Wie sich der„Islamische Staat“ finanziert: „Der IS will keinen Profit, er will, dass es knallt“
Der ehemalige Investmentbanker und Terror-Finanzexperte Tom Keatinge spricht im Tagesspiegel-Interview über die Geldquellen des „Islamischen Staats“, die Unterschiede zu Al Qaida und warum die Terrormiliz bisher noch keine digitalen Währungen nutzt.
Herr Keatinge, lohnt es sich für eine Organisation wie die Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) finanziell, Städte wie Kobane einzunehmen?
Die Position der Stadt an der Grenze zur Türkei ist strategisch wichtig: Schmuggel ist eine wichtige Geldquelle für den IS.
Wie viel Geld hat der IS?
Von ein oder zwei Milliarden Dollar ist die Rede. Ich vermute, sie machen zwei oder drei Millionen Dollar am Tag mit dem Verkauf von Öl, dann hätten sie bis zu 500 oder 600 Millionen im Jahr. Dazu kommen eben noch die Steuern der Menschen vor Ort und das Geld und die Waffen und Fahrzeuge, die sie erbeuten.
Aber die Raffinerien in Syrien wurden vor kurzem von den USA bombardiert.
Die Bombardierung wird den IS bei der Finanzierung einschränken. Wenn ich der Finanzchef der IS wäre, würde ich mir überlegen, welche anderen Finanzierungsoptionen ich habe. Höhere Steuern für Privatpersonen wären möglich, auch wenn das ab einem gewissen Punkt kontraproduktiv wird. Andererseits wäre es möglich, die Sozialhilfe oder die Gehälter zu reduzieren, als ein „Islamischer- Staat“-Sparprogramm. Wobei das auch nach hinten losgehen kann. Die bedenkliche Alternative wäre, wenn der IS entscheidet, Lösegeld zu erpressen. Das ist für Al Qaida im Maghreb sehr profitabel.
Könnte der IS sich vielleicht auch über Staatsanleihen und Kredite finanzieren?
Im Moment sieht es so aus, als ob der IS weiterhin das, was er „Steuern“ und wir „Erpressung“ nennen, als hauptsächliche Finanzquelle seiner Bürger nutzt. Als vor kurzem die Banken in Mossul wieder eröffneten, konnten Kunden Berichten zufolge einen begrenzten Betrag abheben. Sie mussten für das Abheben aber eine Extrasteuer an den IS entrichten.
Vorausgesetzt, der IS überlebt: Sind der Existenz eines Staates Grenzen gesetzt, wenn er nicht an internationalen Transfersystemen wie Sepa teilnehmen kann?
Zivilisationen haben mit finanziellem Werkzeug wie Münzen, wertvollen Steinen oder Viehbestand Tausende von Jahren überlebt. Das ging auch ohne Sepa, Swift, Target und so weiter. Für einen Staat im Sinne des Wortes, also als anerkanntes Gebiet, ist es natürlich sinnvoll, sich in die globale Wirtschaft zu integrieren. Aber der IS will mit der globalen Wirtschaft nichts zu tun haben, deswegen ist das meiner Meinung nach keine relevante Überlegung. Diese Überlegung zeigt eher, wie gefährlich es ist, die Situation durch unsere westlichen Augen zu sehen.
Woher bekommt der IS sein Geld?
Die Geschichte des „Islamischen Staats“ reicht bis zu 15 Jahre zurück, bis in die späten 1990er. In dieser Zeit hat der IS gelernt zu überleben. Eine der Lektionen war, immer verlässliche und regelmäßige Geldquellen zu kontrollieren. Auch auf seinem Weg durch Syrien hat der IS sich klar auf Geschäftszentren und Ölfelder konzentriert. Dieses Öl wurde dann in die Türkei geschmuggelt und dank einer eigenartigen Zweckehe an das Assad-Regime verkauft. Weil Assad die wichtigsten Raffinerien kontrolliert, waren IS und das Regime aufeinander angewiesen.
Welche Rolle spielen Kuweit oder Katar?
Der deutsche Entwicklungsminister hat Katar beschuldigt, den IS unterstützt zu haben. Dafür gibt es keine Beweise.
Was hat sich an der Finanzierung des Terrors verändert?
Der IS ist jetzt eine unglaubliche Marke geworden, erschaffen durch effektive Propaganda und natürlich die Ausrufung des Kalifats. Ich vermute, das war teilweise auch erst der Grund, überhaupt ein Kalifat auszurufen. Jetzt erst kommen Spenden aus der ganzen Welt, selbst aus Indonesien. Es gibt ein Konzept im Islam: Wenn du selbst nicht reisen kannst, um im Dschihad zu kämpfen, kannst du trotzdem erfolgreicher Dschihadi werden, indem du einen Kämpfer bewaffnest und mit deinem Geld kämpfst.
Wie konnte der IS, ohne Land zu kontrollieren, eine solche Kriegskasse aufbauen?
Der IS war, schon bevor er Land kontrolliert hat, in Gegenden wie Falludscha oder Mossul einflussreich. Er hat so etwas wie mafiöse Strukturen in sunnitischen Zentren des Iraks betrieben. Dabei hat er von den Leuten und Unternehmungen vor Ort Geld als Steuern eingesammelt.
"Al Qaida ist ein Franchise-System wie McDonald’s."
