Kompromiss in letzter Sekunde: Bundesregierung einigt sich doch noch auf Lieferkettengesetz
Das Vorhaben sorgte für viel Streit in der Koalition. Nun wurde eine Lösung gefunden. Die Wirtschaft lobt den gefundenen Kompromiss.
Eines der größten Streitprojekte der Bundesregierung dürfte doch noch in dieser Legislatur zu einem Ende finden: Das Lieferkettengesetz. Union und SPD wollen vier Monate vor der Bundestagswahl nun das umstrittene Gesetz auf den Weg bringen, mit dem Firmen zur Einhaltung von Menschenrechten auf jeder Station der globalen Lieferketten gebracht werden sollen.
Wie am Donnerstag bekannt wurde, legten sie ihren Streit mit einem Kompromiss bei. Das Gesetz könnte damit noch im Juni im Bundestag beschlossen werden.
Eigentlich sollte das Lieferkettengesetz bereits vor zwei Wochen endgültig im Bundestag beschlossen werden. Es wurde jedoch in letzter Minute von der Tagesordnung gestrichen, weil Unionsabgeordnete noch Diskussionsbedarf zur Unternehmenshaftung sahen. Nun einigten sich die Fraktionen nach Angaben des CSU-Sozialpolitikers Stephan Stracke unter anderem darauf, zusätzliche zivilrechtliche Haftungsrisiken für die Unternehmen gesetzlich eindeutig auszuschließen.
Außerdem sollen die geplanten Sorgfaltspflichten auch für große deutsche Niederlassungen ausländischer Unternehmen gelten. Die Änderungen machten noch einmal deutlich, dass von den Unternehmen nichts rechtlich und tatsächlich Unmögliches verlangt werden solle, erklärte Unionsfraktionsvize Hermann Gröhe. Stracke betonte, das Gesetz müsse für die Wirtschaft auch umsetzbar sein.
Arbeitgeber freuen sich über den Kompromiss
In der Wirtschaft begrüßte man diese Last-Minute-Korrektur. Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) lobte die „wichtige Begrenzung“ im Bereich der zivilrechtlichen Haftung. „Wenn diese vor Gericht Bestand hat, werden sich die negativen Auswirkungen auf die Lieferketten und die wirtschaftliche Zusammenarbeit mit Schwellenländern hoffentlich in Grenzen halten“, teilten die Arbeitgeber mit. Gleichwohl bleibe das Gesetz „überregulierend und überflüssig“.
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Die späten Nachbesserungen zeigen einmal mehr, wie umstritten das Vorhaben ist. Nicht nur die führenden Wirtschaftsverbände hatten sich gegen die Regelung gewehrt, weil sie es für nicht machbar hielten, jede der oftmals dutzenden Zulieferer und wiederum deren Zulieferer zu überwachen und am Ende sogar dafür haftbar gemacht zu werden. Auch Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) hielt nichts von dem Gesetz und stellte sich damit offen gegen seine Koalitionskollegen Gerd Müller (CSU) und Hubertus Heil (SPD), die beide schon vor Jahren eine solche Regelung versprochen hatten.
Erstmal nur für Firmen ab 3000 Mitarbeiter
„Wir dürfen unseren Wohlstand in der globalen Wirtschaft nicht auf Kinderarbeit und Ausbeutung aufbauen“, betonte Arbeitsminister Heil nun nach der Einigung. Die unternehmerische Verantwortung für Menschenrechte ende nicht am Werkstor des Unternehmens. Das sei auch eine Frage des fairen Wettbewerbs: Bisher seien Unternehmen, die sich freiwillig für den Schutz von Menschenrechten einsetzten häufig im Nachteil gegenüber den „schwarzen Schafen“. „Dieses Gesetz wird einen Beitrag für eine faire Globalisierung leisten“, betonte Heil.
Schon vor dem gestrigen Kompromiss stand fest, dass Nichtregierungsorganisationen und Gewerkschaften künftig die Möglichkeit bekommen sollen, von Menschenrechtsverletzungen betroffene Arbeitnehmer vor deutschen Gericht zu vertreten. Bisher konnten Geschädigte nur selbst klagen, was aber in der Praxis meist scheiterte.
Damit sich die Firmen auf die neuen Vorgaben einstellen können, soll das Gesetz vom 1. Januar 2023 an gelten, und zwar erst einmal nur für Unternehmen mit mehr als 3000 Mitarbeitern – von 2024 an dann auch für Firmen mit mehr als 1000 Mitarbeitern. Kleinere Unternehmen sind nicht betroffen. (mit dpa)