zum Hauptinhalt
Im Angriffsmodus. Claus Weselsky wirft dem Bahnmanagement vor, die Forderungen der Lokführer als „bekloppt“ zu diffamieren.
© dpa

Tarifkonflikt bei der Bahn: Claus Weselsky - „Der Konzern versagt beim Personal“

Claus Weselsky, Chef der Lokführergewerkschaft GDL, über den aktuellen Tarifkonflikt, persönliche Angriffe und Nachwuchsprobleme auf der Lok.

Herr Weselsky, mit insgesamt 7,6 Prozent liegt die GDL-Forderung für mehr Geld und kürzere Arbeitzeit deutlich über den Forderungen anderer Gewerkschaften. Warum gehen Sie so hoch ran?

Wir haben spezielle Anforderungen in einzelnen Bereichen, rund um die Uhr, sieben Tage die Woche wird da gearbeitet, und deshalb wollen wir da von 39 auf 38 Wochenstunden runter. Das veranschlagen wir mit 2,6 Prozent. Und im Übrigen: Forderungen sind noch nie 1:1 umgesetzt worden. Wir gehen nicht davon aus, dass es am Ende eine Tariferhöhung um fünf Prozent gibt.

Warum sollen die Lokführer der Bahn kürzer arbeiten, wenn sie jetzt schon drei Millionen Überstunden auf dem Konto haben?

Wir wollen den Druck erhöhen, denn der Marktführer versagt beim Personal. Die Bahn hat ungefähr einen Marktanteil von 70 Prozent, stellt dem Markt aber weit weniger Personal zur Verfügung. Wir müssen also Druck machen, um das nach oben zu bringen. In den letzten Tarifrunden haben wir zwar höhere Ausbildungszahlen durchgesetzt, doch die Bahn wird ihrer Verantwortung nicht gerecht, die Abgänge auszugleichen.

Das weist der Konzern zurück.

Die Bahn träumt davon, wenn irgendwo in Deutschland Arbeit wegfällt, dass die Beschäftigten dort sich per Knopfdruck zu einem anderen Ort bewegen lassen. Wir vertreten eine andere Logik: Wenn ein Wettbewerber der Bahn irgendwo im Regionalverkehr eine Ausschreibung gewinnt, dann sollen die Beschäftigten vor Ort zu dem neuen Verkehrsanbieter wechseln. Dafür haben wir einen Betreiberwechseltarifvertrag abgeschlossen, damit die Leute ihre Heimat nicht ständig verlassen müssen.

Gibt es aktuell einen Lokführermangel?

Ja. Das ist auch kein Wunder, wenn die Konzernleitung alles unternimmt, um den Job in Grund und Boden zu reden. Dabei sind Zugbegleiter und Lokomotivführer die Botschafter der Bahn für Kunden und Öffentlichkeit. Und dann erinnern Sie sich mal an die letzten Monate …

Sie meinen die wechselseitigen Attacken im Tarifkonflikt?

Das Unternehmen hat den Beschäftigten nicht nur keine Wertschätzung entgegengebracht, sondern deren Forderungen für bekloppt erklärt. In dem Bereich beschäftigt die Bahn 37.000 Personen – was sollen die denken, wenn ihre Gewerkschaft als „Amokläufer“ diskreditiert wird?

Sie selbst haben auch nicht nur Komplimente geflötet.

Ich bin eben auch als Person angegriffen worden, weil der Arbeitgeber keine Sachargumente hatte. Aber die haben nicht nur mich angegriffen, sondern eine Gewerkschaft, für die sich 80 Prozent der Lokführer und 30 Prozent der Zugbegleiter entschieden haben. Das Unternehmen hat uns nicht nur in eine langwierige Auseinandersetzung gestürzt, unter der die Kunden leiden, sondern in einer PR- Kampagne auch die eigenen Mitarbeiter schlechtgemacht.

Will deshalb keiner mehr Lokführer werden? Wie viele fehlen denn nun?

Mindestens einige hundert. Die nächsten Jahre werden dramatisch, weil wir bei einem Durchschnittsalter von 49 Jahren viele Abgänge haben. Kaum ein Lokführer kann bis 60 als Lokführer arbeiten. Wenn ich die Personalvorstände dazu frage, dann heißt es: „Im Durchschnitt haben wir einen ausgeglichenen Personalbestand.“ Dahinter steht das menschenverachtende Denken, dass man die Leute überall in der Republik einsetzen, also ständig versetzen könnte. Dieser Quatsch erinnert mich an den Spruch: Im Durchschnitt ist die Pfütze 20 Zentimeter tief, und trotzdem ist die Kuh ertrunken.

Warum gehen Lokführer so früh in Rente?

