Coronakrise in Europa: Das sind die Gründe, warum Deutschland derzeit so viel besser dasteht
Die Corona-Regeln in Frankreich und Spanien sind teils strenger – trotzdem steigen die Zahlen im Vergleich zu Deutschland drastisch an. Woran liegt das?
Es hätte so schön sein können: Nach dem Ende der Ausgangsbeschränkungen begann die Reisezeit. Auf nach Mallorca oder an die Côte d'Azur. Doch dann sprach die Bundesregierung eine Reisewarnung nach der anderen aus.
Vor allem für Regionen in Spanien und Frankreich – in Spanien gilt sie mittlerweile für das ganze Land. Die Corona-Neuinfektionen schnellten in beiden Ländern in die Höhe. Auch in Deutschland steigt zwar die Zahl der neuen Fälle, dennoch scheint es deutlich besser zu laufen als in Frankreich und Spanien. Wie kann das sein?
Christian Drosten schaut aufmerksam auf die Entwicklung in anderen EU-Ländern. In Deutschland müsse man sich klarmachen, „dass wir, wenn wir die Kurven übereinanderlegen, etwas hinterherhinken hinter Spanien und Frankreich und England“, erklärt Drosten, Leiter der Virologie an der Charité.
Er betont, „dass wir uns aber auch nicht vormachen sollten, dass sich das bei uns alles ganz anders entwickelt. Wir machen auch jetzt nicht sehr viele Sachen sehr anders“.
10.000 und mehr neue Infektionen pro Tag in Spanien
„Es gibt ein paar Details, die vielleicht bei uns anders sind als in Südeuropa. Unsere Haushalte sind häufig kleiner, wir haben mehr Einpersonenhaushalte“, sagt Drosten. Es gebe weniger Mehr-Generationen-Familien, in denen das Virus über die Altersgrenzen sehr leicht verbreitet werde.
„Das sind sicher Unterschiede. Aber ansonsten ist Deutschland nicht viel anders als diese europäischen Nachbarländer. Darum müssen wir da sehr vorsichtig sein und sehr genau beobachten, wie es jetzt weitergeht.“
Seit Wochen rätseln und diskutieren die Spanier: Warum sind das Land und vor allem seine Hauptstadt Madrid nach dem erfolgreichen Kampf gegen Corona inzwischen wieder zu Epizentren der Pandemie in Europa geworden? Einschließlich nachgemeldeter Fälle gibt es seit Wochen jeden Tag landesweit 10.000 und auch mehr Neuinfektionen.
Dabei gelten Vorsichtsmaßnahmen, die so drastisch sind wie kaum sonst wo in Europa. Etwa die strenge Maskenpflicht auch im Freien, die praktisch von allen eingehalten wird. „Verweigerer“ sieht man kaum.
Warum also? Die Behörden haben einige Antworten parat, die die Malaise zum Teil erklären. Es werde viel mehr getestet, deshalb gebe es auch mehr positive Ergebnisse, heißt es. Hinzu komme eine größere Mobilität als zum Ende der Ausgangsbeschränkungen.
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Mehr Tests, mehr Freiheiten - das gilt aber auch für andere Länder. Anders ist dagegen: die Fiesta. Die kontaktfreudigen und partywütigen Spanier seien vor allem bei Privattreffen sowie bei dem Besuch von Bars, Restaurants und Nachtlokalen „nachlässiger“ geworden, meinten viele Expertinnen und Experten und auch Ministerpräsident Pedro Sánchez übereinstimmend.
„Unsere sozialen Bräuche und Gewohnheiten spielen bei der Ausbreitung des Virus eine entscheidende Rolle“, schrieb auch die Zeitung „La Vanguardia“.
Zu viel Fiesta, zu wenig Siesta
Zu viel Fiesta, zu wenig Siesta, meint auch der angesehene spanische Genforscher Salvador Macip von der Universität Leicester in England. Vor allem im Sommer seien die Spanier mehr als andere Menschen einfach darauf programmiert, zusammenzukommen und „viel zu sozialisieren“.
Aber auch die Behörden in Spanien haben Fehler gemacht. So litt das System zur Nachverfolgung der Infektionsketten lange unter Personalmangel. Neue Einschränkungen der Bewegungsfreiheit wurden in Hotspots oft zu spät beschlossen.
In Frankreich schaut man etwas irritiert nach Deutschland, wo es schon wieder so viel besser zu laufen scheint. Im westlichen Nachbarland hat die Zahl der täglichen Corona-Neuinfektionen wie in Spanien bereits die 10.000er-Marke geknackt. Zum Vergleich: In Deutschland erreichte die Zahl Mitte September zwar ihren Höchststand seit April, lag aber mit gut 2000 aber noch deutlich unter den Werten anderer EU-Länder.
In Städten wie Marseille, Bordeaux oder Paris ist die Lage besonders ernst. Allerdings testet auch Frankreich deutlich mehr als noch im Frühjahr. Die Zahl der Corona-Toten steigt nicht massiv an, die Auslastung der Krankenhäuser wird zwar mit Sorge betrachtet - ist aber insgesamt zumindest landesweit noch auf einem recht niedrigen Niveau. Im Süden werden aber die Intensivbetten knapp.
Der Mediziner und frühere Gesundheitsdirektor William Dab kritisierte im „Journal de Dimanche“, dass Premier Jean Castex zuletzt keine wirklich starken Maßnahmen angekündigt habe, sondern nur Anpassungen.
Castex wolle das Leben mit dem Virus und dem Wirtschafts- und Schulleben aussöhnen. Die Strategie Frankreichs ist immer noch nicht klar definiert - hatte man im Frühjahr noch eindeutig auf den zentralisierten Staat gesetzt und dieselben strengen Ausgangsbeschränkungen für alle verhängt, nimmt die Regierung jetzt die Regionen in die Pflicht.
Junge Franzosen feiern zu viel
So verkündeten die Behörden in Bordeaux und Marseille nach Aufforderung der Regierung zuletzt strengere Maßnahmen - konkret sind das etwa Einschränkungen beim Alkoholkonsum auf öffentlichen Plätzen. Nizza und Lyon sind als nächstes gefordert.
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Generell sind die Regeln auch in Frankreich teils strenger als in Deutschland - so gilt in vielen Städten ähnlich wie in Spanien eine Maskenpflicht im Freien. Außerdem ist die Maske bei der Arbeit Pflicht. Doch es läuft auch einiges deutlich laxer.
Frankreich testet Reiserückkehrer weniger umfangreich als Deutschland - eine Quarantäne- und Testpflicht gilt nur für einige ausgewählte Länder. Auch bei der Nachverfolgung hapert es.
Die Corona-Tracking-App „StopCovid“ ist - das muss man so deutlich sagen - ein Flop. Sie wurde mehr als zwei Millionen Mal runtergeladen und hat weniger als 200 Mal angeschlagen, was sogar von offizieller Seite als „lächerlich“ bezeichnet wird. In Restaurants und Bars gibt es keine Formulare, um Kontaktfälle zu identifizieren.
Ähnlich wie in Spanien infizieren sich vor allem Jüngere mit dem Virus. Auch hier geht man davon aus, dass zu viel gefeiert wird. In den französischen Medien merkt man außerdem an, dass der Mindestabstand in Frankreich bei einem Meter liegt - nicht wie in Deutschland bei 1,50 Meter. Und zur Begrüßung gehören eigentlich die Bises - also Küsschen - dazu. Auch wenn sich die Französinnen und Franzosen bemühen: Das berühmte Küsschen wegzulassen, fällt schwer. (dpa)
Julia Naue, Emilio Rappold, Gisela Gross