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Wirklich? Seit Mitte der 1990er Jahre arbeiten die Metaller im Osten drei Stunden länger als im Westen. Ein Arbeitskampf um die 35-Stunden-Woche ging 2003 verloren.
© dpa

Arbeitszeit im Osten: Der große Bluff

Die Tarifparteien der Metallindustrie bekommen die Angleichung der Arbeitszeit im Osten nicht hin. Nun droht ein Großkonflikt im nächsten Frühjahr.

Die Industriebeschäftigten im Osten werden auf absehbare Zeit länger arbeiten als ihre Kollegen im Westen. In dieser Woche scheiterten zwei weitere Versuche auf dem Weg zu einer Arbeitszeitverkürzung Richtung 35-Stunden-Woche bis 2031. Seit mehr als einem Jahr drehen die Tarifverhandler der ostdeutschen Metallindustrie eine Runde nach der anderen. Und haben sich dabei völlig verlaufen. Selbst das Einschalten der Chefs von IG Metall und Gesamtmetall brachte nichts. Der Konflikt droht nun in die bundesweite Tarifrunde zu schwappen, die im Frühjahr nächsten Jahres ansteht. Das wollte die IG Metall vermeiden. Die Arbeitgeber dagegen sehen die Gewerkschaft in der Falle: Für einen Arbeitskampf im Osten hat die IG Metall viel zu wenige Mitglieder.

Strategieschwenkt der Arbeitgeber

Am kommenden Montag befasst sich die Tarifkommission der Gewerkschaft mit dem weiteren Vorgehen. Die Metaller sind stinksauer und werfen den Arbeitgebern vor, wie Hütchenspieler zu agieren. In einer Runde wird Verständigung vorgetäuscht, beim nächsten Treffen steht dann in der Tischvorlage das Gegenteil des vermeintlich Vereinbarten. Tatsächlich war man sich vor einem Jahr bereits einig, doch dann gab es einen Strategieschwenk der Arbeitgeber, dessen Wirkungen noch nicht abzusehen sind. Die ursprüngliche Lösungsbereitschaft war offenbar nur ein Bluff, um die große IG Metall am Nasenring durch den Osten zu ziehen.

Drei Stunden länger arbeiten 

Im Westen gilt seit Mitte der 1990er Jahre die 35-Stunden-Woche, durchgesetzt von den Mitgliedern der IG Metall in einem mehrwöchigen Arbeitskampf. Im Osten scheiterte ein entsprechender Versuch 2003 - die IG Metall verlor den Tarifkonflikt, weil es zu wenige streikbereite Belegschaften gab und weil die IG Metall gespalten war; ein Machtkampf an der Spitze der Gewerkschaft wurde auch zulasten der Streikenden im Osten ausgetragen. Die Ost-Metaller arbeiten also nach Tarif weiter 38 Stunden in der Woche. Drei Stunden länger als im Westen - das macht umgerechnet und über das ganze Jahr gesehen ein Monatsgehalt aus.

Ins Risiko gegangen: Der IG-Metall-Vorsitzende Jörg Hofmann hat sich für die Ost-Metaller eingesetzt. Das gefällt nicht jedem Gewerkschafter im Westen.
Ins Risiko gegangen: Der IG-Metall-Vorsitzende Jörg Hofmann hat sich für die Ost-Metaller eingesetzt. Das gefällt nicht jedem Gewerkschafter im Westen.
© imago/Jürgen Heinrich

Der Verdruss über diese Diskrepanz ist in Ostdeutschland vor allem in den Betrieben groß, die mindestens so produktiv sind wie die Fabriken im Westen: Das gilt für die Autowerke von VW, BMW und Porsche in Zwickau und Leipzig oder die ostdeutschen Standorte von ZF, Siemens oder Mercedes. In diesen Betrieben hat die IG Metall viele Mitglieder, die ihrer Gewerkschaft einen klaren Auftrag erteilt haben: Runter mit der Arbeitszeit. IG Metall-Chef Jörg Hofmann sorgte dafür, dass die Arbeitgeber im Frühjahr 2018 eine Gesprächsverpflichtung über die Arbeitszeit Ost unterschrieben.

