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„Sozialer Zusammenhalt entsteht vor allem durch Bildung“, sagt Handwerkspräsident Hans Peter Wollseifer.
© Raphael Krämer

Handwerkspräsident Wollseifer: "Der VW-Chef verhält sich kundenfeindlich"

Im Interview spricht Handwerkspräsident Hans Peter Wollseifer über den Ärger mit dem Diesel, attraktive Handwerksberufe und Flüchtlinge.

Hans Peter Wollseifer, 1955 in Hürth bei Köln geboren, wollte eigentlich Architekt werden. Nach einer Lehre als Maler und Lackierer übernahm er dann aber mit 21 Jahren aus familiären Gründen den elterlichen Malerbetrieb. Vor ein paar Jahren verkaufte Wollseifer das Unternehmen und ist seitdem vor allem im Immobilienbereich tätig. 2010 wurde Wollseifer Präsident der Kölner Handwerkskammer, seit 2014 spricht er als Präsident des Zentralverbands des deutschen Handwerks, der seinen Sitz in Berlin-Mitte hat, für rund eine Million Betriebe mit mehr als 5,4 Millionen Beschäftigten sowie 360 000 Auszubildenden und einem Jahresumsatz von 560 Milliarden Euro.

Herr Wollseifer, haben die Handwerker ihre Fahrzeugflotte inzwischen umgestellt: Gas- und Strom- statt Dieselantrieb?

Bis vor kurzem hat man uns Autos verkauft, die demnächst in manchen Städten womöglich nicht mehr fahren dürfen. Damit es dazu nicht kommt, müssen sich die Hersteller auch Nachrüstungen an der Hardware einfallen lassen, und die Politik muss sich sofort daran machen, wirksame Maßnahmen umzusetzen, um die Luftqualität zu verbessern beispielsweise beim ÖNPV oder durch einen besseren Verkehrsfluss. Es ist doch unvorstellbar, dass alle Diesel-Fahrer sich von jetzt auf gleich neue Autos anschaffen.

Wenn selbst der VW-Chef für das Ende des Diesel-Steuerprivilegs ist, dann dürfte das Ende des Dieselmotors, der ja rund 90 Prozent der Handwerkerautos antreibt, nicht mehr weit sein.

Die Äußerungen des VW-Chefs sind kunden- und mittelstandsfeindlich. Uns wurden diese Fahrzeuge auch mit dem Argument verkauft, dass der Diesel weniger verbraucht und der Kraftstoff günstiger ist. Wenn Hunderttausende daraufhin ein entsprechendes Fahrzeug gekauft haben, und dann der größte Hersteller für die Abschaffung der Dieselsubvention und die Einführung einer blauen Plakette plädiert, dann ist das erstaunlich kundenfeindlich.

Mit der blauen Plakette dürften nur noch relativ saubere Autos in die Städte fahren.

Wenn die Umwelthilfe so eine Plakette fordert, dann verstehe ich das. Aber der VW-Chef?

Also müssen Autos nachgerüstet werden.

Das ist Aufgabe der Hersteller. Mit Software-Updates ist es nicht getan, wir brauchen entsprechende Katalysatoren und den flächendeckenden Einsatz von Harnstofftechnik.

Das Bundesverwaltungsgericht entscheidet am 22. Februar über die Möglichkeit von Fahrverboten in Städten. Wird die Industrie vorher aktiv?

Mir ist nicht bekannt, ob und wie die Industrie aktiv wird. Als Handwerkspräsident kümmere ich mich natürlich um unsere Betriebe. Denn wenn es ganz dicke kommt, dürfen auch Handwerker bei bestimmten Wetterlagen nicht mehr in bestimmte Städte fahren. Die Gefahr ist da. Wenn aber Handwerker nicht fahren dürfen, dann können sie die Städte nicht mehr versorgen.

Warum fahren so wenige Handwerker mit alternativen Antrieben?

Es gibt so gut wie kein Angebot. Kaum ein Fahrzeughersteller bietet Gas-Transporter an, und Elektrofahrzeuge kommen in den Fahrzeugklassen, die wir im Handwerk brauchen, gerade auf den Markt. Die wenigen bisher geeigneten Fahrzeuge sind zudem häufig noch sehr viel teurer als Dieseltransporter. Außerdem: Das Produktversprechen, auf das alle Käufer und also auch unsere Handwerker vertrauen, ist doch, dass die teils erst vor kurzem gekauften Dieselfahrzeuge zumindest für eine normale Lebensdauer nutzbar sind.

