Fahrverbote in Berlin: Die Bundesregierung hat eine Mogelpackung geschnürt
In Berlin drohen Fahrverbote für Dieselautos. Die Bundesregierung hat auf den Betrug der Konzerne nicht angemessen reagiert, kritisiert die Verkehrssenatorin. Ein Gastbeitrag.
Der Dieselskandal steuert auch in Berlin auf einen neuen Höhepunkt zu. Am Dienstag entscheidet das Berliner Verwaltungsgericht, ob für die Einhaltung der Stickoxid-Grenzwerte Fahrverbote verhängt werden müssen.
Zwei wichtige Fragen stellten sich im Vorfeld: Schafft es die Bundesregierung noch vor dem Gerichtsurteil, Hardware-Nachrüstungen durchzusetzen und so Fahrverbote überflüssig zu machen und muss die Autoindustrie für den von ihr angerichteten Schaden geradestehen? Leider ist die Antwort zweimal Nein.
Der Dieselskandal ist ein doppelter Betrug. Leidtragende sind die Anwohnerinnen und Anwohner an den vielbefahrenen Straßen. Verbraucher haben Autos erworben, die die Abgasstandards aufgrund betrügerischer Machenschaften der Automobilindustrie verfehlen. Betrogen wurden außerdem die für die Luftqualität zuständigen Kommunen und Bundesländer. Sie hatten sich bei ihren Luftreinhalteplänen auf das korrekte Einhalten der Abgasstandards verlassen.
Der Diesel-Skandal bringt die Bundesländer deswegen in die schwierige Situation, den Gesundheitsschutz durchzusetzen, ohne den Verbraucherschutz aufzugeben. Die Gesundheit ist für alle Menschen das höchste Gut. Aber die politisch Verantwortlichen müssen auch die Menschen im Blick behalten, die noch auf das Auto angewiesen sind, zum Beispiel, weil sie zu ihrem Arbeitsplatz fahren müssen.
Statt das Problem an der Wurzel zu packen, hat die Bundesregierung eine Mogelpackung geschnürt. Es wurden von rund 70 betroffenen Städten 14 so genannte Intensivstädte definiert. Die Entscheidung darüber orientiert sich an der willkürlich gesetzten Schwelle von 50 statt dem europäischen Grenzwert von 40 Mikrogramm pro Kubikmeter. Demnach gehört Berlin scheinbar nicht zum Kreis der besonders betroffenen Städte, weil hier die Belastung an den wenigen automatischen Messstationen nur bei maximal 49 Mikrogramm/Kubikmeter liegt. Tatsächlich werden aber mit weiteren Verfahren bis zu 63 Mikrogramm pro Kubikmeter gemessen.
"Keine Garantie, dass die Neuwagen sauber sind"
Zwar soll es Hardware-Nachrüstungen geben, aber nur auf freiwilliger Basis. Darüber hinaus sollen in den Städten und den sie umgebenden Landkreisen die betroffenen Autobesitzer einen Rabatt beim Pkw-Neukauf erhalten. Das verursacht schnell Kosten von 20.000 Euro und mehr. Das ist unsozial, weil sich das viele nicht leisten können. Zudem ist es unökologisch, weil ältere Diesel nachgerüstet werden können statt sie zu verschrotten oder ins Ausland zu verkaufen. Zudem ist nicht garantiert, dass auch die Neuwagen wirklich sauber sind. Außerdem können Handwerker in den ausgewählten Städten ihre Fahrzeuge umrüsten - größtenteils auf Kosten der Steuerzahler und unter Missachtung des Verursacherprinzips.
Weil das Paket Berlin und mehr als 50 weiteren Städten nichts anbietet, spielt die Bundesregierung den Ball erneut den Gerichten und den Kommunen zu, in Berlin dem Senat. Die Berliner Linie gilt unverändert: Unser Ziel ist, die Grenzwerte einzuhalten und Fahrverbote nur als letzte Option zu verhängen.
"Wir prüfen Ausnahmeregelungen für Handwerker"
Deshalb haben wir seit Regierungsantritt systematisch Maßnahmen zur Luftverbesserung auf den Weg gebracht. Jede für sich führt zu geringen Reduzierungen von Stickoxidbelastungen, in der Summe machen sie einen Unterschied. Dazu gehören die Umrüstung der BVG-Busse und der Landesflotte mit moderner Technik und der Startschuss für E-Busse im ÖPNV. Darüber hinaus wurde an kritischen Straßen mit Tempo 30 der Verkehr verstetigt. Das Software-Update bei Diesel-Pkw wird die Lage weiter verbessern. Langfristig wird der Ausbau der Fahrradinfrastruktur und des ÖPNVs die Zahl der Autos verringern und die Luftgüte steigern.
An vielen Straßen konnten wir so die Belastung unter den Grenzwert drücken. Jeder Schritt in Richtung sauberer Luft ist ein Gewinn für die Lebensqualität in der Stadt. Vollständig gelöst ist das Problem aber nicht.
Wir prüfen darüber hinaus an den hochbelasteten Straßen, welche Auswirkungen streckenbezogene Fahrverbote auf die umliegenden Straßen hätten, welche Ausnahmeregelungen beispielsweise für Handwerker gefunden werden müssten und welche Diesel-Modelle betroffen wären.
Es ist möglich, dass uns das Gericht am Dienstag Fahrverbote auferlegt. Darauf sind wir vorbereitet. Die genaue Ausgestaltung wird der Berliner Senat beschließen.
Zur Autorin: Regine Günther ist Senatorin für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz in Berlin (parteilos). Zuvor leitete Frau Günther das Referat Klima- und Energie des WWF Deutschland.
Regine Günther