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Der Online-Händler. Mit Unternehmen wie Zalando ist Oliver Samwer aufgestiegen – doch nun fehlen neue Ideen.
© Tobias Hase/dpa

Oliver Samwer: Der Wandel des Klonkriegers

Oliver Samwer ist der Vater des neuen deutschen Gründerbooms. Doch nach dem Börsengang von Delivery Hero muss er sich neu erfinden.

In der siebzehnten Etage des Berliner Rocket Towers ist es totenstill. Die vielen Bildschirme sind schwarz, auf einem der Bürostühle sitzt ein weißer Teddy. An der Wand hinter einer Couch hängt der 100-Tage-Schlachtplan von Rocket Internet. Darauf hat Oliver Samwer den Ablauf skizziert, mit dem seine Start-up-Fabrik junge Unternehmen wie am Fließband produziert. Gleich in der ersten Woche werden Suchbegriffe für das Google-Marketing analysiert, in der dritten Woche muss der Name stehen, die Entwicklung läuft und nach zehn Wochen werden Prototypen getestet.

In den vergangenen Jahren hatte Rocket nach diesem Schema unzählige Start-ups aus dem Boden gestampft: Zalando, Home24 oder Helpling. Die Konferenzräume des im Vorjahr neu bezogenen Hauptquartiers, des früheren GSW-Hochhauses in Kreuzberg, sind nach den wichtigsten Beteiligungen benannt. Delivery Hero und HelloFresh heißen sie in der siebzehnten Etage. Doch große Welteroberungspläne werden hier derzeit nicht geschmiedet, die Rakete hat an Schub verloren. In diesem Jahr wurde noch kein einziges Start-up gegründet.

Ein wichtiger Geldgeber ist ausgestiegen

Stattdessen stieg mit Kinnevik einer der wichtigsten Geldgeber und Hauptanteilseigner aus. Und der Aktienkurs, der nach dem Börsengang Ende 2014 noch auf über 50 Euro gestiegen war, kämpft seit einem Jahr damit, über die 20-Euro-Marke zu klettern – während weltweit die Kurse der Technologiefirmen einen Rekord nach dem anderen jagen. Ist der Höhenflug von Oliver Samwer vorbei? Oder kann das erfolgreiche Börsendebüt von Delivery Hero die Wende bringen und als Initialzündung für weitere Rocket-Start-ups dienen?

In rot-weißem Konfettiregen jubelte der Gründer des Essenslieferdienstes, Niklas Östberg, am Freitag in Frankfurt und klatschte sich mit seinen Mitstreitern ab. Auch Samwer hat Grund zum Feiern: 264 Millionen Euro kassierte Rocket beim Börsengang. Der verbleibende Anteil von 25 Prozent an Delivery Hero ist fast 1,2 Milliarden Euro wert. Kein Wunder, dass der Rocket-Chef den Schritt schon seit zwei Jahren forciert. Doch Östberg bestimmte das Tempo selbst. „Da kann Oliver Samwer Druck machen, wie er möchte“, sagte der Schwede kühl. Entsprechend gespannt war das Verhältnis der beiden, Samwer bekam weder einen Aufsichtsratssitz und auch kaum Einblick ins Unternehmen. So ist Delivery Hero auch nur bedingt ein Samwer-Erfolg. Mit Foodpanda hatte Rocket eine eigene Lieferdienstgruppe in Schwellenländern aufgebaut, diese dann aber gegen Anteile an den erfolgreicheren Östberg abgegeben.

Ideen für neue Gründungen fehlen

Trotzdem ist die Liefertruppe mit ihren Marken Foodora und Lieferheld für Samwer enorm wichtig. „Delivery Hero und Hello Fresh sind die letzten beiden Patronen, die Rocket hat“, sagt ein bekannter Investor, der lange selbst für Samwer gearbeitet hat. „Danach kommt erst einmal lange nichts im Portfolio“. Hello Fresh soll im Herbst an die Börse. Das Start-up verschickt Kochboxen mit Rezepten und den passenden Zutaten im Abonnement. Allerdings hatte der US-Konkurrent Blue Apron gerade Schwierigkeiten, dieses Geschäftsmodell Anlegern schmackhaft zu machen. Auch Rockets Vorzeigefirmen wie die Möbelhändler Home24 oder Westwing wachsen weniger. Und Ideen für neue Gründungen fehlen derzeit ganz. Dass dieser Punkt kommen würde, wusste Samwer schon 2011 in seiner legendären „Blitzkrieg“-Mail: „Das ist die letzte Chance für eine Milliarden-Dollar-Firma im Online-Handel“, schrieb er damals an seine Gründer. Da man schon spät dran sei, forderte er enorme Aggressivität und eine „Blitzkrieg-Invasion“. Nun sind die meisten Claims abgesteckt, was bleibt sind Verteilungskämpfe. Rocket hat sich bislang auf die Bereiche konzentriert, in denen Menschen das meiste Geld ausgeben: Essen, Kleidung und andere Waren. Doch Samwer hat erkannt, dass sich Rocket neu erfinden muss.

