Umtausch oder Nachrüstung: Was Dieselfahrer gegen Fahrverbote tun können
Ein neues Auto kaufen, den alten Diesel nachrüsten - und wer zahlt? Das Diesel-Konzept der Bundesregierung lässt noch viele Fragen unbeantwortet.
Am Tag drei nach dem „Diesel- Kompromiss“ der Bundesregierung wird gerechnet. Autofahrer, die einen älteren Diesel haben und in einer besonders abgasbelasteten Stadt leben oder arbeiten, könenn nun wählen: Sie kaufen ein neues Auto – unterstützt von „Umtauschprämien“ des Händlers – oder sie lassen ihren Euro5-Diesel nachrüsten. Tun sie beides nicht, laufen sie Gefahr, bei Fahrverboten nicht mehr in die gesperrten Innenstädte fahren zu können.
Wer kann Prämien oder Hardware-Nachrüstungen in Anspruch nehmen?
Umtauschaktion und Pkw-Nachrüstung sind zunächst beschränkt auf Autofahrer, die in 14 Städten leben und/oder arbeiten, die bei der Stickoxidbelastung einen Jahresmittelwert von mehr als 50 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft aufweisen. Das sind: München, Stuttgart, Köln, Reutlingen, Düren, Hamburg, Limburg an der Lahn, Düsseldorf, Kiel, Heilbronn, Backnang, Darmstadt, Bochum und Ludwigsburg. Weitere Städte, in denen Fahrverbote verhängt werden könnten – in Berlin entscheidet kommende Woche das Verwaltungsgericht – könnten folgen.
Einbezogen werden auch Pendler aus „angrenzenden Landkreisen und außerhalb dieser Gebiete wohnhafte Fahrzeughalter“, so das Konzept der Regierung. Voraussetzung: Sie müssen ein Beschäftigungsverhältnis, einen Firmensitz oder zum Beispiel einen „Härtefall“, etwa pflegebedürftige Angehörige, in der betreffenden Stadt nachweisen.
Für welche Fahrzeuge gibt es eine Umtauschprämie?
Nicht nur Euro4- und Euro5-Diesel werden in Zahlung genommen, sondern – bei einigen Herstellern – auch ältere Fahrzeuge. Auch muss der Kunde nicht unbedingt ein Neufahrzeug nehmen, Gebrauchtwagen, die nicht von möglichen Fahrverboten betroffen sind, können auch gekauft werden. Abzuwarten bleibt, ob die Unternehmen nur in den 14 bislang definierten Intensivstädten und -regionen Prämien anbieten. Dann gingen zum Beispiel Autofahrer aus Berlin und Brandenburg noch leer aus.
Ob sich der Neukauf lohnt, hängt vom Alter des Wagens ab, der abgegeben werden soll. Gerade bei jüngeren, drei bis vier Jahre alten Euro5-Fahrzeugen dürfte sich ein „Umtausch“ finanziell nicht lohnen. Denn der Wertverlust, der nach dem Willen der Bundesregierung eigentlich über die Prämien ausgeglichen werden sollte, ist meist deutlich größer.
Schöner Effekt für die Autohersteller: Rabatte werden das Geschäft ankurbeln, das zuletzt im September bei Neuwagen wegen der Umstellung auf das neue Abgasmessverfahren WLTP eingebrochen ist. Das Problem: Viele Neuwagen, die den neuen WLTP-Standard haben, sind noch gar nicht verfügbar. Das gilt auch für viele Dieselmodelle, die die jüngste Euro6d-temp-Norm haben. Nur diese Motorengeneration gilt auf der Straße als tatsächlich sauber. Der Verbraucherzentralen weisen darauf hin, dass Verbraucher nur dann vor Fahrverboten sicher sind, wenn sie einen Diesel der 6d-temp- Norm, einen Benziner ab Euro 4, oder ein Gas- oder Elektroauto kaufen.
Welche Prämien werden schon angeboten?
Kaum ein Autohersteller wird sich entziehen können: Kaufprämien werden alle in den kommenden Tagen und Wochen anbieten, in variabler Höhe. So, wie schon einmal im vergangenen Jahr, als die Händler etwa 200000 Dieselfahrzeuge mit einer speziellen Abwrackprämie verkauft haben. Bei Volkswagen etwa liegt die aktuelle Prämie für den Umtausch eines Euro-4-Diesel im Schnitt bei 4000 Euro und für Euro-5-Diesel bei 5000 Euro. Außerdem verspricht der Konzern attraktive Finanzierungsangebote für den Kauf eines „modernen“ Autos aus dem Konzern. Auch Daimler nimmt alte Euro 4 und Euro 5 in Zahlung. Wenn Kunden sich für einen neuen Mercedes entscheiden, erhalten sie bis zu 10000 Euro Umtauschprämie. Für junge Gebrauchtwagen gibt es bis zu 5000 Euro. BMW wiederum bietet allen, die bereits einen Wagen des Konzerns mit Euro 4 oder Euro 5 fahren, im Tausch für das Altfahrzeug pauschal 6000 beim Kauf eines Neuwagens. Beim Kauf eines jungen Gebrauchtwagens bietet BMW noch 4500 Euro. Renault hat eine Prämie von bis zu 10000 Euro je nach Modell für Neufahrzeuge angekündigt.
