft. Die Erholung wird sich deutlich verlangsamen. Statt wie im dritten Quartal um fünf bis sieben Prozent wird die Wirtschaft im vierten Quartal eher um zwei bis drei Prozent wachsen. Auch das ist immer noch mehr als zu normalen Zeiten, in denen man mit 0,25 bis 0,5 Prozent rechnet. Bis wir aber wieder auf dem Vorkrisenniveau angekommen sind, wird es dauern. Wir gehen davon aus, dass das erst 2022 der Fall sein wird.
Gleichzeitig fallen viele Prognosen für das gesamte Jahr nicht mehr ganz so düster aus wie noch im Frühjahr. Ihre auch?
Ja. Wir rechnen derzeit noch mit einem Minus von fünf bis sechs Prozent in 2020. Wissen muss man aber: Die Pandemie ist auch für uns Ökonomen Neuland. Und die Wirtschaftsentwicklung hängt eng mit den Infektionszahlen zusammen, die wir nur schwer vorhersehen können.
Bislang ist Deutschland besser durch die Krise gekommen als viele andere Länder. Woran liegt das?
Da haben sicherlich die Stützungsmaßnahmen der Regierung wie Kurzarbeitergeld und KfW-Kredite geholfen. Deutschland konnte diesbezüglich mehr tun als andere Länder, weil wir uns das leisten konnten – wir hatten zuvor fünf Jahre mit kräftigen Haushaltsüberschüssen. Gleichzeitig haben wir die Krise bislang halbwegs effizient gemanagt. Dabei haben wir zum Beispiel von unseren regionalen Gesundheitsämtern profitiert. Außerdem hat sich die Bevölkerung früh ans Social Distancing gehalten: Schon vor den Kontaktbeschränkungen sind viele zuhause geblieben.
Halten Sie es vor diesem Hintergrund für richtig, dass die Bundesregierung die Bezugsdauer für das Kurzarbeitergeld auf bis zu 24 Monate ausgeweitet hat?
Als Ökonom schlagen da zwei Herzen in meiner Brust. Kurzfristig ist das sicherlich sinnvoll, damit Unternehmen ihre Mitarbeiter nicht sofort entlassen müssen. Gleichzeitig besteht aber die Gefahr, dass der Staat dadurch Unternehmen am Leben hält, die es auch ohne Corona nicht geschafft hätten. Dass das problematisch ist, wissen wir aus der Vergangenheit: Nach der deutschen Wiedervereinigung haben sich viele Treuhandunternehmen auch dank Kurzarbeit über Wasser gehalten und so den Strukturwandel behindert. Durch Kurzarbeit entsteht also ein falsches Gefühl von Sicherheit – übrigens auch bei den Arbeitnehmern. Sinnvoller wäre es gewesen, die Kurzarbeit nur für Unternehmen zu verlängern, die besonders unter den Folgen der Pandemie leiden. Zum Beispiel im Tourismus oder in der Veranstaltungsbranche.
Die Befürchtung, dass Unternehmen künstlich am Leben gehalten werden, gibt es auch beim Insolvenz-Moratorium. Überschuldete Firmen müssen derzeit nicht sofort Insolvenz anmelden. Entstehen also Zombiefirmen?
Ja, das ist eine berechtigte Sorge. Ablesen können Sie das allein schon daran, dass die Zahl der Insolvenzen in der Coronakrise nicht nur konstant geblieben, sondern gefallen ist. Das lässt vermuten, dass sich da das eine oder andere Unternehmen durchmogelt. Gleichzeitig werden auch durch diese Regelung Strukturanpassungen verhindert. So dürften zum Beispiel derzeit einige Hotels künstlich am Leben gehalten werden. Ob wir langfristig aber noch so viele Hotels brauchen, ist fraglich. Wenn nach Corona weiterhin Videokonferenzen viele Geschäftsreisen ersetzen, haben manche Hotels keine gute Perspektive.
Während die Wirtschaft noch mit den Folgen der Krise kämpft, hat die EU-Kommission die Klimaziele verschärft. Ist das zum jetzigen Zeitpunkt so sinnvoll?
Einerseits werden dadurch jetzt Investitionen in Zukunftstechnologien getätigt, die angesichts der Unsicherheit sonst eher aufgeschoben worden wären. Gleichzeitig müssen sie aber Patente und Produktionsanlagen, etwa für den klassischen Verbrennungsmotor, abschreiben. Das ist kontraproduktiv. Auch rate ich bei den durch diese Investitionen von der Politik versprochenen Produktivitätsgewinnen zur Vorsicht. Was bei solchen Berechnungen allerdings meist nicht einfließt, sind die langfristigen Kosten des Klimawandels. Wenn man die berücksichtigt, kann eine solche Politik natürlich sinnvoll sein.
Um die wirtschaftliche Erholung zu beschleunigen, stellt die EU Milliarden über ein Recovery Program zur Verfügung. Davon könnte einiges auch in grüne Projekte fließen. Hilft das?
Ich persönlich bin da eher skeptisch. Natürlich werden viele Länder nun versuchen, das Geld zielgerichtet für Zukunftsfelder wie Nachhaltigkeit und Bildung einzusetzen. Es besteht aber die Gefahr, dass Maßnahmen einfach einen grünen oder nachhaltigen Anstrich bekommen.
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