Allianz-Leben-Chef Andreas Wimmer im Interview: „Für Staatsanleihen bekommen Sie 20 Jahre nichts“
Die größte deutsche Lebensversicherung verabschiedet sich von der vollen Beitragsgarantie. Das soll höhere Renditen bringen. Der Chef sagt, wie.
Es ist eine Zeitenwende, die Deutschlands größte Lebensversicherung, die Allianz Lebensversicherungs-AG, einleitet: Kunden, die im nächsten Jahr eine neue Lebensversicherung bei der Allianz-Tochter abschließen, bekommen weder eine feste Verzinsung garantiert noch können sie sicher sein, dass sie zumindest die eingezahlten Beiträge zurückbekommen. Damit will sich die Lebensversicherung, die Kundengelder in Höhe von 308 Milliarden Euro anlegt, mehr Freiheiten in der Kapitalanlage und höhere Renditechancen verschaffen. Was das bedeutet, erklärt der Chef der Allianz Leben, Andreas Wimmer, im Interview.
Herr Wimmer, wer eine neue Lebensversicherung abschließt, muss sich mit mickrigen Zinsen abfinden. Jetzt streicht die Allianz auch noch die Beitragsgarantie. Wenn es schlecht läuft, bekommen Ihre Kunden später weniger Geld zurück als sie eingezahlt haben. Wer lässt sich denn auf so etwas ein?
So niedrig sind die Renditen doch gar nicht. Unsere Überschussbeteiligung liegt bei über drei Prozent. In Zeiten von Null- und Negativzinsen ist das eine Leistung. Aber wir wollen auch in Zukunft attraktiv bleiben. Wenn Sie heute eine Bundesanleihe für 100 Euro kaufen, kriegen Sie in zehn Jahren 95 Euro zurück. Das zeigt, was an den Kapitalmärkten los ist. Wenn wir in einer solchen Phase eine vernünftige Altersvorsorge anbieten wollen, müssen wir uns Spielräume in der Kapitalanlage schaffen. Um das tun zu können, verabschieden wir uns von der hundertprozentigen Beitragsgarantie.
Das Zinsumfeld ist seit Jahren schwierig, bisher sind Sie damit gut zurechtgekommen. Warum ist das jetzt anders?
Die Zinssituation hat sich weiter verschärft. Wir haben schon seit langem Niedrigzinsen, aber vor zwei Jahren sprachen wir noch über rund 1,5 Prozent bei 20-jährigen Anleihen. Jetzt ist es null. Wenn wir heute eine Staatsanleihe kaufen, bekommen wir 20 Jahre lang nichts. Das kann ja nicht das Ziel unserer Kapitalanlage sein. Wir haben mehr als zehn Millionen Kundinnen und Kunden. Und die wollen, dass sich Altersvorsorge für sie lohnt. Deshalb müssen wir unsere Produkte anpassen. Für die Allianz ist das nichts Neues. Wir haben ja schon 2013 mit „Perspektive“ ein Lebensversicherungsprodukt auf den Markt gebracht, das sich von der festen Zinsgarantie verabschiedet hat.
Es gibt in Deutschland mehr Lebensversicherungen als Einwohner. Wer eine Lebensversicherung abschließt, sucht Sicherheit. Doch wo bleibt die, wenn man befürchten muss, Geld zu verlieren?
Es gibt einen Unterschied zwischen Sicherheit und Garantie. Eine Lebensversicherung muss weiterhin sicher und wertstabil sein. Auch wenn wir uns von der hundertprozentigen Beitragsgarantie verabschieden, bieten wir Sicherheit.
Können die Kunden trotz der fehlenden Garantie davon ausgehen, dass ihr Geld eher mehr wird als weniger?
Ja, neue Kunden haben künftig die Wahl: Sie können weiterhin einen Teil ihrer Prämie in das normale Sicherungsvermögen investieren und bekommen dafür, wie bisher, eine jährliche Überschussbeteiligung. Hinzu kommt aber bei Hybrid-Angeboten ein zweiter Topf, das Sondervermögen. Das darin enthaltene Kapital investieren wir renditeorientierter. In Kombination mit dem Sicherungsvermögen als Stabilitätsanker, welches Schwankungen auf den Kapitalmärkten ausgleicht, können wir so unseren Kunden eine sichere und zugleich attraktive Altersvorsorge anbieten.
Ist das das Ende der klassischen Lebensversicherung?
Nein, für die bisherigen Kunden ändert sich nichts. Wir halten am Sicherungsvermögen als stabile Basis und an den Überschussbeteiligungen fest. Wir verkaufen auch keine Bestände. Was das künftige Neugeschäft betrifft, so bieten wir damit eine neue Form von zukunftsfester Lebensversicherung. Wir passen uns den neuen Zeiten an. Jeden Tag muss unser Chefanleger entscheiden, wie er das Geld der Kunden investiert. Je flexibler die Produkte, desto flexibler die Anlage. Und desto mehr Rendite ist möglich.
Kaufen Sie noch Staatsanleihen?
