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Immer auf die Kleinen? Arbeitsministerin Andrea Nahles hat ihren Entwurf durchs Kabinett gebracht. Einer der schärfsten Kritiker ist Rudolf Henke vom Marburger Bund.
© picture alliance / dpa

Gesetz über die Tarifeinheit: Die Regierung macht ernst

Nach jahrelangem Hickhack gibt es jetzt einen Gesetzentwurf zur Tarifeinheit. Die Arbeitgeber freuen sich, die IG Metall auch, Verdi und andere Gewerkschaften sind dagegen.

Der Regierungsbeschluss war lange erwartet worden, und so fielen die Reaktionen eindeutig aus. Von einem „schwarzen Tag für gewerkschaftliche Grundrechte“ und einem „Verfassungsbruch“ war die Rede beim Marburger Bund und der Pilotengewerkschaft Cockpit; die IG Metall dagegen sah die Regierung auf dem „richtigen Weg“, und die Arbeitgeber freuten sich über die „Wiederherstellung der Tarifeinheit“. Tatsächlich kommt jetzt eins der umstrittensten innenpolitischen Themen der letzten Jahre auf die Zielgerade: Wenn es in einem Unternehmen mehrere Gewerkschaften gibt, die für identische Beschäftigtengruppen Tarife abschließen wollen, so wird das künftig nur der Gewerkschaft gestattet, die die meisten Mitglieder hat. „Für dieselbe Arbeitnehmergruppe können nicht unterschiedliche Tarifverträge gelten“, freute sich Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer. Und wenn doch, dann führe das, wie zum Beispiel bei der Bahn, zu Auseinandersetzungen zwischen den Gewerkschaften.

Die erste Initiative gab es 2010

Die Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände (BDA) und der DGB hatten vor mehr als vier Jahren der Regierung einen gemeinsamen Vorschlag für ein entsprechendes Gesetz gemacht. Die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi ruderte später zurück, und auch der DGB verabschiedete sich aus der Initiative, die in der damaligen schwarz-gelben Koalition vor allem an der FDP scheiterte. Unter anderem gab und gibt es verfassungsrechtliche Bedenken, denn die Minderheitsgewerkschaften büßen faktisch ihre Streikfähigkeit und damit ihre Tarifmächtigkeit ein, woraus sich ein Verstoß gegen die grundgesetzliche Koalitionsfreiheit ableiten lässt. Berufsgewerkschaften wie der Marburger Bund (Ärzte), aber auch der Beamtenbund, zu dem die Lokführergewerkschaft GDL gehört, haben deshalb auch schon Verfassungsbeschwerde gegen das Gesetz angekündigt, bevor es überhaupt vorlag.

Verdi sammelt Unterschriften gegen das Gesetz

Mit dem Kabinettsbeschluss vom Donnerstag kommt nun das parlamentarische Verfahren in Gang. Arbeitsminister Andrea Nahles (SPD) möchte das Gesetz im Sommer in Kraft setzen. „Wir sind sehr zuversichtlich, dass dieses Gesetz verfassungsfest ist“, sagte sie gestern und betonte die Absicht, „nicht aktiv ins Streikrecht“ eingreifen zu wollen. Aber womöglich passiv: Denn ein Streik der Minderheitsgewerkschaft in einem Betrieb dürfte künftig von Arbeitsgerichten als unverhältnismäßig verboten werden, weil ja der Tarifvertrag der Mehrheitsgewerkschaft gilt. Kleine Organisationen hätten keine Chance mehr, überhaupt Tarife abzuschließen. An dieser Stelle setzen die Kritiker an. „Hunderttausende von Arbeitnehmern werden diese Entscheidung als Angriff auf ihre grundgesetzlich verbrieften Rechte verstehen“, hieß es beim Marburger Bund. Rudolf Henke, Präsident der Ärztegewerkschaft, meinte auf Anfrage, die Regierung verstoße auch gegen den eigenen Koalitionsvertrag, weil sich das Gesetz keineswegs auf das Einvernehmen der Sozialpartner stützen könne. Viele Gewerkschaften seien dagegen, darunter auch drei der acht DGB-Gewerkschaften. Verdi, mit zwei Millionen Mitgliedern nach der IG Metall (2,3 Millionen) die größte Gewerkschaft hierzulande, sammelt sogar Unterschriften gegen das Gesetz. Nach Angaben eines Verdi-Sprechers haben bislang 20 000 Personen einen entsprechenden Aufruf unterzeichnet.

Die IG Metall ist dafür. „Mit der Verankerung des Mehrheitsprinzips ist der richtige Weg beschritten, um die Tarifeinheit zu sichern. Damit bestimmen die im Betrieb Beschäftigten mit ihrer Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft, welcher Tarifvertrag gilt“, sagte IG Metall-Chef Detlef Wetzel. Mit dem Mehrheitsprinzip sei geklärt, „dass eine solidarische Tarifpolitik für alle Beschäftigtengruppen Vorrang vor Partikularinteressen hat“. Die Pilotenvereinigung Cockpit dagegen befürchtet einen „Kampf um Mitglieder“ in den Betrieben. Reinhard Göhner, Hauptgeschäftsführer der BDA, glaubt das deshalb nicht, weil in „99,9 Prozent“ die Mehrheitsverhältnisse im Betrieb eindeutig seien. Göhner wies darauf hin, dass auch künftig mehrere Tarife in einem Unternehmen möglich seien. Bei der Lufthansa zum Beispiel werde Cockpit weiter für die Piloten, Verdi für das Bodenpersonal und Ufo für die Flugbegleiter Tarife abschließen. Das neue Gesetz greife erst, wenn eine der Gewerkschaften Tarife für die Beschäftigten einer anderen Gewerkschaft abschließen wolle.

Alfons Frese

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