Grüne Woche und "Wir haben es satt": Das Tierwohl ist uns noch nicht teuer genug
Die Bauern sind bereit, ihre Tiere besser zu behandeln – wenn der Preis stimmt. Doch das ist das Problem. Ein Kommentar zur Grünen Woche.
Wie sich die Bilder gleichen: In den Messehallen auf der Grünen Woche naschen die Besucher Schinkenröllchen und Salami, die Kinder streicheln Schweine und Kühe. Wenige Kilometer entfernt rollen mit Protesttransparenten geschmückte Trecker durch die Innenstadt, und Zehntausende Demonstranten protestieren gegen die Agrarpolitik. An jedem ersten Samstag der weltgrößten Ernährungsmesse prallen diese Welten aufeinander.
Männliche Küken werden zerhäckselt
Same procedure as every year? Ja. Und das ist ein Skandal. Denn trotz aller Lippenbekenntnisse hat sich in Sachen Tierhaltung nicht viel getan. Noch immer werden männliche Küken, die naturgemäß keine Eier legen, nach der Geburt zerhäckselt, Hühner picken in der Enge der Massenställe nach ihren Artgenossen, Rindern werden die Hörner weggebrannt, Schweinen die Ringelschwänze gekürzt. Niemand darf einem Tier ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leid oder Schaden zufügen, heißt es im Tierschutzgesetz. Doch für viele der 754 Millionen Nutztiere, die in deutschen Ställen leben, ist das ein frommer Wunsch. Fleisch ist billige Massenware.
Kastrationen nur mit Betäubung
Die gute Nachricht: Erste Verbesserungen sind in Sicht. Ab dem nächsten Jahr dürfen Ferkel nur noch mit Betäubung kastriert werden, Ökoketten schenken den männlichen Küken ein längeres Leben, wenn die Kunden bereit sind, für die Eier ihrer Schwestern mehr zu zahlen. Bauern bauen ihre Ställe aus und bekommen dafür vom Handel Geld. Marktwirtschaft funktioniert auch in der Landwirtschaft. Wenn Bauern mehr verdienen, weil sie ihre Tiere besser halten, wird sich das Tierwohl in den Ställen verbessern.
Landwirte sind Unternehmer. Investitionen müssen sich auszahlen. Das tun sie aber nur, wenn die Verbraucher bereit sind, die bessere Tierhaltung mit besseren Preisen zu honorieren. Doch das passiert nicht. Im jüngsten Ernährungsreport des Agrarministeriums beteuert die Mehrzahl der Menschen zwar, dass Tierwohl für sie allerhöchste Priorität hat. An der Ladentheke oder im Schnellimbiss bleibt davon aber nicht viel übrig.
Das staatliche Tierwohllabel ist überfällig
Die Politik macht es ihnen leicht. Trotz aller Ankündigungen gibt es bis heute kein staatliches Tierwohllabel. Menschen können auf der Verpackung nicht erkennen, ob das Schnitzel aus besserer Haltung stammt, es sei denn, sie kaufen die teurere Bioware. Das muss sich ändern, und zwar schnell: Auch konventionelles Fleisch aus besserer Haltung muss gekennzeichnet werden. Damit die Kauf- zu einer Gewissensentscheidung wird. Und es auf der Grünen Woche 2019 nicht wieder heißt: Same procedure as every year.
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