Gefahr für die Apotheken vor Ort?: Coronakrise sorgt für Boom der Online-Apotheken
In der Pandemie kaufen viele Kunden ihre Arzneimittel online. Die großen Online-Apotheken planen Expansionen, ein neues Gesetz soll lokale Apotheken schützen.
Während viele Wirtschaftszweige durch die Corona-Pandemie in die Krise geraten sind, können einige Branchen von der Ausnahmesituation profitieren. Dazu gehören Online-Apotheken. Der Bedarf nach Hygieneartikeln und Medikamenten war besonders im März riesig. Wer seine Hausapotheke aufstocken oder Desinfektionsmittel kaufen wollte, aber Kontakte vermeiden wollte, nutzte die Versandapotheken.
Nach Daten des Bundesverbands E-Commerce und Versandhandel ist der Online-Umsatz der Apotheken im ersten Quartal im Vergleich zum Vorjahr um 25 Prozent auf 200 Millionen Euro gestiegen, allein im März betrug der Anstieg 88,2 Prozent. Profitieren konnten auch die beiden dominanten Wettbewerber im europäischen Online-Arzneimittelhandel: die Shop Apotheke Europe mit Sitz in den Niederlanden und die Schweizer Zur-Rose-Gruppe, Muttergesellschaft von DocMorris.
„Wir erwarten für 2020 ein Umsatzwachstum von mindestens 20 Prozent“, sagt Stefan Feltens, Geschäftsführer der Shop Apotheke, dem Tagesspiegel. 2004 wurde der Versandhandel mit Medikamenten in Deutschland erlaubt, seitdem ist der Marktanteil des Versandhandels bei nicht-verschreibungspflichtigen Arzneimitteln stetig gewachsen und beträgt inzwischen fast 18 Prozent. „Dieser Trend wird aktuell durch die Corona-Situation verstärkt“, sagt Feltens.
Die Aktien des Konzerns gehören derzeit zu den begehrtesten Papieren an der Börse. Kurszielanhebungen haben sie an die Spitze des SDax gehievt, seitdem jagt ein Kursrekord den nächsten. Den Umsatz konnte das Unternehmen im ersten Quartal um 33 Prozent auf 232 Millionen Euro steigern, 300 000 Neukunden konnten gewonnen werden.
Für das Gesamtjahr erwartet das Unternehmen nun erstmals einen positiven Gewinn vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen. Ähnliche Zahlen meldet Zur Rose. Die Schweizer Versandapotheke hat den Umsatz im ersten Quartal um 11,6 Prozent auf 426,6 Millionen Franken gesteigert.
Die Einführung des E-Rezepts verändert den Markt
In Deutschland haben nach Zahlen der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (ABDA)etwa 3000 der rund 19 000 Apotheken eine Zulassung als Versandapotheke, etwa 150 von ihnen betreiben einen Versandhandel auf professioneller Basis. Auch die lokalen Apotheken haben im März deutlich mehr Arzneimittel verkauft als durchschnittlich üblich und etwa 50 Prozent mehr Botendienste durchgeführt.
Reiner Kern, Pressesprecher der ABDA, sieht in dem Ansturm auf die Apotheken aber eher eine Momentaufnahme als eine langfristige wirtschaftliche Verbesserung. Ausschlaggebender als die Pandemiesituation könnte für die positiven Börsenkurse der Online-Apotheken die Einführung des E-Rezepts sein.
Shop Apotheke will das „Potential ausschöpfen“
Nach dem Willen der Bundesregierung soll es ab dem 1. Januar 2022 bundesweit verpflichtend sein. Für die Versandapotheken ist das eine Chance, in den Markt mit verschreibungspflichtigen Rx-Arzneimitteln einzusteigen, wo sie derzeit nur ein Prozent Marktanteil haben. Kunden müssen Papierrezepte nach dessen Einführung nicht mehr postalisch an die Versandapotheken schicken, sondern können es einfach via Smartphone übermitteln.
„Wir gehen davon aus, dass sich der Anteil der Versandapotheken nach Einführung des E-Rezepts deutlich erhöhen wird“, sagt Stefan Feltens. Die Shop Apotheke sei „gut vorbereitet, um dieses Potential auszuschöpfen“.
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Grundsätzlich würden auch die stationären Apotheken die Einführung des E-Rezepts begrüßen, sagt Reiner Kern. Trotzdem sieht er auch die Gefahr für die Apotheken vor Ort, die durchschnittlich 80 bis 85 Prozent ihres Umsatzes mit Rezepten erwirtschaften. Sollte ein größerer Teil an Kunden zu Online-Apotheken abwandern, könnte das existenziell bedrohend für viele Betriebe sein.
