Verfall des Ölpreises: Der Krisenstoff
Öl funktioniert am besten als Schmiermittel der Weltwirtschaft, wenn der Preis für die Förderländer und die Verbraucher verträglich ist.
Wofür die Kälte doch gut ist. Der Temperaturrutsch in Nordamerika und Europa diente Ende der Woche als Erklärung für den deutlichen Anstieg des Ölpreises. Es wird mehr Öl zum Heizen gebraucht, weswegen der Barrelpreis am Freitag über die 30-Dollar-Marke stieg. An den in aller Welt gestiegenen Aktienkursen zeigte sich die Erleichterung.
Die Entwicklung der vergangenen 18 Monate ist atemberaubend, der Ölpreis fiel um rund 75 Prozent von 110 auf 27 Dollar am vergangenen Donnerstag, kurz vor dem Kälteeinbruch. Und wenn es wieder wärmer wird? Am originellsten ist dieser Tage die Prognose der Energiefachfrau Gail Tverberg, die einen Barrelpreis von null Euro für möglich hält, wenn die Öllager immer voller laufen. Noch besser: Man bekommt Geld dafür, wenn man den Ölförderern Öl „abkauft“, weil die Lagerkapazitäten erschöpft sind. Die Analogie zum Finanzmarkt drängt sich auf: Die Notenbanken haben in den vergangenen Jahren die Märkte so mit Geld geflutet und die Zinsen gedrückt, dass es inzwischen negative Zinssätze gibt. Das kann passieren, wenn Angebot und Nachfrage extrem weit auseinanderlaufen. Wie auf dem Ölmarkt.
USA haben sich zum Exporteur entwickelt
Vor allem die USA haben den Markt verändert. 2008 förderten die US-Amerikaner fünf Millionen Barrel am Tag, heute sind es neun Millionen. Vom Ölimporteur haben sie sich mit der Erschließung neuer Quellen unter anderem durch Fracking zum Exporteur entwickelt. Die Rückkehr des Iran auf den Weltmarkt mit einem Potenzial von gut drei Millionen Barrel/Tag hat den Preisdruck in den vergangenen Wochen deutlich erhöht.
Gleichzeitig geht die Nachfrage in wichtigen Verbrauchsländern wie China und Brasilien wegen der sich abschwächenden Konjunktur zurück. In die immer größer werdende Lücke aus Angebot und Nachfrage fallen die Ölförderländer. Früher reichte ein kleiner Streik von Ölarbeitern in Nigeria, um den Ölpreis nach oben schießen zu lassen. Heute destabilisieren Terroristen ganze Regionen, aber der Preis steigt nicht. Im Gegenteil.
Autofahrer und Heizölkäufer sparen Geld
Den negativen Effekten des Preisverfalls auf der Angebotsseite stehen positive Auswirkungen auf der Nachfrageseite gegenüber. Allein hierzulande haben Autofahrer und Heizölkäufer im vergangenen Jahr 13,5 Milliarden Euro weniger für Sprit und Öl ausgeben müssen als 2014. Das Geld kann für andere Dinge verwendet werden, sodass der fallende Ölpreis und der schwache Euro zuletzt die Hauptfaktoren waren für das Wachstum hierzulande. Statistiker haben ausgerechnet, dass ein um zehn Prozent sinkender Ölpreis das Wachstum der Weltwirtschaft um rund 0,25 Prozent befördert. Wenn es es aber so dramatisch abwärtsgeht wie zuletzt und das Öl alle möglichen anderen Rohstoff- und Aktienpreise mit runterzieht, dann verkehrt sich der Effekt: Investitionen finden nicht mehr statt, es kommt womöglich zu politischen Verwerfungen in Förderländern, die im Übrigen auch als Käufer, zum Beispiel von deutschen Maschinen, ausfallen.
Projekte zur Erschließung neuer Ölquellen im Volumen von rund 380 Milliarden Dollar sind aktuell auf Eis gelegt worden, weil es sich nicht lohnt. Damit ist die Grundlage gelegt für steigende Preise, wenn eine höhere Nachfrage auf ein geringeres Angebot trifft. Irgendwann wird Öl also teurer, ganz unabhängig vom Wetter.
