Forderungen für Konjunkturpaket: Die alte Industrie meint es auf einmal ernst mit der CO2-freien Produktion
Konzerne wie BASF, Thyssenkrupp Steel Europe oder Siemens Energy fordern Klimaschutzmaßnahmen vom Bund. Das verschiebt die Koordinaten der Debatte.
Auf der einen Seite die Umweltverbände und die Klimaschützer, verlässlich auf der anderen die deutsche Industrie: Das war einmal. Kurz vor den Verhandlungen der Bundesregierung über ein Konjunkturpaket dringen Vertreter aus Kernbranchen wie Stahl-, Metall-, Zement- und Chemieindustrie vehement auf Vorgaben der Politik.
Sie verlangen Förderung und Regeln, um (weitgehende) Klimaneutralität bis 2050 zu erreichen. Die Sache stellt nichts weniger als eine fundamentale Verschiebung der deutschen Klimaschutzkoordinaten dar.
Bei der "Stiftung 2 Grad" laufen viele der neuen Fäden zusammen. Die Unternehmerstiftung hat sich zum neuen Sprachrohr der Industrie in der Klimaschutzpolitik gemausert. Dem Tagesspiegel liegt nun ein neues Positionspapier der Stiftung vor, das erstmals sehr detailliert ausbuchstabiert, was die Industrie von der Politik erwartet – und wie ernst sie es mit der vollständigen Umstellung auf CO2-freie Industrieproduktion meint.
Die klassische Industrie fordert Klimaschutz
Erstellt wurde das 14-seitige Papier von Stiftung 2 Grad in Abstimmung mit zehn Unternehmen, die allesamt die klassische Industrie repräsentieren: Der Kupferspezialist Aurubis, die Chemiekonzerne BASF und Wacker, der Plastikhersteller Covestro, HeidelbergCement, die Stahlhersteller Salzgitter und Thyssenkrupp Steel Europe, die Papier- und Kartonfabrik Varel, Siemens Energy sowie der Metallverarbeiter Otto Fuchs.
„Die Botschaft ist klar: Die deutsche Industrie steht bereit“, sagte Stiftungsvorständin Sabine Nallinger. „Sie erwartet jetzt einen klaren politischen Rahmen für Klimaschutz und die nötige Transformation.“ Der Investitionsbedarf werde allerdings enorm sein – es gehe deshalb zentral darum, „echte Durchbrüche bei industriellen Prozessen“ möglich zu machen, zum Beispiel mit dem Einsatz von Wasserstoff als Ersatz für Kohle oder Öl.
Bernhard Osburg, Vorstandssprecher von Thyssenkrupp Steel Europe, sagte, Deutschland und Europa könnten führend bei CO2-neutralen Industriegütern werden, es gebe große Chancen für grüne Innovationen, Wertschöpfung und Beschäftigung. „Diese Chancen dürfen wir nicht verschlafen und müssen jetzt gemeinsam die notwendigen Förderinstrumente und Rahmenbedingungen auf den Weg bringen“, sagte er.
Für mehr Jobs in Deutschland
Die Industrie rückt aber auch die Sorge vor Abwanderung von Produktionsstätten und Jobs ins Ausland in den Mittelpunkt. Hinrich Mählmann, geschäftsführender Gesellschafter der Otto Fuchs KG, sagte, Klimaschutzinstrumente müssten ermöglichen, dass heimische Produktionsstandorte international wettbewerbsfähig blieben, damit technologische Vorteile weiterhin genutzt werden können.
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„Somit kann verhindert werden, dass Aufträge an Länder mit geringeren Sozial-, Umwelt- und Klimaschutzstandards verloren gehen.“ Rudolf Staudigl, Vorstandschef von Wacker Chemie, sagte: „Zur Überwindung der Coronakrise bietet ein Industriestrompreis die Chance, den Weg zur Klimaneutralität politisch zu ebnen.“
Grüner Wasserstoff statt Kohle
Im Detail geht es in dem Papier um Starthilfe auf allen Ebenen. Ein Schwerpunkt sind sogenannte Low Carbon Breakthrough-Technologien (LCBT). Durch ihren Einsatz sinken nicht innerhalb von bewährten Prozessen die Emissionen beispielsweise durch höhere Energieeffizienz. Sondern grundsätzlich neue Techniken kommen zum Einsatz, die den CO2-Ausstoß gegen Null reduzieren.
Ein bekanntes Beispiel ist der Einsatz von grünem Wasserstoff statt Kohle in der Stahlherstellung. LCBT müssten zur Marktreife gebracht und skaliert werden, heißt es in dem Papier der Stiftung 2 Grad. Dabei müsse auch Geld fließen, zum Beispiel durch neue Förderprogramme und steuerliche Anreize wie degressive Abschreibungen für LCBT-Investitionen.
Ein weiterer großer Baustein für LCBT ist aus Sicht der Industrie und der Stiftung der Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft. Das Ziel von drei bis fünf Gigawatt Elektrolyseleistung solle deutlich früher als zuletzt in Entwürfen der Wasserstoffstrategie der Bundesregierung bereits bis Mitte des Jahrzehnts erreicht werden. Elektrolyseure setzen Strom ein, um Wasserstoff herzustellen – und ein Gigawatt entspricht immerhin etwa der Leistungsfähigkeit eines Kernkraftwerks.
2050 müsse der Wasserstoffbedarf Deutschlands – der bis dahin enorm ansteigen soll – „vollständig mit klimaneutralem Wasserstoff und dabei einem möglichst hohen Anteil an Wasserstoff aus erneuerbaren Energien gedeckt werden“. Die Industrie will also Klimaschutz, aber sie hat Bedenken, ob CO2-neutral hergestellte Produkte preislich konkurrenzfähig sein werden. Deshalb müsse die Markteinführung unterstützt werden – durch Anreize und klare Vorgaben. Auch nach einem Kennzeichnungssystem für CO2-arm hergestellte Produkte ruft das Papier – Käufer und Endverbraucher wüssten dann über den ökologischen Fußabdruck besser Bescheid.
Position der Industrie hat sich gewandelt
Eine weitere große Sorge der Industrie: Carbon Leakage, also das Abwandern der Produktion in Weltregionen, wo keine Klimaschutzvorgaben herrschen und damit die Bemühungen global betrachtet unterlaufen werden. Carbon-Leakage-Schutz müsse „elementarer Bestandteil“ der Industriepolitik werden, heißt es in dem Positionspapier.
Ganz klare Handlungsempfehlungen gibt es bei diesem hochkomplexen Thema aber nicht, bei dem auch immer die Gefahr von Gegenmaßnahmen durch andere Länder und damit einer Belastung der Absatzmöglichkeiten besteht.
Betrachtete die energieintensive Industrie in weiten Teilen den Ausbau der erneuerbaren Energien lange skeptisch, hat sich diese Position nun fast vollständig umgekehrt. Es müsse schnell ein Mechanismus gefunden werden, den von der schwarz-roten Koalition angestrebten Ausbau des Erneuerbaren-Anteils am Stromverbrauch von 65 Prozent bis 2030 tatsächlich zu erreichen.
Dazu brauche es verlässliche Ausbaupfade, die dem massiv wachsenden Bedarf nach Strom aus erneuerbaren Energien Rechnung trügen. Wenig überraschend ist, dass die Industrie sich auch für möglichst niedrige Strompreise stark macht – Entlastung sei auch nötig zur „Mobilisierung der Investitionen für die klimaneutrale Transformation“, heißt es in dem Papier, das an einen vorherigen Unternehmensappell der Stiftung anschließt.