Innovationsschub: „Wir müssen ein bisschen paranoid sein“
Immobilien-Scout ist Marktführer bei Wohnungssuche. Jetzt holen die Berliner sich junge Firmen ins Haus, die an neuen Produkten arbeiten.
Joel Dullroy hatte anfangs Sorge, dass sein neuer Arbeitsplatz sein junges Unternehmen vielleicht verändern wird. Das fürchtet er nicht mehr. „Die Atmosphäre ist hier wirklich frei und offen – und wir lernen viel“, sagt Dullroy. Im September ist der Australier mit seinem Start-up Deskwanted.com bei Immobilien-Scout eingezogen. Damals richtete die Telekom-Tochter an ihrem Standort am Berliner Ostbahnhof ein Innovationslabor ein. Hier sollen junge Unternehmen Raum bekommen, um ihre Produkte zu entwickeln und um zu wachsen. „In so einem großen Unternehmen wie Immobilen-Scout mit 550 Mitarbeitern ist es schwierig, sich die Innovationskraft zu bewahren“, sagt Holger Dieterich, der das „You Is Now“ genannte Innovationslabor leitet. Darum holt sich Immobilien-Scout den kreativen Gründer ins Haus.
Die Geschäftsidee von Deskwanted.com ist es, freie Schreibtische zu vermitteln. Nicht nur in Berlin entstehen gerade immer mehr dieser Coworking-Spaces, also Gemeinschaftsbüros auf Zeit, in denen Freischaffende oder junge Firmen, die sich keine eigenen Büros leisten können, Arbeitsplätze mieten können. Der Charme dieser Lösung ist nicht nur, dass sie billiger ist und man flexibel bleibt, dort kann man sich auch mit anderen austauschen, die in der gleichen Lage sind. „Der Markt für Büroimmobilien befindet sich im Umbruch, weil sich die Arbeitswelt verändert“, sagt Dullroy. „Es ist eine stille Revolution: Immer mehr Menschen arbeiten flexibel und brauchen flexible Arbeitsplätze.“ Jedes Büro, meint Dullroy, könnte bald ein geteiltes Büro sein. Deskwanted.com hilft dabei auch denen, die freie Büroflächen haben, diese zu verwalten und optimal auszulasten.
Bis zu 500 000 Euro investiert Immobilien-Scout in die einzelnen Projekte, das Jahresbudget liegt bei etwa 2,5 Millionen Euro. Sechs bis zwölf Monate können die Start-ups bleiben. Neben Deskwanted.com sitzen derzeit drei weitere Start- ups im Innovationslabor, das damit selbst ein Coworking-Space ist: Bauen wohnen leben 24 entwickelt eine Facebook-Anwendung für alle, die ein Haus bauen oder eine Wohnung renovieren oder einrichten wollen. Über die Anwendung kommt das gewünschte Katalog- und Prospektportal direkt aufs Smartphone. Noknok wiederum arbeitet an einer sozialen Suche für WG-Zimmer und WG-Mitbewohner, Flatango an einer Facebook-App, mit der man Freunden helfen kann, eine Wohnung oder Nachmieter zu finden.
Bis Ende des Jahres sollen rund 80 Arbeitsplätze neu entstehen
Es ist natürlich kein Zufall, dass alle Start-ups etwas mit Immobilien zu tun haben. „Wir müssen ein bisschen paranoid sein“, erklärt Marc Stilke, Geschäftsführer von Immobilien-Scout. „Wir selbst haben mit unserem Angebot andere Medien überflüssig gemacht. Nun müssen wir darauf achten, dass niemand kommt, der uns überflüssig macht.“ Die Start-up-Phase hat das 1997 gegründete Unternehmen längst hinter sich. Immobilien-Scout ist nach eigenen Angaben der größte deutsche Internetmarktplatz für Immobilien mit mehr als sieben Millionen Besuchern pro Monat. Rund 40 000 gewerbliche und etwa 70 000 private Immobilienanbieter nutzen die Plattform. Umsatz und Ergebnis veröffentlicht das seit Oktober 2007 vollständig zur Deutschen Telekom gehörende Unternehmen nicht.
Inzwischen beschäftigt Immobilien- Scout 550 Mitarbeiter, davon 250 in Vertrieb- und Marketing und 200 in der Produktentwicklung. Seit 2011 ist das Unternehmen auch in Österreich aktiv und neuerdings auch in Asien. Im Juni hat sich Immobilien-Scout an der Property-Guru-Gruppe in Singapur beteiligt. Der Online-Händler für Häuser und Wohnungen ist auch in Malaysia, Thailand und Indonesien vertreten. „Dort entwickelt sich der Markt gerade erst“, erklärt Stilke das 37,5 Millionen-Euro Engagement. „Es wird viel gebaut und immer mehr Menschen ziehen vom Land in die Stadt. Von dem Wachstum wollen wir profitieren.“
Auch in Deutschland will das Unternehmen weiter wachsen. „Seit mehr als zehn Jahren dominieren wir den hiesigen Markt“, sagt Stilke. „Jeder Zweite findet sein neues Zuhause über uns. Deshalb zünden wir jetzt die nächste Entwicklungsstufe.“ Bis Ende des Jahres sollen rund 80 Arbeitsplätze neu entstehen. Ziel ist es, die Nutzer bei allen wichtigen Entscheidungen rund um die Immobilie zu unterstützen – nicht nur beim Suchen, sondern auch bei der Bewertung, Finanzierung, beim Umzug, beim Ummelden, Renovieren und Modernisieren.
Hier soll neben den 200 internen Produktentwicklern auch das Innovationslabor „You is Now“ seinen Beitrag leisten. „Wir wollen ein Gravitationszentrum neuer Ideen sein“, sagt Stilke. Einige der Start-ups bekommen eine Wachstumsfinanzierung, wenn sie aus der Laborphase heraus sind. Manche Projekte wird Immobilien-Scout ganz übernehmen. Andere werden dagegen keine Zukunft im Unternehmen haben. „Zwei Projekte, die aus der Vorphase des Labs entstanden sind, führen wir bereits als Wachstumsfelder weiter“, berichtet Stilke.
Der neue Geschäftsbereich Umzug etwa ist aus einem Start-up entstanden. Gründer Dirk Herzbach ist inzwischen Manager bei Immo-Scout. Der Marktplatz war für ihn die Chance, sein Produkt schnell groß und für Millionen Nutzer verfügbar zu machen. „Aber ein bisschen habe ich die Art, wie ein Start-up zu arbeiten, vermisst“, sagt Herzbach. „Dafür haben wir jetzt das Lab – wir sind flexibel und schnell und denken sehr unternehmerisch.“