So will er verstärkt in junge Finanz-Start-ups investieren. Auf der Hauptversammlung wurde dazu die Satzung geändert, Rocket kann damit nun auch Geschäfte betreiben, die von der Bankenaufsicht genehmigt werden müssen.

Samwer investiert unter anderem in künstliche Intelligenz

Weitere Einblicke in die künftige Strategie gab er kürzlich im Berliner Tempodrom bei der „Noah“-Konferenz. „Wir verfolgen einen offeneren Ansatz“, sagte Samwer den versammelten Unternehmern. Big Data, Künstliche Intelligenz oder autonomes Fahren seien Bereiche, die sich das Unternehmen verstärkt anschaue. „Wir haben gerade eine relativ große Summe in künstliche Intelligenz investiert“, sagte Samwer. Auch per Sprache gesteuerte Assistenten wie Amazon Alexa haben es dem 44-Jährigen angetan – und nicht nur ihm. Seine Kinder hätten das System kürzlich gefragt, wie alt Donald Trump sei und waren überrascht, eine Antwort zu bekommen. Daher ist er überzeugt: „Sprache ist die neue Plattform“. Allerdings würde die von Amazon, Apple und Google betrieben; für Rocket und andere Gründer gehe es eher darum, die besten Anwendungen dafür zu entwickeln.

Doch dabei setzt Rocket inzwischen weniger auf eigene Gründungen, sondern investiert mehr in Start-ups. Die Zahl der Mitarbeiter im Rocket Tower wurde von 400 auf 270 reduziert. Einige Flächen werden inzwischen untervermietet. Ob es Samwer gelingt, die einstige Klonfabrik zu einem klassischen Wagniskapitalgeber umzubauen, muss sich zeigen. Ein Gespür für Trends, Entwicklungen und aufstrebende Firmen im Netz hat er in der Vergangenheit zur Genüge bewiesen und auch da schon erfolgreich investiert. „Er kann sich sofort in ein Geschäft reindenken und hat genau die richtigen Fragen gestellt“, sagt ein Gründer, bei dem Samwer investiert hat.

Samwer kämpft um Anerkennung

„Ich bin immer noch sehr hungrig“, sagt Samwer und verweist stolz auf die 2,5 Milliarden Euro, die Rocket zur Verfügung hat. Es ist auch eine Chance für den Mann, dessen Stimme immer ein wenig an Dieter Bohlen erinnert. Und auch sonst gibt es einige Parallelen zwischen dem Pop- und dem Start-up-Titan. Beide sind enorm erfolgreich und polarisieren extrem. Kaum ein anderer deutscher Musiker hatte international so viel Erfolg wie Bohlen, doch für Musikkritiker sind die seichten Pophits ein Graus. Samwer kämpft bis heute um Anerkennung. „Für Berlin war Rocket Internet extrem wichtig“, sagt David Khalil, der für ihn unter anderem die Partnerbörse eDarling mit aufgebaut hat. „Ohne die Samwers wären wir jetzt nicht die Digitalhauptstadt“. Dabei hat er sich jedoch auch viele Feinde gemacht, die sich insgeheim über den jüngsten Absturz freuen.

In Deutschland wird immer über die Pleiten und schlechten Zahlen berichtet, klagt Samwer oft. „Dabei ist kein Internetunternehmen groß geworden, ohne jahrelang Verluste zu schreiben“. Während viele lange sagten, Schuhe im Netz zu verkaufen könne nie klappen, glaubte er daran und machte Zalando groß. Samwer denkt viel amerikanischer als viele andere Unternehmer in Deutschland. Überstrahlt wird es jedoch vom Image des Klonkriegers, der nichts Eigenes schafft, sondern nur andere Ideen kopiert.

Und so verteidigt er sich immer wieder gegen diesen Vorwurf. Wer wisse denn heute schon, wer eigentlich den Supermarkt erfunden habe?, fragt Samwer das „Noah“-Publikum. Und soziale Netzwerke habe es auch vor Facebook schon gegeben. Die Wirtschaft bestand schon immer aus Weiterentwicklungen. Das weiß kaum jemand besser als Oliver Samwer. Nun muss sich zeigen, dass er auch sein Unternehmen neu erfinden kann.

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