Genossenschaften: Bürgerenergie bekommt Schützenhilfe aus Brüssel
Das aktuelle EEG erschwert den Erfolg von Bürgerenergieprojekten und zwingt sie entgegen dem Rat aus Brüssel zur Teilnahme an Ausschreibungen. Doch mit der nächsten Erneuerbaren-Energien-Richtlinie der EU könnten die Karten neu gemischt werden.
Eine Ausnahme für Genossenschaften mit Projekten bis zu einer Grenze von 18 Megawatt Leistung steht im Gesetzespaket „Clean Energy for all Europeans“. Denn die Kommission sieht ein großes Potential von Bürgerenergie. Das war eine zentrale Erkenntnis beim Bundeskongress genossenschaftliche Energiewende am Dienstag in Berlin.
„Nicht weise“ findet Dirk Vansintjan vom Verband der europäischen Energiegenossenschaften (REScoop) die Neuregelung zur Bürgerenergie im EEG 2017. Auch Genossenschaften müssen seitdem an Ausschreibungen teilnehmen. Zwar genießen sie kleinere Erleichterungen und dürfen sich ohne Bundesimmissionsschutzgenehmigung beteiligen. Außerdem erhalten sie nicht den Preis, den sie bieten, sondern jeweils den Preis des letzten noch bezuschlagten Gebots, also den höchsten Preis der jeweiligen Ausschreibungsrunde.
„Ob diese Regelung aber das eigentliche Problem von Bürgerenergie löst, nämlich die hohen Risiken, die durch Ausschreiben entstehen, darf man getrost bezweifeln“, sagt René Mono vom Bündnis Bürgerenergie auf Nachfrage. Denn wie alle Beteiligten an Ausschreibungen müssten Bürgerenergieprojekte 15 Euro pro Kilowatt als Sicherheit einbringen. „Gelingt eine Genehmigung nicht, sind nicht nur die Projektentwicklungskosten, die bei einem durchschnittlichen Windpark leicht über 100.000 Euro betragen können, in den Sand gesetzt, sondern auch die Sicherheit ist weg“, sagt Mono.
Bis zu 18 Megawatt ohne Ausschreibungen
Eine andere Strategie im Umgang mit Bürgerenergie pflegt die EU. So habe Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager 2016 in einem Brief an den Bundesverband Windenergie mitgeteilt, dass Windparks mit einer Leistung von bis zu 18 Megawatt ohne Ausschreibung gefördert werden könnten, berichtet Mono. Das entspricht sechs Windrädern. Damit erläuterte Vestager Bestimmungen in den EU-Leitlinien zu Beihilfen für Umweltschutz und Energie.
Die 18-Megawatt-Grenze hat die EU auch in Artikel 22 der Neufassung ihrer Direktive zu erneuerbaren Energien festgelegt. Sie ist eine von fünf Bedingungen, von denen vier erfüllt werden müssen, damit ein Projekt als „Erneuerbare Energien Gemeinschaft“ anerkannt werden kann. „Die EU ist interessiert daran, die Gemeinschaften zu fördern, weil sie bei der sozialen Akzeptanz der Energiewende helfen und den Anteil der erneuerbaren Energien steigern“, sagte Paula Abreu Marques, Leiterin der Abteilung „Erneuerbare und CCS“ bei der Generaldirektion Energie beim Kongress.
Das bestätigt Helmut Grützbach von der Genossenschaft Rehfelde Eigenenergie, die demnächst zwei Windräder nahe Berlin in Betrieb nehmen wird. Dort hatte ein Projektierer bereits Flächen für Windkraftanlagen gepachtet: „Aber ohne uns hätte er nicht bauen können. Wir mussten Bevölkerung und Gemeinde erst auf unsere Seite bringen“, sagt Grützbach.
Bisher sind 75 Prozent aller Bürgerenergiegemeinschaften in Deutschland, Österreich und Dänemark beheimatet. In Osteuropa sind sie völlig unbekannt. In Deutschland erzeugten sie 2012 rund 47 Prozent der Erneuerbare-Energien-Leistung (ohne Pumpspeicher, Offshore-Windkraft, Geothermie und biogenem Anteil des Abfalls).
"Bürgerenergie war zu erfolgreich"
Auch in Großbritannien wurden die Förderbedingungen unter der konservativen Regierung von David Cameron geändert. „Die Projekte waren zu erfolgreich. Das war der Regierung peinlich. Deshalb hat sie die Steuererleichterungen zurückgenommen“, berichtete Emma Bridge, Geschäftsführerin von Community Energy England beim Kongress.
Es ist nun aber gut möglich, dass die Bürgerenergie über den Umweg einer EU-Gesetzgebung wieder erstarkt, denn die Erneuerbare-Energien-Richtlinie soll wie das ganze Gesetzespaket „Clean Energy for all Europeans“ schon Ende dieses Jahres verabschiedet werden, berichtete Marques. „Damit sollen klare Signale an die Investoren gesendet werden“, sagte Marques. Ursprünglich war Ende 2018 angepeilt worden.
„Die Energieversorgung muss in den Händen der Bürger sein“, meint jedenfalls Erik Christiansen von der Middelgrunden Wind Turbine Cooperative, die schon Windanlagen vor der Küste von Kopenhagen baute, als es noch gar keine politischen Rahmenbedingungen für solche Projekte gab. „Goldeier“ nannte der damalige dänische Energieminister solche Genossenschaften, berichtete Christiansen beim Kongress.
Akteursvielfalt versus Marktwirtschaft
Es gibt allerdings auch Kritiker wie den Ökonomen Erik Gawel vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung. In einem Aufsatz für die Zeitschrift Energiewirtschaftliche Tagesfragen untersucht er, was genau der Eigenwert der Akteursvielfalt in der Energieerzeugung ist. „Aus guten Gründen setzen wir darauf, dass sich die findigsten und innovativsten Unternehmen am Markt durchsetzen“, sagt Gawel dem Tagesspiegel. „Bürgerenergiegenossenschaften können nicht per se reklamieren, günstige Marktbedingungen vorzufinden“, meint er.
Hier würde Paula Abreu Marques wohl entgegnen, dass der Energiemarkt kein wirklicher Markt ist. „Die externen Kosten sind nicht internalisiert“, sagte sie und spielte damit auf die gesellschaftlichen, gesundheitlichen und ökologischen Folgen der fossilen Energieerzeugung an. Ausdrücklich befürwortete sie „spezifische Rechte“ für Energiegemeinschaften.
Wie Genossenschaften sich strategisch weiterentwickeln und Geschäftsfelder erobern können, soll das Forschungsprojekt klimaGEN klären, an dem die Universität Kassel mit weiteren Partnern arbeitet, berichtete Eckhard Ott von der Bundesgeschäftsstelle Energiegenossenschaften beim Kongress.
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