Immobilien-Scout-Chef Marc Stilke: "Der Berliner Markt hat viel Nachholbedarf"
Berlins Immobilienmarkt wird sich gut entwickeln, meint Immobilien-Scout-Chef Marc Stilke. Und Immobilien Scout ist mittendrin, hat mittlerweile eine Marktausschöpfung von 90 Prozent. Im Interview spricht Stilke über die Entwicklungen auf dem Berliner Wohnmarkt und wo er mit dem Unternehmen hin will.
Von außen betrachtet wirkt der Firmensitz der Immobilien Scout GmbH am Ostbahnhof etwas düster und mächtig, im Inneren eröffnet sich eine lichtdurchflutete Eingangshalle. Im Innenhof tummeln sich vornehmlich junge Mitarbeiter, die die Mittagspause im Scout-Café oder am Kicker verbringen. Es herrscht eine Stimmung wie bei kleinen Start-ups, dabei arbeiten dort über 600 Menschen. Im fünften Stock sitzt CEO Marc Stilke im gläsernen Büro.
Herr Stilke, wie sehen Sie die aktuelle Lage auf dem Berliner Wohnungsmarkt?
Der Berliner Markt ist in vielerlei Hinsicht besonders. Er ist sehr dynamisch, hat viel Nachholbedarf und die Preise – gemessen an anderen Metropolen in Deutschland, aber auch international – sind nach wie vor sehr niedrig. Berlin ist gerade sehr en vogue, sowohl, was den Zuzug angeht, als auch bei internationalen Investoren. Wir haben also eine hohe Nachfrage. Gleichzeitig ist die Bautätigkeit seit den 1990ern nicht allzu hoch gewesen. Hoher Zuzug und Investitionsbereitschaft treffen auf zu geringes Angebot. Das erklärt auch, warum in den vergangenen Jahren die Mieten und die Kaufpreise in Berlin überproportional angestiegen sind. Der Anstieg bei den Neuvermietungen liegt bei 30 Prozent, die Preise für Eigentumswohnungen sind seit 2009 um 50 Prozent gestiegen.
Ist zu befürchten, dass es sich dabei um eine Immobilienblase handelt?
Nein, eine Blase entsteht dann, wenn sich Miet- und Kaufpreise völlig voneinander abkoppeln. Das haben wir hier aber nicht. Auf Dauer wird sich Berlin gut entwickeln. Zwar steigt der Kaufmarkt stärker als der Mietmarkt, aber das steht immer noch in einem gesunden Verhältnis. Kleinere Städte wie Freiburg oder Regensburg sind da viel stärker gefährdet. Insofern würde ich in Berlin nicht von einer Immobilienblase sprechen. Wenn ich gefragt werde, wo ich eine Immobilie erwerben würde, würde ich schon auch in Berlin investieren.
"Wir haben ein ordentliches Wachstum"
Und haben Sie selbst hier in eine Immobilie investiert?
Ja, aber eigentlich habe ich viel zu spät gekauft – jetzt bin ich schon seit sechs Jahren Geschäftsführer hier in Berlin, meine Familie lebt in Bonn. Das heißt, ich pendle, bin montags bis freitags hier und fahre am Wochenende nach Hause.
Sie hätten es besser wissen müssen.
Ja, aber ich habe einfach nicht intensiv genug gesucht und deshalb erst vor zweieinhalb Jahren gekauft. Dann wurde die Wohnung saniert, sodass ich erst seit vergangenem November dort lebe.
Wie sieht das Geschäftsmodell von ImmobilienScout24 aus?
Es bezahlt bei uns der Anbieter, für den Suchenden ist unser Angebot kostenlos. Und der Anbieter bezahlt wie bei der Tageszeitung für seine Anzeige. Wir nennen das Stellplatz, weil diese Anzeige ja nicht nur einmal erscheint, sondern dauerhaft. Wenn ein Makler mehr Anzeigen braucht, dann verabreden wir ein Kontingent mit einer bestimmten Anzahl, die er je nach Bedarf mit verschiedenen Immobilien befüllen kann.
Als Internet-Marktplatz für Immobilien erfahren Sie nicht, wie viele Abschlüsse getätigt werden. Interessiert Sie das nicht?
Das interessiert uns schon, weil wir natürlich wissen wollen, wieviel Nutzen wir dem Anbieter schaffen. Das können wir auch ganz gut abschätzen. Wir kennen die Anzahl der Suchenden, ob sie auf der Detailseite suchen, sich Fotos anschauen oder das Exposé – und die Zahl derer, die den Anbieter über E-Mail oder Telefon kontaktieren. Darüber hinaus ermitteln wir häufig über Marktforschung, wie viele der Anfragen schließlich zu einem Verkauf oder einer Vermietung führen.
Immobilien Scout 24 ist sehr schnell gewachsen. Wie hat sich die Firma entwickelt?
Immobilien Scout 24 hat 1998 mit zwölf Mitarbeitern angefangen. Im Jahr 2000 waren es dann 150 Mitarbeiter, weil sich das Internet rasant entwickelte. Die Firma hat sich abgesetzt von anderen digitalen Marktplätzen, die zur gleichen Zeit gestartet sind. Das haben die Gründer richtig gemacht. Am Ende leben solche Märkte immer von den Marktführern. Als Kunde gehen Sie auch dahin, wo Sie das größte Angebot bekommen. Heute haben wir knapp 600 Mitarbeiter hier in Berlin. Das ist schon ein ordentliches Wachstum.
"Wir spornen die Mitarbeiter an"
Wie bleibt man bei so einer Größe flexibel und schnell?