Zumal die ausländischen Wettbewerber Preisnachlässe und Boni auf Rx-Medikamente gewähren dürfen. Im Oktober 2016 hatte der Europäischen Gerichtshofs (EuGH) geurteilt, dass die deutsche Preisbindung gegen EU-Recht verstoße. Ursprünglich sollte daraufhin der Rx-Versandhandel in Deutschland komplett verboten werden, das Gesetz von Hermann Gröhe (CDU) fand aber keine Mehrheit.
Das Gesetz liegt wegen der Coronakrise auf Eis
Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) will die Regelungen zur Einhaltung des einheitlichen Abgabepreises für Arzneimittel nun im Sozialgesetzbuch einfügen. Spahn hat angekündigt, Gespräche mit Brüssel über das „Gesetz zur Stärkung der Vor-Ort-Apotheken“ wieder aufnehmen zu wollen. Am 17. Juli 2019 wurde der Entwurf im Kabinett beschlossen, seitdem liegt das Gesetz, unter anderem bedingt durch die Coronakrise, auf Eis.
Die Apothekerschaft erwarte, dass das Gesetz endlich verabschiedet wird, sagt Kern. Bei einer Gleichpreisigkeit sei er zuversichtlich, dass die Vor-Ort-Betriebe auch nach der Einführung des E-Rezepts am Markt bestehen können. Auch Udo Sonnenberg, Geschäftsführer des Bundesverbandes Deutscher Versandapotheken (BVDVA), fordert, dass endlich etwas passiert.
Linke fordert Versandverbot für verschreibungspflichtige Mittel
„Das Wettbewerbsgefälle zwischen europäischen und deutschen Versandapotheken ist ein echtes Problem.“ Alle Marktteilnehmer sollten die gleichen Bedingungen haben. Die Linke fordert als einzige Partei weiterhin das Verbot des Rx-Versandhandels.
Die sei nötig, um Apotheken vor Ort zu schützen, sagt Sylvia Gabelmann, Sprecherin für Arzneimittelpolitik der Linken und ausgebildete Apothekerin. „Im Sinne der Arzneimittelsicherheit ist die Apotheke vor Ort unverzichtbar.“ Nur in lokalen Apotheken könnten Kunden umfassend beraten werden.
Stefan Feltens von Shop Apotheke hält dagegen, dass sich der Rx-Versand in Deutschland seit vielen Jahren bewährt habe. „Den Kunden hier zur bevormunden wäre sicherlich nicht zielführend.“
Die Gewährung von Rx-Boni würde den strukturellen Wettbewerbsnachteil von ausländischen Versandapotheken „zumindest teilweise ausgleichen“. Feltens sieht gerade in der Coronakrise die Versandapotheken als wichtigen Bestandteil, um die Versorgung mit Arzneimitteln sicherzustellen.
Online-Apotheken wollen Drogerien Konkurrenz machen
Die Pläne der Online-Apotheken sind groß: Ab Sommer will Shop Apotheke Expresslieferungen von Medikamenten noch am gleichen Tag in deutschen Metropolregionen ausrollen. Das Unternehmen hat außerdem angekündigt, in der zweiten Jahreshälfte eine Markplatz-Funktion live zu schalten, die Drogerien Konkurrenz mache könnte.
„Ausgewählte Partner“ soll so die Möglichkeit geboten werden, etwa Sanitätsartikel, Kontaktlinsen und hochwertige Kosmetika zu verkaufen. Ziel der Shop Apotheke sei es, „One-Stop-Shop“ für viele Gesundheitsbedürfnisse der Kunden zu werden, wie Stefan Feltens sagt. Der Konzern arbeitet im Bereich der Telemedizin bereits mit dem Online-Arzt-Service Zava zusammen.
Werden Apotheken mit DocMorris zusammenarbeiten?
Auch Konkurrent DocMorris will in den kommenden Monaten eine eigene Vorbestellplattform für Apothekenprodukte entwickeln. Anders als beim Modell der Shop Apotheke sollen daran auch Vor-Ort-Apotheken partizipieren. Kunden sollen auf der Plattform ein Produkt vorbestellen und dann eine lokale Apotheke für die Belieferung auswählen können.
Vorbild ist die südeuropäische Plattform Promofarma. Ab dem zweiten Quartal soll ein Team in Berlin mit den technischen Vorbereitungen für die Marktplatz-App beginnen, mit einem Start voraussichtlich noch dieses Jahr.
Fraglich ist allerdings, ob sich angesichts der angespannten Situation in Deutschland viele lokale Apotheken finden, die bereit sind, mit dem Konzern zu kooperieren. DocMorris hat bereits angekündigt, auf seinen für Deutschland geplanten Marktplatz auf Rx-Boni verzichten zu wollen und den Apotheken so entgegenzukommen.