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Auf der Deponie in Mahlsdorf werden rund 140.000 Tonnen Müll jedes Jahr sortiert, was 28.000 Müllwagenladungen entspricht.
© Stefan Jacobs

Kreislaufwirtschaft: Bundesregierung lässt einfachsten Weg zur CO2-Reduzierung unberücksichtigt

Der Weg zu erneuerbaren Energien und E-Mobilität ist lang und teuer. Darüber werden die CO2-Einsparpotentiale der Müllwirtschaft vergessen. Ein Gastkommentar.

In ihrem Entwurf für das Klimaschutzprogramm 2030 formuliert die große Koalition auf insgesamt 22 Seiten die aus ihrer Sicht wesentlichen Eckpunkte für das Erreichen der Pariser Klimaziele. Lediglich 16 Zeilen widmet das Papier der Kreislaufwirtschaft. Dabei sehen diverse Studien und Berechnungen, unter anderem auch das Bundesumweltministerium (BMU) selbst, in konsequentem Recycling in Kombination mit einem europaweiten Deponieverbot einen der wirkmächtigsten Hebel zur Reduktion von CO2 und anderer Klimagase.

Spätestens seit der Einigung von Paris werden in den meisten Industrienationen die Bemühungen intensiviert, den CO2-Ausstoß zu verringern. Dabei liegt der Fokus bis heute vor allem auf den Sektoren Energieerzeugung und Mobilität. Deutschland hat bereits in den 90er Jahren konkrete Ziele für die Energiewende formuliert. Bis spätestens 2050 soll die Energieerzeugung hierzulande weitgehend treibhausgasneutral werden. Auf dem Weg dorthin sollen diese Emissionen in Deutschland bis 2050 um 80 bis 95 Prozent im Vergleich zu 1990 reduziert werden.

Doch das Erreichen dieser Ziele erscheint fraglich. Der Windenergieausbau auf dem Festland ist in Deutschland 2018 um mehr als die Hälfte zurückgegangen. 2019 hat sich diese Entwicklung weiter beschleunigt. Im Vergleich zu den vorangegangenen drei Jahren liegt der Einbruch bei fast 90 Prozent. Dieser drastische Rückgang hat nach Einschätzung der Fachagentur Windenergie zwei Hauptursachen, zum einen die immer langwierigeren Genehmigungsverfahren, zum anderen die zahlreichen Klagen gegen bereits erteilte Genehmigungen, die den Bau von Anlagen verzögern und zum Teil sogar vollständig unmöglich machen.

60 Millionen Tonnen CO2 jährlich einsparen

Bei der Umstellung auf klimaneutrale Mobilität sieht es derzeit nicht viel besser aus. Wenn von den rund 54 Millionen Fahrzeugen alleine in Deutschland nur eine Million Elektrofahrzeuge mit einem durchschnittlichen Bedarf an Ladestromleistung von 350 KW gleichzeitig ihre Akkus aufladen wollten, läge der Bedarf an vorgehaltener elektrischer Leistung bei 350 Gigawatt. Das deutsche Stromnetz kann aber – Stand heute – lediglich maximal 68,5 Gigawatt Leistung bereitstellen.

Trotz dieser Faktenlage beschränkt sich das Klimaschutzprogramm 2030 der großen Koalition im Wesentlichen auf die Sektoren Energie, Mobilität und Landwirtschaft. Auf der Suche nach realistisch umsetzbaren Hebeln für mehr Klimaschutz lässt die Bundesregierung das enorme Potenzial der Kreislaufwirtschaft nahezu unberücksichtigt. Dabei wäre schon eine Erhöhung des Rezyklateinsatzes der Industrie von derzeit knapp 15 Prozent auf 30 Prozent alleine in Deutschland mit einer CO2-Einsparung von 60 Millionen Tonnen jährlich verbunden, was rund einem Drittel des Potenzials der erneuerbaren Energien entspricht.

Verbände wie der BDE (Bundesverband der Deutschen Entsorgungs-, Wasser- und Rohstoffwirtschaft) fordern daher, den Einsatz von Recyclingrohstoffen durch geeignete Maßnahmen wie verbindliche Abnahmequoten deutlich zu erhöhen. Auf europäischer Ebene deuten der Aktionsplan der EU-Kommission für die Kreislaufwirtschaft und die Legislativvorschläge für den Umgang mit Abfällen in die richtige Richtung.