Die gehen nicht unbedingt mit 58 oder 60 in Rente, sondern bekommen eine andere Tätigkeit, weil sie die Fahrdiensttauglichkeit verlieren. Die meisten können immer noch acht Stunden arbeiten, aber nicht auf der Lokomotive.

Gibt es genügend Ersatzarbeitsplätze?

Das war genau unser Motiv für einen Tarifvertrag, den wir 2012 durchgesetzt haben. Wer die Fahrdiensttauglichkeit verliert, der muss sich frei entscheiden können, was er macht, und darf nicht allein von der Entscheidung des Arbeitgebers abhängen und quer durch die Republik geschickt werden.

Kann ein Lokführer auch als Zugbegleiter arbeiten?

Im Prinzip ja. Aber wenn er Zugbegleiter werden wollte, dann wäre er es geworden. So wird er eher gezwungen, denn er wollte Lokomotivführer sein. Wenn er sich also dafür entscheidet, weil er nicht mehr auf der Lok sitzen kann, ist das in Ordnung, weil es seine Entscheidung ist.

Zurück zum Tarifkonflikt. Kurz vor Weihnachten gab es ein Angebot der Bahn und seitdem wird verhandelt. Wie lange noch?

Wir haben ein Angebot vorliegen, mit dem wir nicht einverstanden sind. Die Tarifkonstruktion der Bahn ist nicht geeignet, normativ die Arbeitbedingungen für alle Beschäftigtengruppen zu regeln. Deshalb bekommt die Bahn am Montag von uns eine Tarifstruktur, in der wir auch die Zugbegleiter und Bordgastronomen in einem Tarif integrieren, der Zugpersonaltarifvertrag heißt.

Und dann ist alles gut?

Das Tarifgeschäft bei den Bahnen ist kompliziert. In einem Rahmentarif, der für die ganze Republik gilt, werden Kernelemente geregelt: Entgelttabelle, Wochenarbeitszeit, Sonn-, Feiertags- und Nachtzuschläge sowie die Fahrentschädigung. Und der jeweilige Haustarifvertrag ist damit verknüpft. Die Bahn will das umgehen und möchte den Haustarif stärken und den Rahmentarif schwächen. Darauf lassen wir uns aber nicht ein.

Warum nicht?

Der einzige Flächentarif, der in diesem Land existiert, ist der Bundesrahmenlokomotivführertarifvertrag. Der bildet ein einheitliches Marktniveau ab und begrenzt deshalb den Wettbewerb über die Lohnkosten. Wettbewerbsvorteile durch Lohndumping sind somit ausgeschlossen. Im Haustarif können dann Dinge berücksichtigt und geregelt werden, die regional oder betriebsspezifisch sind.

Spezifisch bei der Bahn ist die rabiate Konkurrenz zwischen den Gewerkschaften GDL und EVG. Welcher Bahn-Mitarbeiter wird künftig nach welchem Tarif bezahlt?

Die Beschäftigten erklären gegenüber dem Arbeitgeber, welcher Tarif für sie gilt. Der Tarifvertrag der GDL gilt für die Mitglieder der GDL.

Man kann aber Mitglied der GDL und Mitglied der EVG sein und springt dann von Tarif zu Tarif, je nachdem, wo es mehr gibt.

Das ist eine Mär, die die Arbeitgeber verbreiten. Ich habe noch nie erlebt, dass die Lokführer sich für einen anderen Tarif entscheiden, wenn die Arbeitgeber nicht absichtlich, um sie in eine andere Gewerkschaft zu locken, den anderen Tarif verbessert hätten. Diese Art von Hochschaukeln geht vom Arbeitgeber aus.

Mit dem Gesetz über die Tarifeinheit hat künftig die Gewerkschaft Vorrang, die mehr Mitglieder hat. Kommt dann der Kampf um Mitglieder zwischen EVG und GDL erst richtig in Schwung?

Das ist sicher zu erwarten. Ich habe der EVG und der Bahn angeboten, dass wir die Verkehrsunternehmen und die EVG die Infrastruktur organisieren – das wollten sie aber nicht. Sollte das Gesetz kommen und vor dem Bundesverfassungsgericht und dem Europäischen Gerichtshof bestehen, dann habe ich nur die Alternative zu expandieren.

Wann haben Sie denn nun den Tarifabschluss 2015 geschafft?

Am 11. Februar verhandeln wird wieder. Wenn wir da vorankommen, gibt es einen weiteren Termin am 26. Februar. Es gilt: Jeder Termin muss einen Fortschritt bringen, ansonsten müssen wir mit Streiks den Druck erhöhen. Wir wollen vor Ostern einen Tarifabschluss erreichen.

Alfons Frese

Zur Startseite