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Zentrale ThyssenKrupp in Essen mit "Danke Heinrich" auf Fassade per Twitter von @thyssenkrupp
© Thyssen-Krupp

Thyssen-Krupp in der Krise: Chaoswoche endet mit Übergangschef

Der bisherige Finanzchef Guido Kerkhoff soll den Dax-Konzern vorerst führen - die Belegschaft trauert aber Ex-Chef Heinz Hiesinger hinterher.

Ihr Bedauern ist größer, als sie mit Worten ausdrücken können: In der Mitte der gläsernen Thyssen-Krupp-Zentrale in Essen haben Mitarbeiter ein weißes Transparent aufgehängt, auf dem „Danke!! Heinrich“ steht. Darüber ein gezeichnetes blaues Herz.

Heinrich Hiesinger, 58 Jahre alt, hatte vergangene Woche überraschend seinen Rücktritt als Vorstandsvorsitzender eingereicht. Nach sieben Jahren im Amt. Als Grund gab er unterschiedliche Auffassungen über die strategische Ausrichtung des Unternehmens an. Tatsächlich stand Hiesinger unter dem starken Druck zweier Großaktionäre, die ein schnelleres Tempo beim Umbau des Konzerns forderten. Gegen eine Zusammenlegung der Stahlsparten des indischen Tata-Konzerns und von Thyssen-Krupp gab es außerdem massiven Widerstand im Aufsichtsrat.

Nun führt Finanzvorstand Guido Kerkhoff vorerst den Milliardenkonzern. Der Aufsichtsrat habe einstimmig beschlossen, den 50-Jährigen zum Vorstandsvorsitzenden zu ernennen, hieß es am Freitag. Er solle die Geschicke des Unternehmens leiten, bis der Aufsichtsrat den Prozess zur Findung eines Nachfolgers für Hiesinger beendet habe. Kerkhoff ist ein langjähriger Weggefährte Hiesingers. Er war maßgeblich an den Verhandlungen für einen Zusammenschluss der Stahlsparte mit der des Konkurrenten Tata Steel beteiligt. 2011 war Kerkhoff von der Deutschen Telekom zu Thyssen-Krupp gewechselt.

Heinrich Hiesinger (l.) und Guido Kerkhoff.
Heinrich Hiesinger (l.) und Guido Kerkhoff.
© dpa

Die Belegschaft ist wütend und enttäuscht

Hiesinger ist nach Deutsche-Bank-Chef John Cryan, Volkswagen-Boss Matthias Müller und Beiersdorf-Chef Stefan Heidenreich der vierte Vorstandsvorsitzende eines Dax-Konzerns, der in diesem Jahr geht. Dabei wurde Hiesinger von seinen Kollegen und der Belegschaft gemocht, beinahe verehrt. Aufsichtsratschef Ulrich Lehner nannte seine Entscheidung „klug, bescheiden, konsequent“ – und erhob wenige Tage später in einem Interview der „Zeit“ schwere Vorwürfe gegen die Aktionäre. Manche beschritten Wege, „die teilweise schon als Psychoterror bezeichnet werden können“. Damit meinte er: „Unwahrheiten in der Öffentlichkeit zu platzieren, unberechtigte Rücktrittsforderungen bis hin zum Belästigen von Nachbarn und Familienmitgliedern.“

Einige Investoren seien dafür bekannt, dass jene Manager, die sie loswerden wollten, später in psychiatrische Behandlung gemusst hätten. Lehners Äußerungen werden als Attacke auf die Aktionäre Cevian und Elliott gedeutet. Cevian ist nach der Krupp-Stiftung, die 21 Prozent an Thyssen-Krupp hält, mit knapp 14 Prozent der zweitgrößte Aktionär. Der Hedgefonds Elliott, hinter dem der US-Milliardär Paul Singer steht, hat erst im Mai investiert und forderte sofort Hiesingers Rücktritt. Elliott ist dafür bekannt, das Management massiv unter Druck zu setzen.

Als wäre das noch nicht genug der Turbulenzen, äußerten die 160000 Beschäftigten ihre Wut öffentlich – allerdings nicht adressiert an die Finanzinvestoren, sondern an die eigene Stiftung: „Wir sind traurig, enttäuscht und wütend“, heißt es in dem offenen Brief der Mitarbeiter an Chefin Ursula Gather. „Traurig, weil wir einen aufrechten und gerechten Firmenchef verloren haben. Enttäuscht, weil die Stiftung in ihrem Kernauftrag, das Erbe von Alfried Krupp zu wahren, versagt hat. Wütend, weil Sie persönlich, den Mann, den Berthold Beitz zur Rettung unseres Unternehmens geholt hat, nicht so unterstützt haben, wie er es verdient gehabt hätte.“ Das Vertrauen der Belegschaft in die Stiftung sei verloren.

Selbst die Politik schaltet sich ein

Das Stiftung verwaltet seit 1968 das Erbe des Unternehmensgründers Alfried Krupp – und insbesondere die Beteiligung am Stahlkonzern. Aus den Erlösen fördert sie Kultur und Wissenschaft. Jahrzehntelang hatte Berthold Beitz die Stiftung geführt. Nach seinem Tod im Jahr 2013 übernahm Gather, die hauptberuflich Rektorin der Universität Dortmund ist, das Amt. Laut Satzung ist es eine Aufgabe der Stiftung, die Einheit des Unternehmens zu wahren. Der Vorwurf, der hinter dem Brief der Mitarbeiter steht: Auf der entscheidenden Sitzung des Aufsichtsrates am 29. Juni hatte Gather zwar für Hiesingers Plan gestimmt, den Stahlbereich in ein Gemeinschaftsunternehmen mit der indischen Tata auszulagern und so den Konzern vorerst zumindest als Mischkonzern zu erhalten. Doch sie habe sich nicht überzeugend genug hinter Hiesinger und Aufsichtsratschef Ulrich Lehner gestellt, lautet der Vorwurf.

Die Sitzung des Kontrollgremiums war auch der Auslöser dafür, dass Ex-Telekomchef René Obermann den Aufsichstrat verlässt. Er hatte gegen das Joint-Venture gestimmt und war dafür intern heftig kritisiert worden. Der Scherbenhaufen ist so groß geworden, dass sich die Politik einmischt: Armin Laschet, Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, traf sich am Donnerstag mit Vorständen und der Gewerkschaft IG Metall – und warnte vor einer schnellen Zerschlagung. „Wir wollen eine langfristige Entwicklung und keine kurzfristige Verwertung“, sagte der CDU-Politiker. Es müsse einen breiten Konsens für die künftige Strategie geben. Die Krupp-Stiftung, in deren Kuratorium Laschet sitzt, die Gewerkschaften, der Vorstand, der Großaktionär Cevian und andere Beteiligte sollten darüber reden. „Alle müssen wieder zur Sachlichkeit zurückkehren“, mahnte er. „Wir tragen hier eine große Verantwortung.“ mit dpa/rtr

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