Traditionskonzern muss Dax verlassen: Der Niedergang von Thyssen-Krupp ist hausgemacht
Die Industrielegende steigt aus der höchsten deutschen Börsenliga ab. Es ist das Resultat von Managementfehlern und Selbstherrlichkeit. Ein Kommentar
Hochmut kommt vor dem Fall. Diese Binsenweisheit hörte man in den vergangenen Jahren häufiger in Essen. Jetzt bekommt der Absturz eine neue Facette. Thyssen-Krupp, einer der traditionsreichsten Konzerne des Landes, steigt aus der ersten Börsenliga ab. Nach Managementfehlern, Führungskrisen und Strategiechaos ist das Unternehmen nur noch sieben Milliarden Euro wert. Zu wenig für den Deutschen Aktienindex. In den letzten zwölf Monaten verlor die Aktie des Ruhrkonzerns die Hälfte ihres Werts. Die Ursache der Kapitalvernichtung liegt indes viel länger zurück. Das Misstrauen der Anleger ist immer größer geworden, weil das Vertrauen in die Krisenkompetenz des Managements schrumpfte.
2006 war in Essen die Entscheidung für den Bau von zwei riesigen Stahlwerken in den USA und Brasilien gefallen. Es sollte eine der größten Fehlinvestitionen in der Industriegeschichte werden. Nach reichlich Pleiten, Pech und Pannen verkaufte Heinrich Hiesinger, der 2010 von Siemens auf den Chefposten bei Thyssen-Krupp gewechselt war, die neuen Anlagen. Insgesamt verbrannte der Konzern acht Milliarden Euro in Übersee und leidet bis heute unter einer Fehlentscheidung, die in einer bestimmten Kultur getroffen worden war: In der Essener Zentrale fuhr der Vorstand im eigenen Aufzug in die oberste Etage, wo es ein Restaurant nur für den Vorstand gab. Es ging zu wie bei Hofe; das Gehabe der Ruhrbarone war ins 21. Jahrhundert geschwappt, und von der Villa Hügel aus wachte Berthold Beitz als Patriarch der Krupp-Stiftung über den Konzern.
Ein schwerer Rückschlag, der dem nächsten folgte
Hiesinger räumte auf – und er hatte einen Plan. Thyssen-Krupp sollte ein Industriekonzern werden, der in Hightech-Bereichen Geld verdient und sich aus dem konjunkturanfälligen Stahl zurückzieht. Keinesfalls wollte Hiesinger die profitable Aufzugsparte verkaufen, wie das aktivistische Investoren forderten. Nach der Abspaltung des Stahls sollten vielmehr die Profite der Aufzüge genutzt werden für Investitionen in die Automobilzulieferung, den Anlagenbau sowie in den Handel von Roh- und Werkstoffen. Doch die Investoren beharrten auf schneller Rendite. Und Hiesinger trat vor gut einem Jahr entnervt zurück.
Das war ein schwerer Rückschlag, dem bald der nächste folgte: Die EU blockierte das geplante Stahl-Joint-Venture mit Tata, die Abspaltung des Stahls wurde abgeblasen und Guido Kerkhoff als neuer Vorstandschef verkündetet den nächsten Strategiewechsel: Börsengang des Aufzugsbereichs. Der Wert der Sparte, die Aufzüge, Fahrtreppen und Fluggastbrücken produziert, liegt bei rund 15 Milliarden Euro. Das ist mehr als doppelt so viel wie der derzeitige Börsenwert des Konzerns insgesamt und veranschaulicht das Elend. Thyssen-Krupp geht es so schlecht, dass der profitabelste Geschäftsbereich verkauft werden muss. Das kostet Zukunft.
Der Vorstand wähle jetzt einen „neuen, disruptiven Ansatz unter Anerkennung der Realitäten“, formulierte Kerkhoff im Mai, als er die Streichung von 6000 Arbeitsplätzen ankündigte. Das macht aber noch keinen starken Industriekonzern. Der Vorstand sollte bald liefern und Aufschluss geben über Teil-Börsengang oder Komplettverkauf der Aufzugsparte sowie die derzeit spekulierte Übernahme des Stahlhändlers Klöckner & Co. Kerkhoff braucht eine Strategie, die auch die Börse überzeugt. Oder es droht der nächste Fall.
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