Dubiose P2P-Kredite: Wie reiche Chinesen die private Verschuldung befeuern
Weil keine Geldanlage gute Renditen verspricht, vergeben Privatleute Kredite untereinander. Dadurch wächst die Verschuldung von Chinas Haushalten rasant.
Wenn von Chinas Verschuldung die Rede ist, sind meist die Verbindlichkeiten der öffentlichen Hand gemeint. Doch auch Chinas Bürger haben inzwischen einen großen Schuldenberg aufgetürmt. Die Verschuldung der privaten Haushalte belief sich Ende 2018 auf 60 Prozent des chinesischen Bruttoinlandsprodukts, wie die chinesische Zentralbank PBOC in ihrem jährlichen Finanzstabilitätsbericht mitteilte.
Zum ersten Mal lag die Verschuldung der privaten Haushalte damit bei 99,9 Prozent. Durchschnittlich hat also jeder chinesische Haushalt genauso viele Schulden, wie das durchschnittliche Jahreseinkommen der Haushalte beträgt. „Die Schuldenrisiken des Haushaltssektors und einiger Haushalte mit niedrigem Einkommen in einigen Regionen sind relativ hoch und sollten beachtet werden“, schrieb die PBOC und forderte eine strengere Politik zur „Abwehr der Schulden des Haushaltssektors“.
Die Warnung der Zentralbank kommt zu einer Zeit, in der die zweitgrößte Volkswirtschaft nichts unversucht lässt, um einer zunehmenden konjunkturellen Abkühlung entgegenzuwirken. Jüngstes Beispiel: Am Mittwoch entschied die Zentralbank, den Banken noch mehr Spielraum für Kredite zu geben, indem sie die Reserveanforderungen für Geldhäuser weiter senkt. Damit sollen rund 800 Milliarden Yuan (102 Milliarden Euro) frei werden. Zuletzt war das chinesische Wachstum auf den niedrigsten Stand seit etwa drei Jahrzehnten gesunken ist. Peking erwartet für das kommende Jahr ein Wachstum von „rund sechs Prozent“.
Peer-2-Peer-Anbieter in den Schlagzeilen
Doch um das zu erreichen, müssen die Bürger konsumfreudig bleiben. Denn solange im Handelskonflikt mit den USA kein Ende erreicht ist, bleibt Chinas Wirtschaft vom Konsum im Inland abhängig. So trägt die Mittelschicht durch ihren Konsum mehr als 60 Prozent zum Bruttoinlandsprodukt bei – und das schon seit 2015. Zum größten Online-Einzelhandelsmarkt weltweit ist das Land ebenso aufgestiegen, wie es mittlerweile auch über 30 Prozent des Weltmarktes für Luxusgüter, Autos, Mobiltelefone und Spirituosen ausmacht.
Das Geld dafür wird nur eben immer häufiger geliehen. Und das Gefährliche daran ist, dass dies nicht über die Banken erfolgt, sondern vermehrt auch über eine Vielzahl von Plattformen, die die Rolle des Vermittlers zwischen chinesischen Sparern und Kreditnehmern übernommen haben; sogenannte Peer-2-Peer-Lenders (P2P), die zwischen zwei Privatpersonen Kredite einfädeln. Nachdem die Aktienmärkte 2018 in China ein schlechtes Jahr erlebten und an den Immobilienmärkten in vielen Großstädten aufgrund der rasant gestiegenen Preise eine Blase zu platzen drohte, suchten viele Anleger nach Alternativen und landeten bei den P2P-Anbietern. Sie versprechen den Kreditgebern hohe Renditen, den Kreditnehmern auf der anderen Seite schnelles Geld auch bei schwacher Bonität, was diese allerdings mit horrenden Zinssätzen bezahlen müssen.
Gerade für die sogenannte Generation Z der Mitte der 90er-Jahre Geborenen sind die P2P-Kredite häufig der einzige Zugang zu einem Darlehen, wenn die Eltern nicht flüssig oder willig waren, aber ein kostspieliger Herzenswunsch schnell erfüllt werden sollte. Die junge Generation hat sich so auf eine Weise verschuldet, wie es ihre meist sparsameren Elterngeneration nicht getan hat.
Möglich wurde das meist durch Fintechs oder Onlinebanken, die ohne bürokratische Hürden sofort Geld verleihen und auch noch flexibel sind, wenn die Rückzahlung nicht pünktlich gelingt. Doch inzwischen häufen sich die negativen Schlagzeilen über die P2P-Anbieter. Denn dank der verlockend einfachen Handhabung wussten die Kreditnehmer oft gar nicht, wie tief und schnell sie sich verschuldet hatten. Wie in einem Schneeballsystem haben sich viele chinesische Bürger über zweifelhafte P2P-Lender Geld geliehen, deren Rückzahlungsfristen sehr kurz sind.
Private Verschuldung kein systemrelevantes Risiko
Wie zweifelhaft diese Anbieter waren, wurde an einer Reihe von Skandalen deutlich, in denen die Besitzer kleiner Onlinekreditgeber mit dem Geld ihrer Investoren untergetaucht sind, anstatt es zu investieren. Kreditnehmer wiederum haben häufig Konsumentenkredite verwendet, um Immobilien zu kaufen oder am Aktienmarkt zu spekulieren, wie mehrmals bekannt wurde. Einige Familien haben so ihre gesamten Ersparnisse verloren. Die Zinssätze für überzogene Kredite sind durch Gebühren und andere Vehikel teils auf über 40 Prozent gestiegen, obwohl die gesetzliche Maximalgrenze dafür bei 36 Prozent liegt. Bereits Ende 2017 hatte die Regierung in Peking angeordnet, P2P-Kreditgeber müssten Lizenzen für ihr Geschäft beantragen. Viele hatten sich damals beworben, es wurden aber keine Lizenzen erteilt. Nun macht die Regierung ernst. In den ersten neun Monaten des Jahres 2019 wurden rund 1200 Kreditgeber geschlossen.
Die Schuldenfallen für Privathaushalte seien aber kein systemrelevantes Risiko, so Analysten. Mehr als die Hälfte der Verschuldung der privaten Haushalte ist mit Sicherheiten hinterlegt, da ein Großteil davon an Wohnungsbau- oder Autokredite gebunden ist. Doch auch wenn Chinas Verschuldung der privaten Haushalte immer noch gering ist im Vergleich zu den USA (75 Prozent), so ist sie doch höher als in der EU, wo die Verschuldung der privaten Haushalte bei etwa 50 Prozent des Bruttoinlandsprodukts liegt.
Und Chinas Schuldenberge wachsen weiter. Auch wenn die Regierung gegen Peer-2-Peer-Kreditgeber durchgreift, entstehen andere Möglichkeiten, sich Geld zu leihen. So etwa durch Onlinekreditgeber wie Ant Financial, das von Alibaba-Gründer Jack Ma ins Leben gerufen wurde. Und auch bisher kaum genutzte Kreditkarten werden immer beliebter. Die ausstehenden Kreditkartenschulden erreichten in China bis Ende 2018 etwa eine Billion US-Dollar, nachdem sie in den vergangenen Jahren jährlich um mehr als 30 Prozent gestiegen waren, wie aus Zahlen der US-Ratingagentur Fitch Ratings hervorgeht.
Ning Wang