Ob die Hersteller den „Umweltbonus“, der seit 2016 beim Kauf eines Elektroautos gezahlt wird (4000 Euro für vollelektrische, 3000 Euro für Plug-in-Hybrid- Modelle) verrechnen oder zusätzlich anbieten, liegt im Ermessen des Autobauers. Käufer sollten in jedem Fall nachrechnen, ob die Prämien über die ohnehin üppigen Rabatte im Handel hinausgehen.
Für wen bietet sich eine Hardware-Umrüstung an – und wer zahlt und haftet?
Hier bleibt das Regierungs-Konzept am schwammigsten. Zum einen, weil sich bislang kein Hersteller zu 100 Prozent beteiligen will. Zum anderen, weil der politische Kompromiss noch rechtliche Fragen aufwirft. Prinzipiell können sich alle Euro5-Diesel-Fahrer in den 14 „Intensivstädten“ für die Nachrüstung mit einem SCR-Katalysator mit Harnstoff-Einspritzung entscheiden. „Verfügbar und geeignet“ müsse das neue Bauteil aber sein, schränkt der Bund ein, der zumindest die „genehmigungsrechtlichen Voraussetzungen“ dafür schaffen will. So soll quasi ein neuer NOx-Grenzwert für Euro5-Diesel geschaffen werden, mit denen man künftig in die Innenstädte fahren darf. Diese Fahrzeuge (inklusive nicht umbaubarer Euro4-Diesel) müssen nicht wie bislang weniger als 180 Milligramm NOx pro Kilometer ausstoßen, sondern weniger als 270 Milligramm. Damit trägt man dem Umstand Rechnung, dass selbst ein Umbau aus einem älteren Euro5- keinen vollwertigen modernen Euro5- oder gar Euro6-Diesel macht. Bei Verbrauch, Leistung und der Harnstoffnachfüllung müssen Kunden mit Einschränkungen nach dem Umbau rechnen.
Offen ist, wie lange die Genehmigung und Zertifizierung der Umrüstsätze dauert. Die Rede ist von mindestens einem Jahr – inzwischen dürften weitere Fahrverbote erlassen werden. Unklar ist auch, wer nach der Umrüstung haftet. Die Autobauer weigern sich, die Regierung verweist auf die gesetzliche Gewährleistungspflicht der Nachrüster. Die Anbieter Baumot (Twintec), Oberland Mangold und HJS haben eine Haftung zugesagt. Verbraucherschützern ist das zu vage. Sie fordern, dass die Werkstatt vier Jahre Garantie auf die Katalysatoren und den fachgerechten Einbau gibt.
Doch welche Hersteller machen mit und übernehmen die Kosten? Volkswagen und Daimler sind prinzipiell bereit, wollen aber nicht voll zahlen. BMW und Opel lehnen Umrüstungen komplett ab, ebenso ausländische Hersteller. Die von der Regierung erhoffte „Möglichkeit 2“ zur Vermeidung von Fahrverboten könnte also noch an der Industrie noch scheitern. Oder die Diesel-Fahrer bleiben auf den Kosten von im Schnitt 3000 Euro pro Umrüstung sitzen.
Wen fördert der Staat?
Eine Förderung hat die Regierung bislang nur für Kommunen und für Handwerker und Lieferdienste angekündigt – in 65 Städten. Kommunen können schwere Fahrzeuge (über 3,5 Tonnen) wie Müll- oder Reinigungsfahrzeuge mit SCR-Katalysatoren umrüsten lassen. 80 Prozent der Kosten übernimmt der Bund, 28000 Fahrzeuge könnten umgerüstet werden. Darüber hinaus wird die Nachrüstung gewerblicher Fahrzeuge (2,8 bis 7,5 Tonnen) zu 80 Prozent gefördert. Voraussetzung: Der Firmensitz muss in der Stadt oder im angrenzenden Landkreis sein oder der Gewerbetreibende muss „nennenswerte Aufträge“ in der Stadt haben. Offen sind hier die Definitionsfragen (Umkreis und Aufträge) und, wichtiger, die Frage, ob die Autohersteller die verbleibenden 20 Prozent der Umbaukosten übernehmen. Auch ist noch unklar, wie unbürokratisch die Nachweise erbracht werden können.
Wer kontrolliert die Maßnahmen?
Eine Blaue Plakette für alle „sauberen“ Autos soll es nicht geben. Stattdessen will der Bund sicherstellen, dass die „Verkehrsüberwachungsbehörden auf die Daten des Zentralen Fahrzeugregisters zugreifen können“. Wie praktikabel das im Alltag ist und welche datenschutzrechtlichen Fragen sich stellen, ist offen.
Henrik Mortsiefer