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© dpa-Zentralbild

Kohleabbau: ''Die Kohle hat der Teufel erschaffen''

Vertrocknete Naturparadiese, Risse in Straßen und Häusern, verlorene Dörfer: Der Preis für den deutschen Kohleabbau ist hoch.

Gewonnen haben wir nicht, sagt Daniel Häfner. Auch so kann man seine Niederlage erklären. Jahrelang hatte der Student einen ungleichen Kampf geführt. Mit Gleichgesinnten hatte Häfner versucht, das sorbische Dorf Lakoma in der Nähe von Cottbus vor den Braunkohlebaggern des Energiekonzerns Vattenfall zu retten. Lakoma war das letzte von mehr als 100 Dörfern, das in Deutschland dem Kohleabbau weichen musste.

Häfner sagt, dass etwas verloren ging, als Vattenfalls Wachdienst ihn und die anderen Aktivisten im Herbst 2007 aus den Baumkronen rund um Lakoma holte: „Das sind Dinge, die nicht in Geld abzurechnen sind. Das sind die ohnehin schwindende sorbische Kultur, ein einzigartiges Naturschutzgebiet, die Geschichte der Gegend.“ Mit dem Dorf verschwanden die Lakomaer Teiche, 170 bedrohte Tier- und Pflanzenarten hatten dort gelebt, der Eremitenkäfer zum Beispiel, der Wiedehopf, Fischotter. „Heute ist da nur noch eine Wüste“, sagt Häfner.

„Eigentlich ist der Bergbautreibende dazu verpflichtet, für Schäden aufzukommen und nach dem Abbau aufzuräumen“, erklärt Stefan Lechtenböhmer vom Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie. Aber die Schäden zu beziffern sei eben nicht immer einfach: „Was ist ein Naturschutzgebiet wert?“ Für eine Studie hat Lechtenböhmer die externen Kosten des Kohleabbaus zusammengestellt. Als externe Kosten werden die Lasten bezeichnet, die durch die Arbeit eines Unternehmens verursacht werden und von der Allgemeinheit oder von zukünftigen Generationen getragen werden müssen.

Ökologische Schäden gehören dazu, die etwa entstehen, wenn das Bergbauunternehmen den Grundwasserspiegel absenkt. „In der ganzen Umgebung können dann die Feuchtgebiete trockenfallen“, sagt Lechtenböhmer. Genau das ist im vergangenen Jahr den Lakomaer Teichen widerfahren. Aber auch Häuser können durch die sogenannte Sümpfung beschädigt werden: Seit RWE rund um einige nordrhein-westfälische Abbaugebiete das Grundwasser senkt, steigt es an anderer Stelle. Anwohner klagen über sich neigende Häuser, feuchte Keller, absaufende Gärten und Risse in den Straßen.

Ist ein Tagebau einmal „ausgekohlt“, kehrt das Wasser zurück. Oft fluten die Energieunternehmen die zurückbleibende Mondlandschaft – so wie im Lausitzer Revier, wo sich einmal das größte künstliche Seengebiet Europas erstrecken soll. Die für die Sanierung von 30 ehemaligen DDR-Tagebauen zuständige Lausitzer und Mitteldeutsche Bergbau Verwaltungsgesellschaft (LMBV) plant, dafür neben der Neiße bald auch die Elbe anzuzapfen. Dieses Wasser fehlt dann anderswo. Zugleich steigt an vielen Stellen das Grundwasser wieder an und bereitet so einmal mehr statische Probleme. Ganz auszuschließen sind Rutschungen nie, so wie im vergangenen Sommer als in Nachterstedt zwei Häuser am Ufer des künstlichen Concordiasees in die Tiefe gerissen wurden und drei Menschen starben.

Spricht man mit ehemaligen Bewohnern von abgebaggerten Dörfern wie Horno oder Lakoma, hört man eines immer wieder: Es sei eben nicht das Gleiche, ob man einfach umziehe oder ob die alte Heimat vom Erdboden verschwinde, Kirchen versetzt, Gräber umgebettet würden. Etwa 100 000 Menschen sollen es sein, die in Deutschland für die Kohle ihre Heimat verloren haben. Und es gibt Berichte von erhöhten Selbstmordraten unter ihnen. Ein sorbisches Sprichwort lautet: „Gott hat die Lausitz erschaffen, der Teufel die Kohle darunter.“

Die Verschandelung der Landschaft hält sich beim Steinkohleabbau zwar in Grenzen, überirdisch nehmen die Gruben wenig Platz in Anspruch. Doch die Erde unter dem Ruhrgebiet und dem Saarland ist von unzähligen Stollen durchlöchert. Auch weit über das Ende des Steinkohlebergbaus im Jahr 2018 hinaus werden sie den Anwohnern wohl zu schaffen machen –dann nämlich, wenn Stollen einstürzen. Ewigkeitskosten des Bergbaus nennt man das.

Der Tagebau ist da übersichtlicher. Und die LMBV ist stolz auf ihre Erfolge, auf die neu geschaffenen Seen, Wälder und Felder. Große Teile davon seien für den Naturschutz reserviert, heißt es. Und auch Industriegebiete sind entstanden. Die Renaturierung ist aufwändig und teuer, denn die tiefen Erdschichten, die der Bergbau an die Oberfläche bringt, sind nährstoffarm und lebensfeindlich. Biologen der TU Cottbus schätzen, dass Jahrhunderte vergehen könnten, bis hier von sich aus wieder ein Wald wächst.

Der Energiekonzern Vattenfall will sich zu den Folgen seines Tuns nicht äußern. Der Gesamtverband Steinkohle kontert mit einer eigenen Studie, in der er den externen Kosten der Kohlegewinnung den Vorteil gegenüberstellt, den der Verbraucher davon hat, nämlich einen relativ niedrigen Strompreis. In dieser Rechnung schneidet die Kohle im Vergleich zu anderen Energiequellen „überdurchschnittlich gut ab“. Nicht einbezogen in diese Rechnung sind allerdings die Subventionen. Sie halbieren den Preis, den der Endverbraucher für die Steinkohle zahlt. Ein Argument der Kohlebefürworter können indes auch Lechtenböhmer und Häfner nicht ganz von der Hand weisen: Der Kohleabbau sichert Jobs in Regionen, die schon heute schwer unter der Arbeitslosigkeit leiden.

Malte Conradi

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