Wie erreichen Spenden den IS?
Es gibt zwei Wege: den herkömmlichen Banktransfer zu einem IS-Konto oder erst über eine Bank, dann mit einem Kurier. Natürlich sollten Banken darauf achten, dass so etwas nicht passiert. Aber die Banken in Kuweit oder Katar sind nicht besonders gut darin, das zu kontrollieren. Es gibt auch Fälle, in denen Leute das Geld persönlich transportieren. Eine Britin wurde vor kurzem mit 20 000 Euro in ihrer Unterwäsche festgenommen. Vergessen Sie nicht, dass eine Million Dollar nur zehn Kilo wiegen.
Gibt es grundsätzliche Unterschiede zwischen der Art, wie Al Qaida sich finanziert, und der Art, wie IS sich finanziert?
Der Unterschied ist, dass Al Qaida ein Franchise-System ist wie McDonald’s. Es gibt Franchise-Nehmer wie Al Qaida auf der arabischen Halbinsel, Al Qaida im Maghreb und eben den Al-Qaida-Kern in Pakistan. Al Qaida mag teilweise Land und Menschen kontrollieren, aber keine kommerziellen Zentren oder Rohstoffe wie Ölfelder. Das Problem, das Aiman al Sawahiri, der Al-Qaida-Chef, hat, ist, dass der IS eine modernere und trendigere Nachricht kommuniziert und über mehr Geld verfügt.
Wie hat Al Qaida die Anschläge finanziert?
Al Qaida hat das meiste Geld mit Spenden eingenommen – von reichen Menschen, die mit Geld Dschihad führen wollen. Es gab Netzwerke von Leuten, die als Fundraiser für Al Qaida gearbeitet haben, die sogenannte „Goldene Kette“. Sie hatten ein starkes Argument, das half, Kämpfer in Bosnien, Tschetschenien und Afghanistan zu unterstützen: „Du kannst vielleicht nicht reisen, aber du kannst einen Scheck über 100 000 Dollar ausstellen.“
Wie viel Geld braucht man, um eine gefährliche Terrorgruppe zu sein?
Der 9/11-Bericht kam zu dem Schluss, dass Al Qaida rund 30 Millionen Dollar brauchte: für Training, Propaganda, Waffen, Material und die „Miete“, die sie den Taliban in Afghanistan zahlen mussten. Der 9/11-Anschlag an sich soll nicht mehr als 500 000 Dollar gekostet haben. Auch der Anschlag auf die Londoner U-Bahn hat wohl nicht mehr als 8000 Pfund gekostet. Jeder kann mit eine paar hundert Euro einen Anschlag ausführen. Das Teure daran ist, die Umgebung zu schaffen, das System am Laufen zu halten.
Welche Kosten muss eine Terrororganisation außer Anschlägen und Krieg in ihrem Haushalt einplanen?
Der IS muss auch die Umgebung so attraktiv gestalten, dass weiter fremde Kämpfer kommen und Qualifikationen wie Kommunikationsfähigkeit oder Finanzwissen mitbringen. Der IS kann diese Leute vielleicht nicht bezahlen, sie kommen auch hauptsächlich aus ideologischen Gründen, aber er muss ihnen Essen geben und für ihre Ausgaben aufkommen.
Unterscheidet sich die Finanzierungsmethode des IS von der Finanzierung anderer Terrororganisationen wie zum Beispiel Boko Haram in Nigeria?
Eine Technik, die in Westafrika sehr beliebt ist, aber die der IS noch nicht benutzt, sind Lösegeld-Entführungen. Damit kann man viel Geld verdienen.
Haben Terroristen eigentlich schon digitale Währungen wie Bitcoins entdeckt?
Dafür habe ich bis jetzt noch keine Belege gesehen. Aber Geld zu bewegen und aufzubewahren sind zwei der wichtigsten Herausforderungen von Terroristen. Bei der Weise, wie der IS das Wissen von Fremden anzieht, könnte das bald der Fall sein. Bis jetzt wurden digitale Währungen nur zur Geldwäsche benutzt.
Spielen undurchsichtige Steueroasen bei der Finanzierung eine Rolle?
Die sind zu komplex für Operationen wie den IS. Aber hybride Organisationen wie die kolumbianische FARC, die auch teilweise organisiertes Verbrechen ist, haben schon angefangen, Geld in Offshore Tax Havens und durch digitale Währungen zu waschen.
Kann es nicht sein, dass der IS bald die Methoden der FARC aufgreift?
Der Unterschied ist, dass es nicht das Ziel von Terrororganisationen ist, Menschen reich zu machen, wie das System der FARC. Terroristen im mittleren Osten wollen keinen Profit, sie wollen, dass es knallt, und sie wollen ihre Ideologie verbreiten.
Zur Person: Tom Keatinge ist Finanz- und Sicherheitsanalyst des Royal United Service Institute, eines der wichtigsten englischen Thinktanks zum Thema Sicherheit und Verteidigung. Keatinge forscht zu der Frage, wie sich durch das Unterbrechen von Finanztransaktionen und durch das Trockenlegen vo.n Geldquellen Terror stoppen lässt. Zuvor hat er 20 Jahre als Banker gearbeitet, unter anderem für die New Yorker Großbank JPMorgan Chase.
Das Gespräch führte Jan Vollmer.
Jan Vollmer