Nach Weidmanns Abschied: Die Bundesbank könnte vor einer Kehrtwende stehen
Die Frage, wie locker die Geldpolitik sein darf, dürfte die Koalitionsgespräche bestimmen. Und die Suche nach einer neuen Chefin der Bundesbank.
Zunächst lobte Robert Habeck Jens Weidmann zwar für sein großes Engagement. Doch es dauerte nur wenige Sätze, da kam der Grünen-Chef und Anwärter auf den Posten des Bundesfinanzministers auf „inhaltliche Differenzen“ mit dem Präsidenten der Bundesbank zu sprechen. Der hatte am Mittwoch seinen Rücktritt sechs Jahre vor Vertragsende bekanntgegeben und damit unfreiwillig das Tor für eine Kehrtwende der deutschen Geldpolitik geöffnet.
Und dass Habeck sich eine Kehrtwende durchaus wünscht, ist an dem Seitenhieb zu sehen, den er nachschob: „Für die Zukunft braucht es eine Bundesbank, die auf der Höhe der Herausforderungen der Zeit agiert.“
Während SPD und Grüne also eher dazu neigen, die lockere Geldpolitik der vergangenen Jahre weiterzuführen, pocht die FDP auf die Rückkehr zu ordnungspolitischen Grundsätzen – eine Position, für die Weidmann wie kein zweiter steht. Seine Nachfolge ist daher eine hochpolitische Frage, die nun auch in den Koalitionsverhandlungen Teil des Pokers und des Postengeschachers werden dürfte.
FDP als Stabilitätshüter
Die FDP gibt sich dabei als Hardliner. Jens Weidmann sei ein starker Zentralbankchef gewesen, der „die zunehmende Politisierung von Notenbanken“ ebenso kritisch wie die ultralockere Geldpolitik gesehen habe, sagte der liberale Finanzpolitiker Florian Toncar. „Da wünsche ich mir eine gewisse Kontinuität auch in Zukunft.“ FDP-Chef Christian Lindner hatte bereits am Mittwoch gefordert: „Die Deutsche Bundesbank muss weiter Anwältin einer stabilitätsorientierten Geldpolitik in Europa bleiben.“ Die CDU forderte am Donnerstag vom Spielfeldrand aus ebenfalls, Weidmanns Nachfolger müsse sich mit der gleichen Entschlossenheit für Geldwertstabilität einsetzen.
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Tatsächlich geht es um die ganz großen Fragen, die Weidmann mit seinem Rücktritt noch drängender gemacht hat. Denn die Frage, welche Rolle die Notenbanken in Zukunft spielen sollen, wird in den kommenden Monaten neu definiert werden. Grob gesagt geht es darum: Bleibt die Geldwertstabilität die einzige Funktion der Währungshüter oder wird diese enge Aufgabenstellung aufgeweicht und um die indirekte Finanzierung politischer Großprojekte erweitert?
Letzteres würde auch bedeuten, dass die Themen Inflation, Schulden und zweckgebundene Geldpolitik, etwa für Klimaprojekte weniger kritisch gesehen würden. Das Finanzkonzept der Grünen etwa, unterscheidet zwischen guten und schlechten Schulden. Die Schuldenbremse sollte demnach nur noch für schlechte Schulden gelten. Gute Schulden – Investitionen, die nach Vorstellung der Grünen neue Werte schaffen – sollten davon hingegen befreit sein. Eine Sichtweise, der sich Weidmann sicherlich nicht anschließen würde.
Die Positionen der potentielle Nachfolger:innen
Seine potentiellen Nachfolger:innen möglicherweise schon. So spricht sich Marcell Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), schon lange für eine Reform der Schuldenbremse aus und forderte eine Ausweitung des Anleihekaufprogramms PEPP der Europäischen Zentralbank (EZB). Die Inflation nannte er noch vor Kurzem seine „eigentlich geringste Sorge“.
Gehandelt für den Spitzenposten wird auch Isabel Schnabel, derzeit im Direktorium der EZB. Sie ist ebenfalls eine vehemente Verteidigerin der lockeren Geldpolitik und warnte im Zusammenhang mit den steigenden Inflationszahlen mehrmals vor Panikmache. Und der Scholz-Vertraute Jörg Kukies, noch Staatsminister im Bundesfinanzministerium und ebenfalls im Gespräch, dürfte einer neuen Geldpolitik nicht im Wege stehen. Von den Namen, die als Nachfolge kursieren, stehen nur der Wirtschaftsweise Volker Wieland und die derzeitige Bundesbank-Vizechefin Claudia Buch für Weidmannsche Stabilität.