Vor einem Jahr war man weiter

Der Prozess kam in Gang. Olivier Höbel, IG-Metall-Chef von Berlin, Brandenburg und Sachsen, verständigte sich bis November 2018 mit den Arbeitgebern in Berlin und Brandenburg auf ein Eckpunktepapier mit Schritten zur 35-Stunden-Woche bis 2030. Doch der berlin-brandenburgische Regionalverband wurde von Gesamtmetall, dem Dachverband der Arbeitgeber, zurückgepfiffen. Höbel und der Verhandlungsführer der Arbeitgeber, der Berliner Siemens-Manager Stefan Moschko, mussten zurück auf Start und kamen wieder voran mit einem neuen Plan: Zum 1. Juli 2020 geht es runter auf 37 Stunden. Die Reduzierung um eine weitere Stunde auf 36 Stunden erfolgt zwischen dem 1. Januar 2023 und dem 31. Dezember 2026; wann genau, entscheiden die Betriebe mit ihren Betriebsräten. Zwischen dem 1. Januar 2027 und dem 31. Dezember 2030 erfolgt der letzte Schritt auf 35. Über die Kostenkompensation sollten die Betriebsparteien ebenso entscheiden wie über Maßnahmen, mit denen das Arbeitsvolumen im Betrieb insgesamt konstant gehalten wird. Damit der Fachkräftemangel durch die tarifliche Arbeitszeitverkürzung nicht noch verschärft wird.

Unglücklich agiert Gesamtmetall-Präsident Rainer Dulger. Die Koordinierung der Regionalverbände funktioniert nicht richtig.
Unglücklich agiert Gesamtmetall-Präsident Rainer Dulger. Die Koordinierung der Regionalverbände funktioniert nicht richtig.
© picture alliance/dpa

Doch wieder platzte der Kompromiss, weil die Arbeitgeber sich nicht auf eine verbindliche 35-Stunden-Woche für alle zum 1.1.2031 einließen.  Ferner wollten sie als Ausgleich für die kürzere Arbeitszeit den Beschäftigte ans Geld gehen und schließlich im Rahmen eines neues Arbeitszeitkorridors den Betrieben dauerhaft eine 40-Stunden-Woche ermöglichen. Die IG Metall war fassungslos. „Jetzt werden wir Betrieb für Betrieb die Arbeitszeitverkürzung angehen“, hatte Höbel schon Anfang Oktober angekündigt. Also in den Unternehmen, wo die Gewerkschaft viele Mitglieder hat, wird sie die Arbeitgeber mit Arbeitsniederlegungen zu Arbeitszeitverkürzungen zu zwingen versuchen. Das ist für die großen Betriebe schlecht, denn die einzelbetriebliche Regel kommt "teurer" als ein Flächentarif. Deshalb machen VW und Daimler, Siemens und BMW Druck auf "ihre" Arbeitgeberverbände, doch noch eine Lösung für alle zu finden.

"Die Arbeitgeber wollen nicht"

IG-Metall-Verhandlungsführer Höbel hat schon vor zwei Monaten resigniert. „Die Arbeitgeber wollen die 35-Stunden-Woche in Ostdeutschland nicht“, bemerkte er Anfang Oktober. Und setzte sich doch wieder mit Moschko und anderen Verbandsfunktionären an den Tisch. Höbels Vorgesetzter wollte das so - und schaltete sich selbst ein. Gewerkschaftschef Jörg Hofmann traf sich am 6. November mit Rainer Dulger, dem Präsidenten von Gesamtmetall, um eine Lösung vorzubereiten. Am 11.11. wurden dann die Verhandlungen in Berlin fortgesetzt. Doch als Hofmann und Dulger am späten Nachmittag am Verhandlungsort eintrafen, um der eigentlich geplanten feierlichen Unterzeichnung der Angleichung Ost beizuwohnen und mit aufs historische Foto zu kommen, waren die Arbeitgebervertreter längst vom Hof. Das historische Foto kam nicht zustande, das Treffen blieb ohne Ergebnis. Am 25.11. der nächste Versuch in Dresden. Ohne Ergebnis. Am 28.11. stundenlanges Sondieren in der Berliner Gesamtmetall-Zentrale. Ohne Ergebnis. Die Arbeitgeber wollen nicht, und die IG Metall kann sie nicht zwingen.

Am 9. Dezember entscheidet die IG Metall

Am ersten Advent trifft sich die Spitze der IG Metall, um über das leidige Thema zu beraten, tags darauf kommt die zuständige Tarifkommission für den Osten zusammen, um das weitere Vorgehen zu beschließen. Voraussichtlich wird der Gewerkschaftsvorstand aufgefordert, auf seiner Sitzung am 9.12. den entsprechenden Tarifvertrag zum 31.3.2020 zu kündigen. Dann wäre die Arbeitszeitfrage wieder Gegenstand einer großen Tarifauseinandersetzung. Der Gehaltstarifvertrag für die knapp vier Millionen Beschäftigten in der Metallindustrie läuft Ende März aus. Von April an geht es zum ersten Mal seit gut zwei Jahren wieder um Geld . Und vielleicht um Arbeitszeit. Wenn die IG Metall das will. Doch dort, wo die Gewerkschaft wirklich stark ist, in NRW, Bayern und Baden-Württemberg, hat man eigene Interessen und Sorgen (Autoindustrie). Und in Stuttgart, München und Düsseldorf ist der Osten weit weg.

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