Es kostet gut 2000 Euro, um aus einem schmutzigen einen sauberen Diesel zu machen. Das Geld haben die Handwerker, die Geschäfte laufen prächtig.

Verursacher des Dieselproblems sind die Autohersteller, nicht wir Handwerker. Wir im Handwerk sind es gewohnt, dass wir für Fehler und Mängel geradestehen und sie in Ordnung bringen. Nichts anderes erwarten wir von den Autoherstellern. Und die Politik muss den entsprechenden Regulierungsrahmen setzen. Mit der aktuell sehr guten Konjunktur im Handwerk sollte man das nicht vermengen, das hat nichts damit zu tun.

Können Sie sich an eine ähnlich gute Handwerkskonjunktur erinnern?

In den 1990er Jahren hatten wir Phasen, mit der die aktuelle Situation der Betriebe vergleichbar ist. Auch für das kommende Jahr sind wir sehr optimistisch. Es müsste schon ein sehr harter Winter kommen, der etwa die Bauwirtschaft zurückwirft. Nach 3,5 Prozent im vergangenen Jahr erwarten wir für 2018 einen Umsatzanstieg von rund drei Prozent. In den Gewerken rund um den Bau kann es derzeit schon knapp drei Monate dauern, bis der Handwerker kommt – soweit reichen die Auftragspolster. Die Firmen stehen aber auch unter Druck: Sie wollen ihre Kunden nicht verärgern, aber vielen fehlt das Personal, um alle Kunden schnell zu bedienen und die Aufträge abzuarbeiten.

Die Betriebe haben ihre Kapazitäten aufgebaut und 2017 reichlich Arbeitskräfte eingestellt. Wie viele genau?

Ich gehe von rund 50000 zusätzlichen Beschäftigten aus. Das wären dann fast doppelt so viele wie im vergangenen Jahr.

Dann gibt es also doch noch Personal?

Wir tun eine ganze Menge dafür, Fachkräfte für uns zu gewinnen, und das auch dort, wo andere Wirtschaftsbereiche vielleicht schon aufstecken, etwa bei Langzeitarbeitslosen. Wir unternehmen einiges, um sie zu integrieren. Auch junge Menschen ohne Schulabschluss betreuen und fördern wir besonders. 43 Prozent unserer Azubis sind Hauptschüler oder haben keinen Abschluss, aber inzwischen kommen auch 13 Prozent mit Abi in die Handwerkslehre.

Bei den Arbeitsagenturen sind mehr als eine Million Langzeitarbeitslose registriert; da sollten für das Handwerk noch einige dabei sein.

Ja, wir strengen uns gewaltig an. In Köln zum Beispiel haben wir ein Modell, in dem wir Langzeitarbeitslose in unsere Bildungsstätten aufnehmen, in den Betrieben dauerhaft begleiten und dann häufig zu einem Berufsabschluss führen. Das erfordert viel Arbeit – aber es lohnt sich. Einen weiteren Schwerpunkt legen wir darauf, noch mehr Migranten die Möglichkeiten im Handwerk aufzuzeigen. Wir haben Integrationsbeiräte in den Kammern und veranstalten Ausbildungsbörsen in unterschiedlichen Sprachen.

Wie viele Ausbildungsplätze blieben 2017 unbesetzt?

Gut 15000 – obwohl wir fast 4000 Ausbildungsverträge mehr hatten als im Vorjahr. Ich kann nur alle Jugendlichen ermuntern: Kommt ins Handwerk! Hier habt ihr alle Chancen, einen Beruf zu finden, der Euch erfüllt und der gute Verdienst- und Karrieremöglichkeiten bietet. Der Meisterbrief, das kann ich guten Gewissens sagen, das ist eine Lebensversicherung und im wahrsten Sinne ein Wertpapier.

Wie viele Flüchtlinge lernen derzeit ein Handwerk?

Die Zahlen gehen nach oben. 2016 hatten wir 4600 Flüchtlinge in einer Ausbildung und tausende weitere in Vorbereitungs- und Einführungslehrgängen sowie in Praktika. 2017 dürften noch deutlich mehr Flüchtlinge als letztes Jahr eine Ausbildung im Handwerk begonnen haben.

Wie viele der eine Million Handwerksbetriebe suchen derzeit Personal?

