Autobahnraststätten: Das Geschäft mit der Pause
Eine Firma beherrscht den Raststätten-Markt an Deutschlands Autobahnen. Darunter leiden Pächter und Kunden.
Wo alle anderen schnell weg wollen, will er bleiben. Auch wenn Günther Wagner 71 Jahre alt ist und genug geschuftet hat, hier in der Raststätte Auerswalde Süd nahe Chemnitz. „Meine Arbeit macht mir sehr viel Spaß“, sagt er. Seit zehn Jahren schon, sonst wäre er längst in Rente gegangen. Nicht nur das macht Wagner speziell. Er ist auch einer der ganz wenigen freien Pächter in diesem Land.
Fast alle Raststätten an deutschen Autobahnen haben denselben Besitzer: die Bonner Tank & Rast GmbH. Der Marktanteil des Quasi-Monopolisten liegt bei mindestens 90 Prozent. Ihm gehören 360 Tankstellen und rund 400 Raststätten, zu denen 50 Hotels zählen. 500 Millionen Reisende fahren die Standorte jedes Jahr an und viele von ihnen ärgern sich darüber, wie teuer dort Bockwurst und Cola sind. Kritiker meinen: Hier hat jemand nach der Privatisierung extrem viel Macht bekommen. Und missbraucht sie.
Hinter der Tank & Rast steckt ein internationales Konsortium
Wer hinter Tank & Rast steckt? In den ersten Jahren wechselten sich verschiedene Private-Equity-Fonds ab. 2015 ging der Raststättenbetreiber für 3,5 Milliarden Euro an den jetzigen Eigentümer, ein internationales Konsortium. Dabei sind unter anderem die Allianz-Versicherung, der Rückversicherer Munich Re sowie Fonds aus Abu Dhabi und China. Nicht alle Raststätten betreibt Tank & Rast selbst. Mindestens 90 werden von Pächtern betrieben – und deren Zahlungen sind wichtige Einnahmequellen für den Konzern.
Die hohen Preise in den Shops würden deswegen auch „nicht von Tank & Rast festgesetzt, sondern von den jeweiligen Franchisepartnern“, sagt ein Sprecher des Unternehmens. Diese wiederum sehen sich durch die hohen Pachten und Gewinnvorgaben zum Teil dazu gezwungen. Zu aktuellen Geschäftszahlen äußert sich T&R nicht – „aus Wettbewerbsgründen“.
„30 Prozent sind bei uns Stammkunden“
Auch bei Günther Wagner müssen die Kunden tiefer in die Tasche greifen als anderswo abseits der Autobahn. Die Pacht sei hoch, die Energiepreise gestiegen. Zudem zahle er seinen Mitarbeitern mehr als den Mindestlohn und er setze auf Qualität. Die Raststätte wird nur von regionalen Unternehmen beliefert, vom Sandwich bis zur Roulade ist bei ihm alles hausgemacht. Wagners Kunden würden dies schätzen: „30 Prozent sind bei uns Stammkunden.“ Keinen „Einheitsbrei“ wie bei Tank & Rast will er. Ach, und der Toilettengang sei kostenfrei.
Der Marktführer hingegen hat mit der Tochterfirma Sanifair ein eigenes Toilettenkonzept integriert. Wer die Anlage benutzen will, zahlt 70 Cent und bekommt einen Bon über 50 Cent, den der Kunde im Geschäft als Gutschein nutzen kann. Inzwischen haben sich die Bons zu einer Art Währung entwickelt. Auf Ebay werden sie gehandelt, Verarmte suchen in Mülleimern danach. Das neueste Geschäftsmodell von Tank & Rast sind derzeit die E-Ladestationen. Der Konzern verfolgt das Ziel, das größte zusammenhängende Netz von Schnellladesäulen an deutschen Autobahnen anzubieten. Aktuell gibt es laut dem Sprecher 360 Stationen an mehr als 320 Standorten.
Linke: Ein Fall für das Kartellamt
Weil es abseits der Autobahnen noch 190 Autohöfe gibt, sieht das Bundeskartellamt keinen Grund, im Raststättenmarkt ein Problem zu sehen. Die Linke kann das nicht glauben. „Der Wert von Tank & Rast hat sich seit der Privatisierung ungefähr versiebenfacht. Die De-facto-Monopolstellung für Sprit und Verpflegung an Autobahnen ermöglicht den Finanzinvestoren offenbar hohe Gewinne auf Kosten der Reisenden“, sagt der Abgeordnete Victor Perli. Es sei ihm ein Rätsel, warum diese „unglaubliche Marktkonzentration“ nicht überprüft werde.
