Hohe Verluste: Deutsche Bahn will zurück auf die Spur
Die Bahn habe seine Ziele nicht erreicht. Mit Sparpreisen, mehr Service und Jobabbau will der Staatskonzern das schlechte Jahr hinter sich lassen.
Die rund 40 Aktivisten des Bündnisses „Bahn für Alle“ hätte es am Mittwochmorgen wohl nicht auch noch gebraucht, um den Vorstand und die rund 100 Pressevertreter daran zu erinnern, was derzeit alles schiefläuft bei der Deutschen Bahn. Die Leute hielten ihre Transparente mit Aufschriften wie „Gute Bahn statt Tunnelwahn“ in den blauen Himmel am Kongresszentrum bcc am Berliner Alexanderplatz und erklärten in schwäbischen Dialekten unter anderem, dass das Bahnhofsbauprojekt „Stuttgart 21“ mitnichten „schon durch“ sei. Drinnen bei der Bilanz-Pressekonferenz war dieses Kapitel gleichwohl nicht mehr der Rede wert. Da gab es andere Themen.
„Wir haben nicht das erreicht, was wir uns vorgenommen hatten“, sagte Vorstandschef Rüdiger Grube zusammenfassend zum 287 Seiten starken Geschäftsbericht. Nach einem Jahresgewinn von immerhin 988 Millionen Euro 2014 weist die Bilanz für 2015 einen Fehlbetrag in Höhe von 1,31 Milliarden Euro aus. Es ist der erste Verlust seit 2003. Als „größte Baustelle“ bezeichnete Grube den Schienengüterverkehr. Die erst vor zwei Wochen in DB Cargo umbenannte Sparte beförderte im vergangenen Jahr 8,8 Prozent weniger Güter. Die Züge fuhren ein Minus von 180 Millionen Euro ein. Berichte, wonach das Unternehmen 430 der rund 1500 Verladestellen schließen will, bestätigten die Manager rund um Grube nicht. Auch nicht Gerüchte aus dem Aufsichtsrat, wonach der Vorstand gern jede vierte Stelle bei DB Cargo streichen will. Man sei in Verhandlungen mit Kunden und Unternehmervertretern, hieß es dazu nur.
Streiks, Stürme, Flüchtlinge
Als Gründe für das insgesamt schlechte Abschneiden verwies Grube vor allem auf drei Sonderfaktoren. Erstens den längsten Streik der Unternehmensgeschichte: Die finanziellen Schäden durch die Blockaden der Lokführer von der GdL gab das Unternehmen mit rund 310 Millionen Euro an. Zweitens habe es 2015 außergewöhnlich starke Stürme mit „massiven Auswirkungen auf den Bahnbetrieb“ gegeben. Und drittens habe die Bahn ab Herbst die „große Aufgabe“ zu bewältigen gehabt, hunderttausende Flüchtlinge zu befördern. Die Kosten dafür bezifferte das Unternehmen nicht im Einzelnen.
Doch die Bahn steht nicht nur wegen dieser kaum beeinflussbaren Faktoren neben der Spur. Das hat die Führung im Bahn-Tower am Potsdamer Platz bereits Mitte vergangenen Jahres erkannt und reagiert, wenn auch nach Ansicht einiger Verkehrsexperten viel zu spät. Im Dezember hatten die sechs Vorstandsmitglieder bereits angekündigt, dass das Jahr 2015 schlecht ausfallen würde, und einen Plan vorgelegt, mit dem nicht nur harte Finanzdaten, sondern auch weiche Faktoren wie schwerer zu messende Kundenzufriedenheit bis zum Jahr 2020 deutlich verbessert werden sollen. Indem die Herren rund um Grube damals nicht mit Selbstkritik sparten, nahmen sie für den gestrigen Tag ein wenig Druck aus dem Kessel. Die Zahlen konnten keinen Beobachter wirklich erschrecken.
Und sie sind auch nicht durchweg schlecht. So ist das Geschäft insgesamt gewachsen: Der Umsatz für alle Sparten (Schienenpersonenverkehr, Bus, Schienengüter, Spedition und Logistik sowie Infrastruktur) stieg zusammen erstmals über die 40-Milliarden-Euro-Schwelle. Speziell im Fernverkehr konnte die Bahn mehr Gäste befördern – auch wegen der Sparpreisaktionen, 19-Euro-Tickets zum Beispiel, die das Unternehmen wegen Erfolges auch in diesem Jahr wiederholen will. Vorstand Berthold Huber sagte auch, es sei „noch viel zu früh“, um über Preissteigerungen in diesem Jahr nachzudenken. Kunden seien sehr „preissensibel“, stellte er fest. „Wir tun gut daran, möglichst viele Passagiere in die Züge zu holen.“ Die für dieses Jahr angekündigte kostenlose Platzreservierung werde aber verschoben.
Worunter die Pünktlichkeit litt
Streiks und Stürme gingen 2015 auch zulasten der Pünktlichkeit der Züge. Die Quote sank im Fernverkehr von 76,5 Prozent auf 74,4 Prozent. Damit war mehr als einer von vier Zügen um fünf Minuten oder mehr verspätet. Im Regionalverkehr sank die Pünktlichkeitsquote nur leicht – von 94,4 auf 94,2 Prozent.
Um die angekündigte Pünktlichkeits- und Service-Offensive finanzieren zu können, muss die Bahn in diesem Jahr neue Schulden aufnehmen. Die Netto-Finanzschulden stiegen im Berichtszeitraum bereits kräftig um 1,3 Milliarden auf 17,5 Milliarden Euro. Ende dieses Jahres dürften gar 19 Milliarden Euro auf die Bilanz drücken. Trotzdem will das Unternehmen erneut 850 Millionen Euro Dividende an den Eigentümer, den Bund, überweisen. Damit habe man kein Problem, erklärte Finanzvorstand Richard Lutz, weil die Summe über Zuschüsse, die der Bund gewährt, direkt wieder in die vielen Infrastrukturprojekte der Bahn fließen dürften.
Ein Thema, bei dem der Vorstand gern weiter wäre, aber von Aufsichtsrat und Eigentümer offenbar gebremst wird, ist der angestrebte Teil-Börsengang der Sparten Spedition und internationaler Personenverkehr. In Großbritannien zum Beispiel ist die DB-Tochter Arriva bereits Nummer drei auf dem Markt, profitabel und weiter wachsend. Über einen Verkauf eines Minderheitsanteils an beiden Sparten könnte die Deutsche Bahn rund 4,5 Milliarden Euro erlösen, wird spekuliert. Bestätigt haben die Vorstände entsprechende Schätzungen erwartungsgemäß nicht. So oder so: Beim Jahresergebnis 2016 peile man derzeit ein Plus an – in Höhe von 0,5 Milliarden Euro.
Kevin P. Hoffmann