Einigung auf ein Lieferkettengesetz: Die Kritik der Industrie ist so dezent, dass es fast wie ein Lob wirkt
Die große Koalition einigt sich auf ein Gesetz, das die Einhaltung der Menschenrechte garantieren soll. Firmen drohen Millionenstrafen. Ein Kommentar.
Am Ende übten sich alle drei Bundesminister in demonstrativer Einigkeit. Gerd Müller (CSU) aus dem Entwicklungshilfeministerium bescheinigte seinem SPD-Kollegen Hubertus Heil aus dem Bundesarbeitsministerium, dieser würde angesichts der Zusammenarbeit bestimmt auch einen guten Entwicklungshilfeminister abgeben. Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) wiederum bescheinigte sich selbst, Zeit seines politischen Lebens Graswurzel-Aktivist für Menschenrechte gewesen zu sein und damit das Ziel seiner beiden Kollegen schon immer verfolgt zu haben.
Die Geschlossenheit bei der Pressekonferenz am Freitag konnte jedoch kaum darüber hinwegtäuschen, dass es hier um einen Punkt im Koalitionsvertrag ging, der heftige Grabenkämpfe zwischen den Ministerien provoziert hatte: Das Lieferkettengesetz. Nach eineinhalbjährigem Streit zwischen Heil und Müller auf der einen sowie Altmaier auf der anderen Seite haben sich die Koalitionäre am Freitag nun auf ein Gesetz geeinigt. Es soll sicherstellen, dass auf der Lieferkette deutscher Unternehmen keine Menschenrechts- und Umweltstandards verletzt werden. Ein „historischer Durchbruch“, befand Heil.
Nur der direkte Zulieferer wird in die Pflicht genommen
Die Kernaussagen sind folgende: Unternehmen müssen einmal pro Jahr einen Bericht an das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (Bafa) einreichen, in dem sie transparent auflisten, wie im eigenen Unternehmen und bei allen direkten Zulieferern die Einhaltung der Menschenrechte garantiert wird. Gibt es bei vorgelagerten Zulieferern Grund zur Annahme, dass Verstöße vorliegen, muss die gesamte Lieferkette entsprechend untersucht und der Behörde offengelegt werden. Dass die Kontrolle nicht unmittelbarer Geschäftspartner nur anlassbezogen durchgeführt werden muss, soll den Vorwurf aus der Wirtschaft entkräften, mit übermäßig viel neuer Bürokratie überladen zu werden.
Die Regelung soll ab 2023 für Unternehmen mit mehr als 3000 Mitarbeitern gelten. Davon gibt es in Deutschland derzeit rund 600. Ein Jahr später fallen dann auch Firmen mit mehr als 1000 Angestellten in den Geltungsbereich. Dann sind rund 2800 Unternehmen betroffen.
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Kooperieren die Firmen bei den Sorgfaltsberichten nicht, sind Zwangsgelder von bis zu 50.000 Euro im Gespräch. Zudem hat das Bafa auch Beschlagnahmungsrechte, darf die Firmengrundstücke betreten und Amtshilfe bei Staatsanwaltschaft und Zoll anfordern. Werden dann Verletzungen von Menschenrechten festgestellt, sind Bußgelder angedacht, die sich am Firmenumsatz orientieren. Deren Höhe wird derzeit noch mit dem Bundesjustizministerium abgestimmt. Im Raum stehen zehn Prozent des Umsatzes bis zu maximal zehn Millionen Euro.
NGOs können für Arbeitnehmer vor Gericht ziehen
Eine weitere Neuerung schafft das Gesetz beim Klagerecht der betroffenen Arbeitnehmer. Zwar konnten sie auch bisher schon gegen ihre eigenen Arbeitsbedingungen klagen. In der Praxis scheiterte das allerdings meist an den Lebensumständen. Künftig sollen Nichtregierungsorganisationen und Gewerkschaften die Möglichkeit bekommen, Betroffene vor deutschen Gerichten zu vertreten, wenn es Verstöße gegen Standards in Lieferketten gibt und der Betroffene zustimmt.
Im Wirtschaftsministerium hatte man bis zuletzt gegen ein Lieferkettengesetz gekämpft. Altmaier befürchtete, deutsche Firmen würden unter Generalverdacht gestellt werden und mit neuen Berichtspflichten überlastet werden. Unternehmen gaben zu bedenken, dass es in der Praxis kaum möglich sei, die Arbeits- und Umweltbedingungen aller Firmen auf der oft Dutzende Stationen langen Lieferkette zu überprüfen.
Angst vor der Benachteiligung deutscher Firmen
Dass der Gesetzesentwurf zunächst nur auf große Firmen abzielt, schützt den Mittelstand nicht vor zusätzlicher Bürokratie, kommentiert man nun beim Bundesverband der deutschen Industrie (BDI). „Die vertragliche Weitergabe der Sorgfaltspflichten durch ihre Kunden belastet in jedem Fall mittelständische Unternehmen unabhängig von ihrer Größe, wenn sie selbst unmittelbare Zulieferer sind“, sagt dessen Präsident Siegfried Russwurm. Angesichts des harten Widerstands der Wirtschaftsverbände in den vergangenen Monaten kann diese Kritik jedoch schon fast als Lob verstanden werden.
Zudem forderte Russwurm die Bundesregierung auf, auf europäischer Ebene für gleiche Wettbewerbsbedingungen zu sorgen, „um zu verhindern, dass es für die Unternehmen zu unterschiedlichen Sorgfaltspflichten in Menschenrechtsfragen kommt“. Auch der Bundesverband der deutschen Süßwarenindustrie begrüßte den Ansatz, plädiert aber ebenfalls für ein europäisches Lieferkettengesetz. Eine entsprechende Regelung auf EU-Ebene ist derzeit in Arbeit.
Hier dürfte die Industrie in Person von Altmaier einen Verbündeten finden. Der Minister legte darauf wert, dass der Kompromiss so gestaltet sei, „dass sich nicht deutsche Unternehmen aus Märkten in Entwicklungsländern zurückziehen und ihre Stellung von Firmen aus anderen Ländern eingenommen wird, mit weniger strengen Regelungen für Menschenrechte“. Von manchen Parteikollegen wird sich Altmaier allerdings noch einiges anhören müssen. Der CDU-Wirtschaftsrat nannte das Gesetz ein „linksideologisches Vorhaben der SPD“. Eine rechtssichere Überprüfung der gesamten Lieferkette sei für kleine und mittelständische Familienunternehmen nicht darstellbar. Im März soll das Gesetz das Kabinett passieren, im Sommer den Bundestag.
Kritik, dass die zivilrechtliche Haftung fehlt
NGOs begrüßten, dass es zu einer Einigung kam. Oxfam nannte es allerdings die „Lightversion eines wirksamen Gesetzes“. „Dass deutsche Wirtschaftsverbände durchgesetzt haben, dass die Regelungen nur für Unternehmen ab 3000 Mitarbeitern gelten, bedeutet, dass die Mehrzahl der deutschen Unternehmen einfach weitermachen kann wie bisher“, sagte Franziska Humbert von Oxfam. Die betroffenen Arbeiter hätten „auch weiterhin keine echte Chance, vor deutschen Gerichten Schadensersatz einzuklagen“.
Johannes Heeg vom Bündnis Lieferkette sprach von einem „wichtigen und längst überfälligen Schritt in die richtige Richtung“. Allerdings sei der Umweltaspekt zu wenig berücksichtigt worden. Zudem fehle die zivilrechtliche Haftung, um Betroffenen einen besseren Rechtsschutz zu gewähren.