Im vergangenen Jahr hatte Perli eine Kleine Anfrage an die Bundesregierung gestellt und den Vorwurf erhoben: Der Bund subventioniert das Monopol von Tank & Rast sogar. Laut der Regierungsantwort zahlt der Konzern seit jeher rund 16 Millionen Euro jährlich an den Staat– bei ständig steigenden Preisen und einem Gewinn von 160 Millionen Euro. Diese Konzessionsabgabe decke bei Weitem nicht die Ausgaben für den Bau und die Erhaltung von Rast- und Parkplätzen, weswegen der Bund im Schnitt 100 Millionen Euro pro Jahr dafür ausgibt. Daraus schlussfolgert Perli: Die Abzocke an den Raststätten werde so auch noch indirekt vom Steuerzahler unterstützt. Ein Skandal, findet der Abgeordnete.
80 Kilometer nördlich von Berlin, an der Raststätte Walsleben West an der A24, steht am bislang heißesten Tag des Jahres schließlich Patrick und schwitzt. Morgens ist er in Stralsund gestartet, will per Anhalter bis nach Erfurt, doch es läuft nicht. „Mein Vater ist früher überallhin getrampt“, sagt Patrick. Angeblich habe das immer problemlos funktioniert. Jetzt fährt ein Auto nach dem anderen an Patrick vorbei. Auch er findet: An Deutschlands Autobahnraststätten hat sich in den vergangenen Jahren einiges verändert.
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Wie überhaupt alles begann? 1932 weihte der damalige Kölner Oberbürgermeister Konrad Adenauer die erste öffentliche Autobahn in Deutschland ein. Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten wurde der Ausbau des Schnellstraßennetzes stark beschleunigt. Doch mit jedem Kilometer mehr kamen mehr Autofahrer auf die Straßen und die wollten versorgt werden – mit Reiseproviant und Treibstoff für die Fahrzeuge. Am 1. Mai 1936 wurde deswegen die erste Reichs-Autobahntankstelle bei der Anschlussstelle Darmstadt eröffnet, mit Waschgelegenheiten und einem Aufenthaltsraum für zehn Personen. Dort konnten die Reisenden ihre Butterbrote auspacken. Pause machen. Bis zum Baustopp 1942 ließen die Nationalsozialisten 78 Tankstellen und 24 Rastanlagen errichten. Im Zweiten Weltkrieg zerstörten Bombenangriffe viele Betriebe. Aus Unversehrten wurden Lazarette.
Sechs Jahre nach der Kapitulation gründete die Bundesrepublik Deutschland die „Gesellschaft für Nebenbetriebe der Bundesautobahnen mbH“ (GfN). Die Gesellschaft führte die Vorplanung der neuen Raststätten durch und übernahm die Baukosten. Außerdem war sie zuständig für dessen Verpachtung und Verwaltung. 1957 entstanden die ersten Motels. In den 80er Jahren gerieten die Raststätten in die Kritik. Die Einrichtung: überaltert. Die Toiletten: verdreckt und verschmiert, mit Junkies auf dem Boden. All das führte zu einem umfangreichen Modernisierungsprogramm der Standorte für zwei Milliarden Deutsche Mark. Im Jahr des Mauerfalls eröffnete an der Raststätte „Uttrichshausen West“ bei Fulda erstmals ein McDonald’s-Restaurant. 1994 wurde die Gesellschaft für Nebenbetriebe schließlich in die Aktiengesellschaft Tank & Rast umfirmiert, die vier Jahre später privatisiert wurde.
Mindestlohn und keine Zuschläge
Trotz gepfefferter Preise werden den Mitarbeitern nur Niedriglöhne gezahlt! So lautet eine Kernkritik der Gewerkschaft „Nahrung-Genuss-Gaststätten“ (NGG), wenn sie nach den Arbeitsbedingungen an deutschen Raststätten gefragt wird. Zwar gebe es an einigen wenigen Standorten Betriebsräte und Tarifverträge, aber das wäre eher die Ausnahme. In der Regel werde allein der Mindestlohn gezahlt.