Man muss immer wieder überprüfen, ob die Strukturen stimmen, ob die Führungsmannschaft erfahren genug ist. Schaffen wir es, diese Agilität und Frische, die ein Start-up auszeichnen, aufrechtzuerhalten? Das treibt uns sehr um, weil wir uns aufgrund der Größe und der Marktführerschaft nicht zu sehr auf die faule Haut legen, sondern immer wieder angreifen wollen. Für mich als Führungskraft sehe ich zwei Herausforderungen: Zum einen muss ich schauen, dass ich meinen Mitarbeitern möglichst viele Freiheiten gebe, damit die Teams möglichst eigenständig entscheiden können. Zum anderen muss ich gleichzeitig sicherstellen, dass die Gesamtheit der Teams in eine Richtung geht.
Wie gehen Sie da vor?
Das fängt bei unserer Unternehmenskultur an. Die Art, wie wir miteinander arbeiten, ist eine sehr eigenverantwortliche. Es wird nichts zentral definiert, sondern in Teams. Wir spornen die Mitarbeiter immer wieder an, innovativ zu sein, Fehler zu machen, Risiken einzugehen. Da muss man ständig hinterher sein, damit das auch passiert.
Die Telekom hat im letzten Herbst 70 Prozent der Anteile von Scout 24 an Hellman & Friedman verkauft. Was ist das für ein Investor?
Hellman & Friedman ist ein amerikanischer Finanzinvestor, der insbesondere bei Wachstumsunternehmen große Expertise hat. Hellman & Friedman war in der Vergangenheit in Deutschland beispielsweise an der Axel Springer AG beteiligt.
Was hat sich dadurch für Sie verändert?
Unser neuer Gesellschafter hat sich bereits ein Jahr vor dem Deal höchst intensiv mit unserem Geschäft auseinandergesetzt und begleitet uns seit dem Einstieg sehr engagiert. Für Hellman & Friedman sind wir eines ihrer größten europäischen Investments. Sie fordern und fördern uns als Management.
Immobilien Scout 24 hat inzwischen eine Marktausschöpfung von annähernd 90 Prozent. Wo soll es nun hingehen?
Wir stellen uns breiter auf und bieten mehr Dienstleistung. Wenn Sie eine Eigentumswohnung suchen, gibt es auch jenseits der Kaufentscheidung so viele Fragestellungen, die wir unterstützen können: Was ist die Wohnung wert? Wo ziehe ich hin? Welche Baufinanzierung soll ich nehmen? Wieviel Eigenkapital? Wo finde ich Umzugsunternehmen? Wie organisiere ich die Suche, wenn ich hier nicht wohne? Der durchschnittliche Immobiliensuchprozess kann von drei Monaten bis zu einem Jahr dauern, je nachdem, ob ein Miet- oder Kaufobjekt gesucht wird. Der Prozess ist ja auch einer mit vielen Höhen und Tiefen. Die Beantwortung all dieser Fragen unterstützen wir inzwischen.
Sie haben auch einen eigenen Inkubator...
Ja, unser Lab "You is now". Dort laden wir externe Unternehmer ein und lassen neue Ideen pitchen. Und die besten Ideen fördern wir und lassen sie unter unserem Dach mit unserer Unterstützung auch entwickeln.
"You is now" läuft seit drei Jahren. Was ist bisher dabei herausgekommen?
Zum Beispiel unser Investment-Marktplatz Commercial Network ist so entstanden, unsere Umzugsplattform ist aus dem Lab heraus erwachsen und die soziale WG-Suche NokNok kommt daher.
"Wir wollen nicht offline sein"
Was sind die Pläne für die nächsten Jahre?
Wir wollen weiter Wachstums- und Innovationstreiber der Branche und natürlich Marktführer bleiben. Wir haben vor drei, vier Jahren begonnen, die mobile Gerätetechnologie zu unterstützen, da sind wir weiter dran. Und wir arbeiten gerade an einer Anwendung für interaktive Fernsehgeräte. Da kann man quasi mit der Fernbedienung Immobilien suchen. Wir wollen die Baufinanzierung online etablieren. Ziel ist es, vom Marktplatz zum Netzwerk zu werden. Im Grunde wollen wir den gesamten Prozess zwischen Anbietern und Suchenden unterstützen. Und wir wollen, dass man bei uns aus Sicht des Anbieters nicht nur E-Mail-Anfragen bekommt, sondern Personen mit Profilen, Hintergründen, Interessen.
Macht das nicht zukünftig die Makler arbeitslos?
Es gibt zwar Makler, die sagen, ihr werdet irgendwann unser Geschäft ersetzen. Dann sage ich immer, nein, wir machen Euch einerseits das Geschäft leichter, weil wir Euch ein paar Dinge abnehmen, aber wir werden nie eine Besichtigung vor Ort organisieren oder zum Notar gehen. Wir werden kein Makler werden, wir wollen nicht offline sein. Aber wir wollen die Makler unter Leistungsdruck setzen, indem wir den Suchenden Informationen und Transparenz bieten. Der einfache Nachweismakler, der seine Provision nur bekommen hat, indem er mal eine Tür geöffnet hat, sollte sich mehr einfallen lassen. Ich finde das auch gerechtfertigt, denn man kann sich durchaus fragen, wofür der sein Geld bekommt.
Dieses Stück erschien zuerst im Wirtschaftsmagazin "Köpfe" aus dem Tagesspiegel-Verlag, das Sie hier bekommen können: Tagesspiegel Köpfe bestellen