Homeoffice für Wissenschaftler: Der virtuelle Professor
Video-Vorlesungen halten, im Homeoffice forschen und digitalen Smalltalk führen: Was im Online-Sommersemester zum Job der Berliner Wissenschaftler gehört.
Mit Vorträgen vor laufender Kamera kennt sich Sascha Friesike bestens aus. Der Hochschulprofessor ist für eine Online-Lernplattform im Einsatz und erklärt in Youtube-Videos regelmäßig, wie die Digitalisierung die Gesellschaft verändert. Kein Wunder also, dass der 36-Jährige im Zuge von Corona-Pandemie und geschlossenen Hochschulen kurzerhand alle seine Vorlesungen in den digitalen Raum verlegen konnte. Friesike leitet den Studiengang „Leadership in digitaler Innovation“ an der Universität der Künste (UdK) in Berlin. „Wenn man einen solchen Studiengang führt, kann man auch schlecht sagen, dass man das mit der Digitalisierung nicht hinbekommt“, sagt Friesike. Kurse jetzt ausfallen zu lassen, war für den Professor deshalb keine Option. Für viele Hochschullehrende, die anders als er nicht vom Fach sind, ist es eine immense Herausforderung, ihre Seminare und Vorlesungen in so kurzer Zeit in den digitalen Raum zu verlegen.
Um die Hochschulen dabei zu unterstützen, die Online-Lehre zum Sommersemester auf den Weg zu bringen, hat Berlin Ende März ein Sofortprogramm beschlossen, über das sie insgesamt zehn Millionen Euro vom Senat erhalten haben für IT-Infrastruktur, neue Server, Videoanlagen und Softwarelizenzen.
Digitale Tools sind Zeitfresser
Ein Kraftakt sei die Umstellung auch für ihn gewesen, sagt Friesike. Die digitalen Werkzeuge müsse man erst einmal bedienen können. „Das frisst viel Zeit und wird selten angesprochen.“ Die größten Herausforderungen sieht er aber auf anderen Ebenen: „In einem Raum voller Studierender spürt man die Stimmung, man merkt, wer gelangweilt ist, wer gereizt“, sagt Friesike. „Digital ist es viel schwerer und manchmal unmöglich, dafür ein Gefühl zu bekommen.“
Nicht nur in der Lehre ist Flexibilität gefragt. Friesike kann wegen der Kontaktbeschränkungen keine Fachveranstaltungen besuchen oder vor Fachpublikum und Forscherkollegen Vorträge halten. Die fallen jetzt aus. Forschungsergebnisse präsentieren und Kontakte knüpfen? Das ist aktuell schwierig.
Monika Klinkhammer kennt die Sorgen vieler Wissenschaftler. Die Diplom-Pädagogin arbeitet in Berlin als Hochschulcoachin. „Informelle Gespräche sind im virtuellen Raum kaum möglich“, sagt sie. Während es in normalen Zeiten üblich sei, am Rande von Veranstaltungen auch über Smalltalk Beziehungen aufzubauen, gehe es in digitalen Konferenzen meist nur um die Sache. „Wissenschaftler sollten schauen, dass der persönliche Kontakt nicht auf der Strecke bleibt“, sagt Klinkhammer. Auch ohne konkretes Vorhaben könne man sich zum telefonischen Austausch verabreden.
Wie soll man jetzt Fallstudien betreiben?
Die Corona-Krise treffe Wissenschaftler ganz unterschiedlich, je nach Stand, Fachgebiet und auch Forschungsprojekt. Vor allem jene, die gerade etwa Feldstudien im sozialen Bereich durchführen, können kaum weiter forschen. Altenheime haben Kontaktverbote verhängt, Schulen und Kitas sind im Notbetrieb. „In einer solchen Lage eine ganz neue Studie zu kreieren, ist eine große Herausforderung“, sagt Klinkhammer. Jetzt aber nicht weiter forschen zu können wie bisher könne gravierende Auswirkungen haben, etwa wenn ein Projekt eine empirische Forschungsarbeit zur Habilitationsschrift werden sollte. „Das kann für manchen Wissenschaftler bedeuten, dass er ein, zwei Jahre länger braucht.“ Klinkhammers Ratschlag: Wer seinen Job auch als Dienst an der Gesellschaft verstehe, könne jetzt Fragen zur Corona-Krise in sein Forschungsvorhaben einbeziehen – und damit einen weitergehenden Nutzen stiften.
Viele ihrer jüngeren Klienten sorgten sich darüber hinaus um anstehende Berufungsverfahren für eine Professur. Denn auch diese wurden im Zuge der Pandemie an den meisten Hochschulen jetzt digitalisiert. Vorstellungsgespräche finden häufig per Videokonferenz statt, Probe-Lehrveranstaltungen im virtuellen Hörsaal. Auf solche Termine müssen sich die Postdoktoranden besonders vorbereiten. „Hier stellen sich viele Fragen, wie das reibungslos ablaufen und gelingen kann“, sagt Klinkhammer.
Die Perspektiven, jetzt einen neuen Arbeitsvertrag abzuschließen, seien aber gut. „Momentan bieten sich viele Freiräume“, sagt sie. Vorgesetzte seien auf der Suche nach Kompetenzen, die in der Corona-Krise gefragt sind, etwa bei der virtuellen Lehre und Forschung. Wer sich beweise, habe jetzt gute Chancen auf eine Anschlussbeschäftigung.
Jenen digitalen Vorreitern rät Klinkhammer zudem, darauf zu achten, dass ihre Leistung anerkannt wird. „Wir haben es in der Wissenschaft mit einem zur Selbstausbeutung verleitenden System zu tun“, sagt sie. Wer etwas könne, werde oft eingespannt, um andere zu beraten – und habe deshalb am Ende womöglich weniger Zeit für seine eigentlichen Aufgaben. Erfolgsorientierte Wissenschaftler sollten deshalb ans Selbstmarketing denken. Sie könnten ihre Vorgesetzten regelmäßig über die Arbeit informieren, sollten sich mit ihnen über Chancen und Grenzen des zusätzlichen Engagements absprechen, rät Klinkhammer.
Auch wenn Sascha Friesike mit der digitalen Lehre vertraut ist und seine Vorträge verschoben werden oder ausfallen: Zusätzliche Zeit habe er nicht. „Die Krise bringt einen großen Koordinationsaufwand mit sich, der jeden einzelnen Aspekt meiner Arbeit betrifft: Wie kann man Stellen neu besetzen? Wie das Team koordinieren?“ Und auch Online-Konferenzen sind für ihn kein wirklicher Ersatz: „Man lacht dabei viel weniger als im echten Leben“, sagt der UdK-Professor.
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