Spritpreise auf Rekordhoch: Die Benzinpreise dürfen nicht zu einer Kehrtwende beim Klimaschutz führen
Der CO2-Preis ist das beste Instrument für mehr Klimaschutz. Die hohen Energiepreise ändern daran nichts - machen aber Nachbesserungen nötig. Ein Kommentar.
Olaf Scholz tankt bekanntlich nicht selbst. Als der SPD-Kanzlerkandidat das im Wahlkampf freimütig zugab und überdies die aktuellen Spritpreise nicht nennen konnte, sorgte das für so viel Spott, dass Markus Söder sich dazu flugs briefen ließ – nur um seinem Unionskollegen Armin Laschet bei der nächstbesten öffentlichen Gelegenheit ins Wort zu fallen und die Benzinpreise selbst vortragen zu können.
Dass Söders Zahlen nicht mal genau stimmten – sei’s drum: Wer den Benzinpreis kennt, kann punkten; darin schienen sich alle Politiker im Wahlkampf einig.
Inzwischen gilt allerdings: Wer den Benzinpreis senken kann, kann punkten. Denn spätestens seit Diesel am Wochenende mit einem Preis von 1,555 Euro pro Liter im Bundesdurchschnitt einen Rekordwert erreicht hat, sollten alle Politiker die aktuellen Spritpreise kennen. In den nächsten Wochen dürften weitere Rekorde fallen. Und nicht nur Benzin, sondern auch Heizen wird teurer. Für viele Haushalte wird der Winter eine enorme finanzielle Herausforderung.
Die Preissteigerungen erreichen damit derart elementare Lebensbereiche und vollziehen sich so schnell, dass die Politik aktiv werden muss. Es bahnt sich hier die erste ernsthafte Feuerprobe für ihre Klimapolitik an.
Zu langsam, zu unbequem
Tatsächlich stecken die Verantwortlichen in gleich mehreren Dilemmata. Das erste heißt Zeit. Wochenlang haben SPD, Grüne und FDP über Deutschlands Weg für die kommenden vier Jahre und darüber hinaus nachgedacht. Die einen wollen privates Kapital für grüne Investitionen mobilisieren, die anderen Belastungen über ein Bürgergeld zurückzahlen. Doch das dauert. Die Probleme mit den Energiekosten müssen aber sofort angegangen werden.
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Das zweite Dilemma ist das Spannungsfeld zwischen gewollter Belastung und Überforderung der Bürger. Denn dass die Preise für die Nutzung fossiler Energieträger steigen, ist durchaus im Sinne der künftigen Koalitionäre. „Die Kilowattstunde, die ich nicht verbrauche, ist am billigsten“, sagte jüngst SPD-Politikerin Katarina Barley dazu stellvertretend. Eine Lenkungswirkung sei ja gewollt.
Wer "Respekt" sagt, muss jetzt handeln
Schon ohne Kenntnis des Benzinpreises hat Olaf Scholz in den Verhandlungen über das Klimapaket der Bundesregierung stets vor einem zu hohen CO2-Preis gewarnt. Er hat den sozialen Sprengstoff erkannt. Die Gelbwesten in Frankreich haben gezeigt, welche Wut steigende Benzinpreise auslösen können.
Angesichts seines „Respekt“-Wahlkampfs mit Fokus auf ärmere Einkommensgruppen bleibt ihm jetzt eigentlich gar keine andere Wahl, als Ausgleichsmechanismen oder Vergünstigungen für bestimmte Personen einzuführen. Denn der CO2-Preis belastet geringe Einkommen überproportional.
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Einige Lösungsvorschläge sind auf dem Markt. Das Wohngeld könnte temporär angehoben werden. Eine Pro-Kopf- Rückerstattung der CO2-Abgabe wird debattiert. Die Deutsche Umwelthilfe sprach sich dafür aus, die Stromsteuer auf das von der EU erlaubte Minimum zu senken.
Es sollte betont werden, dass viele dieser Vorschläge explizit aus der Ecke derer kommen, die stets eine forsche Klimapolitik anmahnen. Doch bei all diesen notwendigen Feinjustierungen sollte die Bundesregierung nicht den Fehler machen, ihre Klimabemühungen bei den ersten Schwierigkeiten gleich über Bord zu werfen.
Zum einen ist die aktuelle Kostenexplosion nicht nur auf Klimapolitik zurückzuführen. Der hohe Ölpreis ist auch eine Folge der wieder anspringenden Weltkonjunktur. Vor allem aber ist die Regulierung über den Preis noch immer das einfachste Instrument für mehr Klimaschutz. In der Industrie zeigt sich das gerade, wenn ganze Branchen ihren Weg hin zu einer grünen Wirtschaft suchen.
Vielleicht ist eine Erkenntnis aus diesem Herbst, dass Kostenanreize an der Stelle wirkungsvoller sind als beim privaten Konsumenten. Die hohen Energiepreise erfordern also keine Kehrtwende der Klimapolitik, sondern eine Differenzierung.