„Jetzt im Sommer ist besonders viel los, zu jeder Tageszeit, an Wochenenden, Feiertagen, und dann kommt kurz vor Feierabend am besten noch ein Reisebus mit hundert Fußballfans angefahren“, erläutert Christoph Schink, Referatsleiter Gastgewerbe, die Belastungen in der Branche. „Da wollen die Beschäftigten doch zumindest einen Feiertagszuschlag. Aber nicht einmal der ist garantiert.“ Aus Sicht der Gewerkschaft sei die Privatisierung ein Fehler gewesen. Die Pächter würden unter einem enormen Druck stehen, den sie an die Mitarbeiter weitergeben würden. „Und Tank & Rast zieht sich mit seinem Franchisesystem schön aus der Verantwortung“, sagt Schink.
LKW-Fahrer in Not
Eineinhalb Stunden vor Schichtende beginnt für die Fernfahrerin Jasmin Wucherer immer das gleiche Geduldsspiel. Abfahrt Raststätte, im Schritttempo auf Parkplatzsuche, dann meist wieder zurück auf die Autobahn, ein paar Kilometer weiter der nächste Versuch. „Man muss sich frühzeitig umschauen,“ sagt Wucherer. Elf Jahre fuhr sie für eine Berliner Spedition auf Europas Autobahnen, inzwischen nur noch selten als Aushilfe. Hauptberuflich sitzt sie in der Personalabteilung.
„Die Situation mit den Parkflächen hat sich kontinuierlich verschlechtert“, sagt Wucherer. Laut Schätzungen fehlen 30 000 Stellplätze in Deutschland, 4000 allein in Brandenburg. Für die Fahrer ein Problem: Sie müssen ihre Lenk- und Ruhezeiten einhalten. Wer länger fährt, macht sich strafbar und muss mit hohen Bußgeldern rechnen. Bei Fahrern steht die Parkplatznot einer Umfrage zufolge „ganz, ganz weit oben, noch vor dem Gehalt“. Da der Lkw-Verkehr weiter zunehmen wird, könnte sich das Problem noch verschärfen. Experten fordern das Verkehrsministerium auf, zügig für mehr Plätze zu sorgen. Auch deswegen, weil es für die Fahrer immer gefährlicher wird. Nicht selten parken die in ihrer Verzweiflung Auf- und Abfahrten zu, was immer mal wieder zu Unfällen mit Verletzten führt.
„Im schlimmsten Fall musste ich ins Gewerbegebiet, an einen Waldrand oder in ein Wohngebiet ausweichen“, sagt Jasmin Wucherer. Am liebsten seien ihr die Autohöfe. Dort sei es sicherer, es gebe mehr Platz und bessere Ausstattung. Wucherers Spedition hat inzwischen reagiert und lässt ihre Fahrer am Wochenende nicht mehr fahren. Denn seit diesem Jahr sind Speditionen gesetzlich verpflichtet, ihre Fahrer übers Wochenende im Hotel unterzubringen. „Die an Autobahnen zu finden, ist aber noch viel unmöglicher als eine Parkfläche“, sagt Wucherer.
Dümmster Ort für einen Überfall
Raststätten sind bis heute nicht nur für Reisende, sondern auch für Kriminelle attraktiv. Immer wieder höre er von Fällen, in denen schlafende Urlauber auf Raststätten ausgeraubt werden, sagt ein ADAC-Sprecher. Eine Gesamtstatistik zur Kriminalität führen aber weder Autoclub, Verkehrsministerium noch die Polizei. Allerdings: An Raststätten in Brandenburg nimmt seit Jahren das Phänomen des Planeschlitzens zu. 2019 erhöhte sich die Zahl auf über 900 Fälle und auf einen Schaden von mehr als zwei Millionen Euro. Die Aufklärungsquote liege bei unter 30 Prozent, sagte die Polizei in Potsdam.
Dass ein maskierter Räuber plötzlich in der Raststätte steht, kommt ebenfalls vor. Allerdings erzählte ein Ex-Pächter vor einigen Jahren in einem Interview mit dem SZ Magazin: „Eine Autobahntankstelle zu überfallen ist das Dümmste, was man machen kann.“ Die Täter könnten nur in eine Richtung flüchten, die Polizei sei wenige Minuten nach dem Überfall da und auf Autobahnen seien viele Zivilpolizisten unterwegs. Seine Raststätte sei zwar mehrfach überfallen worden, aber die Täter seien immer gefasst worden.
Felix Hackenbruch, Marie Rövekamp