SAUDI-ARABIEN
Der arabische Staat am Persischen Golf durchlebt derzeit ungewohnt schwere Zeiten – denn der Ölverkauf sorgt normalerweise für mehr als 90 Prozent der Staatseinnahmen. Wegen des Preisverfalls aber ist Saudi-Arabien im vergangenen Jahr tief in die roten Zahlen gerutscht. Der Staatshaushalt werde das Jahr mit einem Rekordminus von 89,4 Milliarden Euro abschließen, erklärte das Finanzministerium unlängst. Der Internationale Währungsfonds (IWF) warnt mittlerweile sogar, dass dem Land ohne Reformen in fünf Jahren die Staatspleite drohe. Die Regierung in Riad hat deshalb erste Konsequenzen gezogen: Die Benzinpreise wurden drastisch erhöht, während Subventionen für Wasser und Strom gekürzt wurden. Möglicherweise würden zudem öffentliche Dienstleistungen teurer, warnte die Regierung vor zwei Wochen. Auch könnte erstmals in der Geschichte eine Mehrwertsteuer eingeführt werden. Selbst Teile des staatlichen Ölgiganten Aramco, der größte Förderkonzern der Welt, stehen zum Verkauf, um die Haushaltslöcher zu stopfen. jcb
RUSSLAND
Von der Rohstoffmacht zum Krisenstaat: Russland leidet schwer unter den Folgen des Ölpreisverfalls. Rund 50 Prozent des Staatshaushalts werden mit Einnahmen aus dem Handel mit Öl und Gas bestritten. Weil die nun ausbleiben, muss sich Moskau andere Erlösquellen suchen. „Wir müssen den Staatshaushalt mit neuen Realitäten und schrumpfenden Mitteln konstruieren“, sagte Finanzminister Anton Siluanow kürzlich. So plant Moskau etwa durch die erneute Privatisierung von Staatsunternehmen rund 11,8 Milliarden Euro einzunehmen. Präsident Wladimir Putin nannte im Dezember Rosneft und die Fluggesellschaft Aeroflot als Kandidaten für die Privatisierung, äußerte zugleich aber Zweifel, dass die Marktbedingungen günstig seien. Denn parallel zum Ölpreis hat auch die Landeswährung Rubel an Wert verloren, zum Dollar beträgt das Minus mehr als 50 Prozent. Für die nahe Zukunft zumindest sieht Moskau daher auch schwarz: Das Bruttoinlandsprodukt werde wohl um 0,8 Prozent sinken, geht aus einer Prognose des Wirtschaftsministeriums hervor. jcb
CHINA
Das bevölkerungsreichste Land ist fünftgrößter Ölproduzent der Welt, exportiert aber quasi nichts davon. Alles wird im Land gebraucht – und kräftig dazugekauft: Der Stoff kommt vor allem aus dem Nahen Osten, gefolgt von Afrika und Russland. Im April vergangenen Jahres importierte das Land erstmals mehr als die USA. Mittel- und langfristig dürfte China größter Ölimporteur bleiben. Die Volksrepublik saugt in etwa ein Neuntel der global benötigten Menge auf. Die Opec ging Mitte 2015 noch davon aus, dass China 2015 drei Prozent mehr Öl verbrauchen wird als im Vorjahr. Das wären stolze 10,8 Millionen Barrel pro Tag gewesen. Zum Vergleich: Europas Ölbedarf sollte 2015 um 0,1 Prozent auf 13,5 Millionen Barrel sinken. Entsprechend heftig drücken die jüngsten Berichte über Chinas Konjunkturschwäche den Preis. So viel scheint klar: Ohne gute Konjunkturnachrichten aus China wird das Barrel kaum teurer. kph
USA
Der weltgrößte Technik-Dienstleister in der Ölbranche, der US-Konzern Schlumberger, hat seit dem Beginn des Preisverfalls rund 30 000 Jobs gestrichen. Allein im letzten Quartal 2015 betrug der Nettoverlust gut eine Milliarde Dollar. Schlumberger leidet darunter, dass Konzerne wie BP, Shell oder Exxon geplante Investitionen in die Ölförderung gestrichen haben. In den USA gingen bislang rund 30 Förderunternehmen mit einem Gesamtkreditvolumen von 13 Milliarden Dollar in Konkurs. Nach Schätzungen der Unternehmensberatung Alix Partners verlieren die US-Ölfirmen jede Woche zwei Milliarden Dollar. Bleibt der Ölpreis auf dem niedrigen Niveau, könnte bis Mitte nächsten Jahres bis zu einem Drittel aller US-Produzenten in die Knie gehen, warnt das Forschungsinstitut Wolfe. Die US-Wirtschaft insgesamt zeigt mittlerweile Wirkung, der Einkaufsmanager-Index in der Industrie fiel auf den niedrigsten Stand seit 2009. Inzwischen wird sogar für möglich gehalten, dass die Notenbank Fed ihre Zinswende überdenkt. alf
IRAN
Der Zeitpunkt könnte kaum ungünstiger sein: Zwar darf der Iran nach der Aufhebung der internationalen Handelsbeschränkungen wieder mehr Rohöl ausführen. Angesichts des Preisverfalls aber fällt der Einnahme-Boom – auf den die sanktionsgeplagte Wirtschaft des Landes gehofft hatte – wohl vorerst aus. Das Land hat zwar bereits angekündigt, seine Ausfuhren schnell um eine halbe Million Barrel je Tag steigern zu wollen. Ob eine rasche Erhöhung von Produktion und Ausfuhr gelingt, ist unter Experten aber umstritten. Zunächst muss etwa die Ölindustrie modernisiert werden. Auch der iranische Präsident Hassan Ruhani betonte zuletzt, dass ein kurzfristiger Boom unrealistisch sei. Dabei könnte der Iran eine gewichtige Rolle auf den Märkten spielen: Bevor der Streit über das Atomprogramm 2012 eskalierte, war der Iran im Ölkartell Opec nach Saudi-Arabien, dem mit Abstand mächtigsten Mitgliedsland, der größte Produzent. jcb
VENEZUELA
Das 30-Millionen-Einwohner-Land im Norden Südamerikas ist achtgrößter Öl-Exporteur der Welt und Mitglied im Opec-Kartell. Nach Berechnungen der Deutschen Bank von 2014 bräuchte die Regierung einen Preis von 162 Dollar je Barrel, um einen ausgeglichenen Staatshaushalt zu erreichen und die vielen Sozialprogramme und Subventionen zu finanzieren. Große Wohltaten kann sich die sozialistische Regierung schon lange nicht mehr leisten, so verlor sie unlängst auch die Parlamentswahl. Doch Präsident Nicolás Maduro, der nicht zur Wahl stand, klammert sich an die Macht. Vor einer Woche rief er den „Wirtschaftsnotstand“ aus – verbunden mit einem leidenschaftlichen Appell an die anderen Ölförderländer, die Fördermenge zu drosseln. Er beantragte eine Sondersitzung des Kartells, was von der Mehrheit der Mitglieder abgelehnt wurde. Das erste reguläre Opec- Treffen soll nicht vor Juni stattfinden. Doch auch wenn da etwas beschlossen werden würde – für Venezuelas Petro-Sozialisten wäre es wohl zu spät. kph
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