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Verlockend: Zugang zum Finanzmarkt der Volksrepublik wollen viele ausländische Institute. Die Bedingungen diktiert allerdings Peking. Foto: imago images
© imago images/Imaginechina-Tuchon

US-Banken in China: Der Run der Wall Street auf das Vermögen der neuen Mittelschicht

24 Milliarden investierbares Kapital wähnen US-Finanzinstitute bei Chinas neuer Mittelschicht. Doch die Volksrepublik macht es den Banken schwer.

Die Genehmigung einer exklusiven Lizenz um Finanzprodukte in China anzubieten, sollte sich eigentlich anfühlen, wie einen Sechser im Lotto. Doch stattdessen schwiegen ausländische Unternehmen bislang lieber darüber. Denn oft war nicht klar, was das überhaupt bedeutet.

Ende August hat Chinas Börsenaufsicht, die Chinese Securties Regulatory Commission (CSRC), dem weltweit größten Vermögensverwalter Blackrock die Erlaubnis erteilt, in China einen eigenen Investmentfonds zu gründen. Auch andere Wall-Street-Banken drängt es derzeit immer stärker auf den chinesischen Finanzmarkt. Die britische Großbank HSBC erhielt grünes Licht, um die volle Kontrolle über ihre chinesische Lebensversicherungssparte zu übernehmen und die Citibank erhielt eine begehrte Lizenz für institutionelle Anleger in China. Die größte US-Fondsgesellschaft, Vanguard, beschloss gar ihren Hauptsitz in Asien nach Shanghai zu verlegen.

„Bis zum 3. September machten alle ausländischen Kapitalbeteiligungen 4,69 Prozent des Wertes von in China gehandelten Aktien aus, was im Vergleich zu anderen Aktienmärkten wie Japan und Südkorea – wo ausländische Beteiligungen mehr als 30 Prozent ausmachen – immer noch sehr gering ist“, sagte Fang Xinghai, stellvertretender Vorsitzender der chinesischen Börsenaufsicht CSRC jüngst auf dem jährlichen China International Finanzforum in Peking.

China lockert Regeln mitten in der Krise

China habe die Beschränkungen für ausländische Beteiligungen in den Bereichen Bankwesen, Wertpapiere, Termingeschäfte und Fondsverwaltung aufgehoben und Beschränkungen für die Qualifikation der Anteilseigner – wie den Umfang der Vermögenswerte und die Betriebsdauer – verringert, erklärte Chen Yulu, stellvertretender Gouverneur der Chinesischen Zentralbank PBOC. Laut deren Berechnungen ist der Saldo des inländischen Finanzvermögens in der chinesischen Währung Renminbi, das von ausländischen Institutionen und Privatpersonen gehalten wird, bis Juli auf 7,74 Billionen Yuan (umgerechnet 1,1 Billionen Dollar) um 37 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum gestiegen.

Schon im März, mitten in der Coronakrise, hatte Peking die Restriktionen für die US-Geldhäuser Goldman Sachs und Morgan Stanley gelockert und ihnen erlaubt die Mehrheit ihrer chinesischen Gemeinschaftsunternehmen zu übernehmen. US-Investmentbank Goldman Sachs erhöhte daraufhin seine Anteile am Joint Venture mit Gao Hua Securities von 33 Prozent auf ganze 51 Prozent. Nur drei Monate bevor die Investmentbank am 15. Januar ihre Quartalszahlen in New York präsentierte, wurde bekannt, dass die renommierteste Investmentbank der Wall Street plant, ihre Belegschaft in China in den zu verdoppeln.

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Das Ziel, die Zahl der Mitarbeiter auf 600 zu erhöhen, sei Teil eines Fünfjahresplans aus der Führungsebene der New Yorker Investmentbank, berichtete die Agentur Bloomberg unter Berufung auf einen Insider. Goldman-CEO David Solomon, der seit knapp zwei Jahren an der Spitze steht, soll schon 2018 eine ausgearbeitete China-Strategie von seinen Angestellten gefordert haben.

24 Milliarden Dollar investierbares Vermögen

Voraussetzung dafür ist, dass die chinesische Regierung ihre Politik der Finanzmarktöffnung weiter verfolgt. Dann lockt vor allem das Kapital, das auf den Sparkonten der Mittelschicht liegt. Nach Angaben der Beratungsfirma Oliver Wyman soll das investierbare Vermögen von Privatkunden in der Volksrepublik von derzeit gut 24 Milliarden Dollar bis zum Jahr 2023 auf 41 Milliarden Dollar anwachsen.