Ja, das tun wir immer mal wieder. Aber unsere Anlagestrategie sieht anders aus. Wir investieren verstärkt in alternative Anlagen, etwa in Infrastrukturprojekte. Aktuell legen wir beispielsweise 900 Millionen Euro an, indem wir in den Glasfaserausbau in Deutschland und in das portugiesische Gasnetz investieren. Damit wollen wir das Geld unserer Kunden langfristig in Investments stecken, die nicht jeden Tag im Wert schwanken, sondern über Jahrzehnte solide Erträge abwerfen. Wir unterstützen auch die Energiewende, indem wir etwa in Wind- und Solarparks investieren oder uns verstärkt mit Zukunftstechnologien wie Wasserstoffanlagen beschäftigen. Das macht ja auch volkswirtschaftlich Sinn.
Welche Mindestrendite erwarten Sie von solchen Projekten?
Sagen wir mal so: Zum einen muss das unternehmerische Risiko gedeckt sein, das wir mit dem Investment in Glasfaser eingehen. Und wir erwarten zusätzlich einen vernünftigen Aufschlag dafür, dass wir das Geld 30, 40 Jahre lang in diesen Investments binden. So etwas können sich nur wenige Investoren leisten. Über ein Viertel der mehr als 300 Milliarden Euro, die wir als Anlagekapital haben, steckt ja bereits in Investments, die nicht an den Kapitalmärkten gehandelt werden. Und wir wollen das noch ausbauen.
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Wie interessant sind Immobilien?
Wir haben unterschiedlichste Objekte, wir besitzen Büro- und Gewerbe-, aber auch Wohn- und Logistikimmobilien. Wir bleiben im Markt, auch wenn uns bestimmte Segmente, etwa Shopping-Center, derzeit Sorgen machen. Generell ist es uns wichtig, breit aufgestellt zu sein: Wir wollen Infrastrukturanlagen, Immobilien, erneuerbare Energien, aber wir haben auch Aktien und Staatsanleihen. Und wir investieren weltweit. Aber ich freue mich immer, wenn wir in Deutschland engagiert sind. Es ist doch schön, wenn der Riester-Sparer am Glasfasernetz beteiligt ist, das kann er ja quasi anfassen.
Wie hoch ist die Aktienquote?
Zwischen acht und zehn Prozent der Kapitalanlage stecken in Aktien.
Wie beeinflusst die Coronakrise Ihr Geschäft? Werden überhaupt neue Lebensversicherungsverträge abgeschlossen?
Ja. Im Vergleich zum Vorjahr sind es zwar weniger Neuabschlüsse, aber man muss wissen, dass das Vorjahr ein Rekordjahr war. Corona hat natürlich schon Einschränkungen mit sich gebracht. Unsere Vermittler konnten ja lange Zeit keine Kunden besuchen oder empfangen, auch nicht Firmenkunden. Aber dennoch haben wir in den ersten neun Monaten dieses Jahres 60 000 neue Kunden gewonnen, netto, das ist der Saldo aus Neuzugängen und Kunden, die uns verlassen, weil wir ihnen zum Beispiel ihr Vorsorgekapital auszahlen. Die Lebensversicherung wird kein schlechtes Jahr haben, das betrifft nicht nur uns, sondern die gesamte Branche. Ich glaube, die deutschen Lebensversicherer werden mehr als 100 Milliarden Euro an Beiträgen einnehmen können. Das wäre das zweitbeste Ergebnis der vergangenen fünf Jahre.
Wollen sich die Menschen in unsicheren Zeiten Sicherheit erkaufen?
Das Bewusstsein dafür, sich gegen existentielle Risiken schützen zu müssen, ist gewachsen. Risikolebens-, Berufsunfähigkeits- und ähnliche Versicherungen sind sehr gefragt. Und es ist ja auch nicht so, dass alle Menschen finanziell unter der Coronakrise leiden. Viele haben ja ihren Job behalten, das Gehalt fließt weiter, aber sie geben weniger Geld aus. Die Sparquote liegt auf einem Rekordniveau. Allerdings laufen die Segmente bei uns schon sehr unterschiedlich. Rückgänge gibt es zum Beispiel in der betrieblichen Altersvorsorge, insbesondere in den Branchen, die von Corona stark in Mitleidenschaft gezogen sind.
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Was ist mit Riester? Brauchen wir eine Reform der geförderten Altersvorsorge?
Ja, das steht ja auch im Koalitionsvertrag. Man muss den Zulagenprozess vereinfachen, und man sollte auch bei Riester die volle Beitragsgarantie abschaffen. Wir müssen dafür sorgen, dass Riester auch in der betrieblichen Altersvorsorge stärker eingesetzt wird. Und wir brauchen eine Lösung für wechselnde Erwerbsbiographien, also für Menschen, die mal in die betriebliche Altersvorsorge einzahlen, dann aber wieder private Vorsorge betreiben.
Schließt denn überhaupt noch jemand einen Riester-Vertrag ab?
Oh ja. Im vergangenen Jahr hatten wir über 45 000 neue zulagenfähige Riester-Verträge und ein Plus bei den Neubeiträgen von 5,3 Prozent. Dieses Produkt ist niedergeschrieben worden, zu Unrecht. Wir brauchen eine Reform, möglichst noch in dieser Legislaturperiode, aber es ist nicht alles schlecht an Riester.
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