"Nachhaltige Konjunktureinflüsse zu befürchten": Die Auswirkungen des Coronavirus sind für VW noch unabsehbar
Audi und VW schließen ihre Werke. Nach einem guten Jahr 2019 wagt der Konzern keine Prognose. Im ersten Quartal droht eine Halbierung des operativen Gewinns.
Abstand wahren, auf Sicht fahren, die Ausbreitung des Virus verlangsamen: Entschleunigung ist auch bei Volkswagen in der Coronakrise das Gebot der Stunde - mit dramatischen Konsequenzen. Der größte Autohersteller der Welt wird ab Freitag und mindestens für zwei Wochen seine europäischen Werke schließen.
In Italien und Spanien stehen die Bänder bereits still. Auch die beiden Audi-Standorte Ingolstadt und Neckarsulm stellen die Fertigung ein. VW-Konzernchef Herber Diess sieht sich zu der drastischen Maßnahme gezwungen, weil sich die Absatzlage „deutlich verschlechtert“ habe und die Teileversorgung der Werke nicht mehr gesichert sei. „Die Corona-Pandemie stellt uns vor ungekannte operative und finanzielle Herausforderungen“, sagte er. „Nachhaltige Konjunktureinflüsse“ seien zu befürchten.
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Diess und vier seiner Vorstandkollegen haben Abstand zwischen den Stehtischen gelassen, als sie am Dienstagmorgen in Wolfsburg die Bilanz des Geschäftsjahres 2019 präsentieren. Der Rest der Konzernspitze und die Journalisten sind telefonisch oder online zugeschaltet.
Für das vergangene Jahr interessiert sich eigentlich niemand mehr. 2019 ist Vor-Corona-Zeit, das vorerst letzte, sehr erfolgreiche Jahr für Volkswagen. Fast alle Fragen drehen sich um die Folgen der Pandemie und wie der VW-Konzern mit seinen zwölf Marken, 124 Werken und weltweit 670.000 Mitarbeitern (davon 275.000 in Deutschland) damit fertig wird.
25 Infektionsfälle bei Volkswagen
„Wir sind arbeitsfähig“, versicherte Diess. Inzwischen breitet sich das Virus auch bei Volkswagen aus. 25 Infektionsfälle gebe es weltweit, sagt Personalvorstand Gunnar Kilian, drei davon in Wolfsburg, wo insgesamt 60.000 Mitarbeiter beschäftigt sind. Am Montag war noch kein Fall bekannt gewesen. „Wir arbeiten im Task-Force-Modus“, sagte Kilian.
Der Arbeitsdirektor, früher Sprecher von Betriebsratschef Bernd Osterloh, betont, dass man sich eng mit den Arbeitnehmervertretern über alle Maßnahmen zur Corona-Bekämpfung abstimme. Tatsächlich gab es aber zuletzt Ärger. Die Belegschaft in der Produktion beschwerte sich aus Sorge um ihre Gesundheit, wie aus einem Schreiben von Osterloh an die Arbeitnehmer hervorgeht.
Während im Bürobereich bei VW Abstandsgebote wegen der Corona-Epidemie gelten, arbeiteten die Kollegen in der Produktion dicht beieinander. Der Betriebsrat habe gegenüber dem Vorstand diese „Zweiklassengesellschaft“ kritisiert. Das Management habe auf den Druck reagiert, am Freitag läuft die letzte Schicht. Das ist aus Sicht des Betriebsrats zu spät. „Wir erwarten jetzt einen geordneten Ausstieg aus der Fertigung“, forderte Osterloh.
Halbierung des operativen Gewinns möglich
Wie es danach weitergeht, weiß niemand. Beim Blick nach vorne tun sich auch Diess und Finanzchef Frank Witter schwer. So viel ist klar: Die vor gut zwei Wochen ausgegebene Prognose für 2020 (Umsatzrendite: 6,5 bis 7,5 Prozent) ist hinfällig. „Ein Ausblick ist aktuell schlichtweg unmöglich“, sagte Witter. Schwere und Dauer der Coronakrise seien „absolut ungewiss“. 2019 hat der VW-Konzern eine Umsatzrendite von 7,6 Prozent geschafft, wobei unter den zwölf Marken Porsche mit einer Marge von 16,2 Prozent heraussticht.
Eine Andeutung, wie massiv die Einschläge inzwischen sind, macht der Finanzvorstand dann doch. Im ersten Quartal müsse man sich beim operativen Gewinn wohl auf eine Halbierung im Vergleich zum Vorjahr einstellen. 2019 hatte der Konzern zwischen Januar und März noch 4,8 Milliarden Euro verdient, bei einer Marge von 8,1 Prozent.
„Wir müssen jetzt einen klaren Kopf bewahren“, sagte Witter. „Wir wollen das Jahr 2020 nicht komplett abschreiben.“ Der Autobauer verfüge über ein ausreichend dickes Finanzpolster, die Netto-Liquidität im Autobereich liegt bei gut 21 Milliarden Euro. 2019 hat Volkswagen nach Steuern 14 Milliarden Euro verdient, bei einem Umsatz von knapp 253 Milliarden Euro.
China macht Hoffnung
Hoffnungsvoll stimmt den VW-Vorstand die Entwicklung in China, wo die Regierung schnell und radikal gegen die Ausbreitung der Virus-Epidemie vorgegangen war. Nachdem der dortige Automarkt im Januar und Februar praktisch zusammengebrochen ist, erholt er sich jetzt. „Wenn die Krise so schnell wie in China vorbei ist, dann kann sich auch Europa nach Corona rasch wieder erholen", sagte Diess.
VW ist mit einem Anteil von 20 Prozent Marktführer auf dem chinesischen Markt, 40 Prozent aller Konzern-Autos werden in der Volksrepublik verkauft. Das Krisenmanagement der Pekinger Zentralregierung sei zwar hierzulande nicht vorstellbar, gab Diess zu bedenken. Aber lernen könne man dennoch, wie wichtig schnelles und entschlossenes Handeln seien. Dazu sei die Bundesregierung nun offenbar bereit: „Wir sind mit dem Krisenmanagement der Regierung zufrieden.“
Diess betonte, Volkswagen werde wegen der Krise nicht von seiner Strategie abweichen. An den Planungen, in diesem Jahr 100.000 Elektroautos in Zwickau bauen zu wollen, habe sich nichts geändert. Der Marktstart des elektrischen Kompaktwagens ID.3 sei weiterhin für den Sommer geplant. Auch werde der Konzern nicht für eine Aufweichung der CO2-Grenzwerte in Europa plädieren.