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Ein Daimer-Lkw in einem Werk in Würth.
© dpa

Drei Sammelklagen: Das Lkw-Kartell könnte Daimler, MAN und Co. noch teuer zu stehen kommen

Bisher ist Schadenersatz gegen die Hersteller, deren Absprachen vor Jahren aufflogen, schwer durchzusetzen. Doch ein Verband hofft nun auf 1,2 Milliarden Euro.

Als das „Lkw-Kartell“ aufflog und die EU-Kommission im Sommer 2016 Rekordbußgelder von 2,93 Milliarden Euro gegen so ziemlich alle Lastwagenhersteller Europas verhängte, machten sich Lkw-Käufer in ganz Europa Hoffnungen. Sie setzten darauf, mit der Entscheidung von EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager hohen Schadenersatz zu bekommen. Es brach regelrecht Goldgräberstimmung in der Branche aus.

Mehr als 30 Millionen Lkw sind auf Europas Straßen unterwegs. 90 Prozent von ihnen wurden von den Teilnehmern des Kartells gebaut: MAN, Daimler, Renault, Volvo, DAF und Iveco. Die Industrie hatte die Herstellerpreise ab Werk über einen Zeitraum von 14 Jahren untereinander ausgetauscht. Da ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass Spediteure in dieser Zeit mindestens einen Lkw bei den beteiligten Konzernen gekauft haben.

Streitwert von 30 Millionen Euro

Inzwischen hat sich Ernüchterung breitgemacht. Offenkundig hat noch kein einziger Unternehmer Geld von einem deutschen Hersteller kassieren können. Dabei geht es um hohe Summen. So beträgt der Streitwert eines Verfahrens, das gerade vor dem Stuttgarter Landgericht anhängig ist und bei dem es um Fahrzeuge der Volkswagen-Tochter MAN und von Daimler geht, 30 Millionen Euro.

Bei den zahllosen Verfahren, die an vielen Standorten geführt werden, bietet sich bisher kein einheitliches Bild. Mal gewannen die Hersteller, mal die Lkw-Käufer. Viele Urteile sind noch nicht rechtskräftig. Einige Klagen wurden als offensichtlich unbegründet abgewiesen.

Lkw-Hersteller mussten bereits ein Milliarden-Bußgeld zahlen.
Lkw-Hersteller mussten bereits ein Milliarden-Bußgeld zahlen.
© AFP

Etliche Kläger haben zwar „dem Grunde nach“ Recht bekommen, ihnen sei durch die Praxis ein Schaden entstanden. Sie müssen allerdings noch ein zweites Verfahren führen, in dem die Schadenshöhe festgelegt wird. Dabei kann es auch passieren, dass der Richter die Schadenersatzansprüche wieder kassiert.

Alles in allem zeichnet sich ab, dass den Käufern juristisch kein Durchmarsch gelingt. Offensichtlich misslingt vor Gericht immer wieder der Nachweis, dass die von der EU gerügte Praxis den Käufern einen quantifizierbaren Nachteil gebracht hat. Insider erklären den Hintergrund: Anders als bei anderen Kartellen haben die Lkw-Hersteller eben nicht untereinander die Preise abgesprochen, sie haben auch nicht Märkte untereinander aufgeteilt, was sonst häufig vorkommt. Sie haben vielmehr über die Zeit die Bruttolistenpreise von zwei bis drei Lkw-Typen ausgetauscht.

Kräftige Rabatte am Verkaufstisch

Beim Pkw-Vertrieb läuft es anders: Da sind die Listenpreise kein Geheimnis, sie liegen in jedem Showroom aus. Eine Preisliste im Bereich der mittleren und schweren Nutzfahrzeuge ist zwar bei jedem Hersteller vorhanden, doch je nach Aufbau, Motorisierung und Extras gibt es Tausende von Möglichkeiten, einen Truck zusammenzustellen.

Hinzu kommt: Die Bruttolistenpreise sind das eine, wie viel Geld tatsächlich fließt, etwas anderes. „Bruttolistenpreise spielen bei den Verkaufsgesprächen keine Rolle“, hört man. Je nach Wirtschaftslage und Stückzahl könne der Käufer kräftige Rabatte am Verkaufstisch durchsetzen. Selbst wenn der Hersteller die Listenpreise anhebt, könne es vorkommen, dass die Nettopreise sinken.

Ohne präzise Dokumentation des Verkaufsgesprächs sowie ein Gutachten haben die Lkw-Käufer nur geringe Chancen, die Gerichte zu überzeugen, dass ein echter Schaden entstanden ist. Auch gibt es Hinweise, dass mancher Lkw-Käufer juristisch nicht gut beraten wurde.

Anwaltsfirmen haben unter dem Versprechen, hohe Summen zu erstreiten, recht offensiv Mandate eingesammelt. Teils wurden auch eigens Vereine für eine Sammelklage gegründet, bei denen die Lkw- Käufer zunächst einmal mit vierstelligen Beträgen je Fahrzeug in Vorlage gehen mussten und ihre Ansprüche abgetreten haben. So eine Klage wurde etwa vor dem Landgericht Hannover abgewiesen.

Drei Sammelklagen wegen 150.000 Lkw

Inzwischen haben die enttäuschten Kläger wiederum neue Anwälte eingeschaltet, die gegen die ursprünglichen Prozessbevollmächtigten vorgehen und von ihnen Schadenersatz einfordern. In einigen Fällen erheben Lkw-Käufer in der Hoffnung auf das schnelle Geld offenbar auch seltsame Forderungen. So etwa ein Bauunternehmen, das Schadenersatz für Lastwagen verlangt, die gar nicht für die EU vorgesehen waren, sondern in den Export nach Nigeria gingen. Dabei hatte die Kommission ausdrücklich den Austausch von Informationen ausschließlich auf dem EU-Markt gerügt.

Bis jetzt mögen die Prozesse nur Vorgeplänkel gewesen sein. Richtig ernst wird es erst noch. Der Branchenverband Güterverkehr Logistik und Entsorgung (BGL) hat drei Sammelklagen vorbereitet, bei denen es dann um rund 150.000 Fahrzeuge geht. Eine US-Kanzlei mit Erfahrung im Geschäft mit Sammelklagen, eine Firma, die die Prozesskosten vorschießt, sowie eine Firma, die die Ansprüche aufnimmt und bündelt, haben sich dafür zusammengetan.

Rund 8000 Euro je Auto könne erstritten werden, heißt es beim Verband. Das wären insgesamt 1,2 Milliarden Euro. Anfang Februar will das Münchner Landgericht erst einmal ein Signal geben, ob die Sammelklage gegen das Lkw-Kartell überhaupt Aussicht hat, vom Gericht weiter behandelt zu werden. Auf jeden Fall steht viel Geld auf dem Spiel. Klar ist: Wenn die Sache scheitert, müssen die Lkw-Käufer bei der BGL-Sammelklage des Logistikverbands nichts bezahlen. Im Erfolgsfall präsentieren die Juristen, die sich auf Sammelklagen spezialisiert haben, aber dann ihre Rechnung: BGL-Mitglieder müssten 28 Prozent der erstrittenen Summe abtreten und Nichtmitglieder sogar 33 Prozent.

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