Zu viel Methan aus Mülldeponien

Im Kern geht es dabei um eine gemeinsame EU-Zielvorgabe von 65 Prozent für das Recycling von Siedlungsabfällen und von 75 Prozent für das Recycling von Verpackungsabfällen, eine Beschränkung der Deponierung von Abfällen auf höchstens zehn Prozent der Siedlungsabfälle – alles bis 2030 – sowie ein Verbot der Deponierung von getrennt gesammelten Abfällen und die Förderung wirtschaftlicher Instrumente zur Abkehr von Abfalldeponierung. Letzteres ist umso wichtiger, als die klimaschädliche Wirkung des von Deponien weltweit emittierten Gases Methan diejenige von Kohlendioxid um das 25-Fache übertrifft und seine Konzentration in der Luft rasant ansteigt.

Auch in der aktuellen Analyse des Weltklimarats, welche die Chancen für eine Begrenzung des Klimawandels auf 1,5 Grad Celsius bis 2100 im Vergleich zu vorindustrieller Zeit auslotet, spielt Methan eine große Rolle. Der Report stellt fest, dass die Methanmenge in der Atmosphäre zwischen 2010 und 2050 um 35 Prozent sinken müsste, um das Klimaziel zu erreichen.

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Dr. Oliver Rottmann ist Geschäftsführender Vorstand des Kompetenzzentrums Öffentliche Wirtschaft, Infrastruktur und Daseinsvorsorge e. V. (KOWID) an der Universität Leipzig.
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Die Zeit drängt. Soll die Erderwärmung bis 2050 auf 1,5 Grad Celsius beschränkt werden, dürfen nur noch 420 Gigatonnen CO2 ausgestoßen werden. Beim derzeitigen Emissionsniveau ist dieses Budget in zehn Jahren aufgebraucht. Weitere effektive Hebel für den Klimaschutz sind erforderlich, um das Ziel zu erreichen.

Die öffentliche Hand sollte nachhaltig konsumieren

In Deutschland ist neben der verbindlichen Quotierung von Rezyklaten in der Produktion die öffentliche Hand ein weiterer bedeutender Faktor. Mit geschätzt 350 Milliarden Euro Beschaffungsvolumen hat der Staat einen substanziellen Anteil am Bruttoinlandsprodukt. Diese Nachfragekraft konsequent ökologisch auszurichten, gibt auch einen Anreiz für die Wirtschaft.

Zwar hat das Bundeskabinett im Zusammenhang mit den Maßnahmen zum Klimaschutz Leitlinien verabschiedet, die für alle Bundesressorts verbindlich sind. In der Realität stehen für die öffentlichen Einkäufer, die auf klimafreundliche und ressourcenschonende Produkte setzen möchten, jedoch kaum entsprechende Auswahlhilfen zur Verfügung. Da geht es der öffentlichen Hand auch nicht anders als privaten oder industriellen Verbrauchern.

Wie soll im Einzelfall erkannt werden, welche Produkte besonders recyclingfähig und damit klima- und ressourcenschonend sind? Hier fehlt ein Ökodesignlabel, das diese Aspekte plakativ deutlich macht. Das bekannte Energieeffizienzlabel muss daher erweitert werden, um zusätzliche Informationen über die rohstoffliche Effizienz eines jeden Produktes sichtbar zu machen. Die Kenntnis über den Anteil an recycelten Rohstoffen bei der Produktion und die Recyclingfähigkeit am Ende des Produktlebenszyklus kann so den wirkmächtigsten Hebel für das Erreichen der Pariser Klimaziele aktivieren, nämlich das Kaufverhalten der Verbraucher, inklusive der öffentlichen Hand. Es muss somit eine Umkehr der Beweislast erfolgen: Zu rechtfertigen hat sich jener, der nicht „grün“ einkauft. Das schafft marktwirtschaftliche Anreize für ökologisches Verhalten.

Dr. Oliver Rottmann ist Geschäftsführender Vorstand des Kompetenzzentrums Öffentliche Wirtschaft, Infrastruktur und Daseinsvorsorge e. V. (KOWID) an der Universität Leipzig.

Oliver Rottmann

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