Fast die Hälfte. In einigen Regionen ist es besonders schwierig, zum Beispiel im Südwesten, wo Fachkräfte in die Schweiz abgeworben werden. Und im Osten fehlt es teils an jungen Leuten, weil die aus manchen Regionen weggezogen sind.

Warum wollen junge Leute Tischler werden, aber nicht Bäcker, Fleischer oder Klempner?

Tischler war schon immer ein Beruf, der keine Nachwuchsprobleme hatte. Damit verbinden viele ein kreatives Handwerk. Der Kreativität ist aber in vielen Berufen keine Grenze gesetzt, gerade auch bei Bäckern oder Konditoren. Es gibt heute Konditoreien, bei denen sich die Kunden im Netz die Torte konfigurieren können. In Königswinter zum Beispiel gibt es einen Konditor, der beschäftigt 30 Arbeitskräfte und liefert in 38 Länder. Der könnte seine Mannschaft verdoppeln – wenn er die Fachkräfte hätte.

Wie wäre es mit mehr Geld?

Das Handwerk wird verkannt. Wir haben Mindestlöhne, zum Beispiel bei Malern und Lackierern von über 13 Euro. In der Öffentlichkeit ist das Bild verzerrt, weil immer nur einzelne Gewerke herausgegriffen und die dortigen Verdienstmöglichkeiten auf das ganze Handwerk übertragen werden. Ein Meister verdient ähnlich gut wie ein studierter Bachelor. Ein Hochbaumeister verdient sogar mehr als ein Architekt. Auch das Risiko, arbeitslos zu werden, ist für einen Meister deutlich geringer als für einen Akademiker.

Was soll der Berufsbildungspakt beinhalten, den Sie von der Politik fordern?

Es geht um eine gleichwertige Förderung beruflicher und akademischer Ausbildung, gerade auch in finanzieller Hinsicht. Unsere rund 600 Bildungsstätten, die wir für die überbetriebliche Aus- und Weiterbildung unterhalten, müssen in punkto Digitalisierung auf dem neuesten Stand sein. Auch die Berufsschulen müssen besser mit technischen Mitteln und Personal ausgestattet werden. Eine bessere Finanzierung der Meisterprüfung sollte im Bildungspakt enthalten sein.

Das Handwerk ist auf goldenen Boden unterwegs, trotzdem wollen Sie Hilfe vom Steuerzahler – ein Milliardenprogramm zur energetischen Gebäudesanierung, von dem vor allem Handwerker profitieren würde.

Damit helfen wir der Regierung, die Klimaziele zu erreichen.

„Wir müssen etwas für den sozialen Zusammenhalt tun“, sagen Sie und fordern gleichzeitig die Abschaffung des Solidarzuschlags, wovon Besserverdienende vor allem profitieren. Wie passt das zusammen?

Sozialer Zusammenhalt entsteht vor allem über Bildung. Wenn jemand gut ausgebildet ist, kann er sich selbstbewusst beruflich und privat entwickeln, wird sich integrieren und seinen Platz in der Gesellschaft finden. Dann hat er keine Lebensängste. Investitionen sind entscheidend: In Bildung, aber auch in Infrastruktur. Wir dürfen uns keine Funklöcher erlauben. Gerade in den abgelegenen Regionen ist die digitale Infrastruktur überlebenswichtig. Glasfaser muss es möglichst rasch bis in den kleinsten Ort geben, damit Handwerksbetriebe in ländlichen Regionen nicht abgehängt werden.

Sie hoffen nach dem Platzen von Jamaika auf eine große Koalition. Wie zufrieden sind Sie mit der vergangenen Legislatur?

Es gibt Licht und Schatten. Die Rente mit 63 tut weh. Dadurch ist der Fachkräftenotstand verschärft worden. Das hat uns tausende erfahrene Kräfte gekostet, die noch zwei Jahre hätten arbeiten können.

Kann ein Maler oder Dachdecker, der mit 16 oder 17 Jahren die Ausbildung begonnen hat, mit 63 noch auf Dächern rumklettern?

Sicher nicht alle, doch heutzutage sind viele in dem Alter noch ziemlich fit. Aber in der Regel und besonders auch in größeren Betrieben setzt man die Älteren für Tätigkeiten ein, die physisch nicht so belastend sind. Und ganz klar ist für uns auch: Wenn sich jemand krummgearbeitet hat, und es wirklich nicht mehr geht, dann muss dem eine vernünftige Berufsunfähigkeitsrente gezahlt werden als Anerkennung seiner Lebensleistung.

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