Die Zahl gut ausgebildeter und international erfahrener Vermögensverwalter im Land ist dagegen noch gering. Aus Sicht der Wall Street Manager gibt es außerdem nichts zu verlieren: Die fünf größten US-Banken haben gerade mal 1,6 Prozent ihres Vermögens in China oder Hongkong investiert.

Zahlungsausfälle dank Corona drohen

Für Peking ist die Öffnung ein Instrument, um Kapital aus dem Westen ins Land zu holen und durch Anleihen und Aktien die Kreditnachfrage bei den eigenen, insbesondere den staatlichen Banken zu reduzieren. Denn noch immer sind Chinas Unternehmen bei den Banken hoch verschuldet. In diesem Jahr könnte es eine regelrechte Flut an Zahlungsausfällen geben. So hat das Kreditvolumen bei den Staatsbanken im ersten Halbjahr um sieben Prozent zugelegt, während gleichzeitig die Gewinne stark fielen. Die Regierung wies die Banken zuletzt an, mehr Kredite zu genehmigen, um die Wirtschaft, nach dem Corona-Stillstand wieder anzukurbeln.

In der Skyline von Hongkong hat die britische HSBC schon lange einen wichtigen Platz inne.
In der Skyline von Hongkong hat die britische HSBC schon lange einen wichtigen Platz inne.
© REUTERS/Bobby Yip/File

Dass die chinesische Regierung allein ihr Versprechen für weitere Öffnung der Kapitalmärkte durch die Vergabe von Lizenzen unter Beweis stellen will, ist fraglich. Aus westlicher Sicht verläuft dieser Prozess viel zu langsam. Die Aufsichtsbehörden verfolgen wohl eher den Plan, dass heimische Unternehmen durch die Ausgabe von Anleihen und Aktien mehr Finanzmittel aufnehmen, um ihre Abhängigkeit von Bankkrediten zu verringern.

Allein im vergangenen Jahr sind so schon rund 200 Milliarden Dollar aus dem Ausland in den chinesischen Kapitalmarkt geflossen. Die Auslandsbestände an chinesischen Aktien und Anleihen waren Ende Juni um 50 beziehungsweise 28 Prozent höher als ein Jahr zuvor, wie aus Daten des „Economist“ hervorgeht.

Der unfreie Markt erschwert die Situation

Dabei könnte die Situation schlechter nicht sein: Es gibt keinen freien Markt in China. Bisher hält die Kommunistische Partei den heimischen Finanzmarkt fest im Griff. Die Chefs der ausländischen Finanzinstitutionen, die in China tätig sind, sind nach Jahren angekündigter Reformen auf dem Finanzmarkt müde. Einer formuliert das Problem folgendermaßen: „Nur weil wir jetzt als ausländische Bank eine Lizenz für Produkt A haben, heißt das nicht, dass wir auch Produkt B anbieten können, dabei gehören sie beide vielleicht der gleichen Kategorie an.“

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Peking hat in der Vergangenheit schmerzhaft erfahren müssen, was es bedeutet, den Markt zu sehr zu kontrollieren. 2015 brach der Aktienindex Shanghai Composite innerhalb von drei Wochen um mehr als 30 Prozent ein. Zocker, Profis und Rentner hatten damals rund fünf Billionen Dollar verspielt.

China kennt noch keine Finanzkrise

Noch schwerer als das verlorene Geld, wiegt das dadurch verlorene Vertrauen in den Staat. Trotz dieser einschneidenden Erinnerungen: China hat, anders als der Rest der Welt, bisher keinen Zusammenbruch von Banken erlebt, da Finanzstrukturen, wie Kreditderivate in China lange Zeit nicht existierten.

Stabiler und berechenbarer sollen die Finanzmärkte durch den Wettbewerb aus dem Ausland werden, so hat es der ehemalige PBOC-Chef Zhou Xiaochuan immer wieder gepredigt. Auch wenn nun alles danach aussieht, als ob sich die Mühen ausgezahlt haben und sich die liberalen Offiziere im Kern der Kommunistischen Partei durchgesetzt haben – ein transparenter, offener Finanzmarkt ist noch nicht entstanden. So musste Blackrock beispielsweise einwilligen, die Daten seiner chinesischen Kunden nur im Land zu speichern.

Der Zugang zum 46 Billionen Dollar schweren Finanzmarkt der Volksrepublik, zu dem auch Vermögensverwalter und Versicherer gehören, lockt derweil Institute weit über die Wall Street hinaus. Sie alle werden den Wettbewerb allerdings nach Chinas Bedingungen austragen müssen. Staats- und Parteichef Xi Jinping betonte dies jüngst bei einem Treffen mit Bankern. Er begründete offen, dass es darum gehe, die „finanzielle Souveränität“ der Nation zu wahren.

Ning Wang

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