Klimawandel: "Brandenburgs Bauern sollten Oliven anbauen"
Deutschland steuert auf ein Klima wie Norditalien zu, sagt Ernst Rauch, Klimaexperte des Rückversicherers Munich Re. Das hat Konsequenzen.
Herr Rauch, seit April hat es in Berlin und Brandenburg nur wenig geregnet. Geht das jetzt den ganzen Sommer so weiter?
Das kann man nicht sagen. Wettervorhersagen decken verlässlich nur zehn oder zwölf Tage ab. Danach werden die Prognosen sehr unsicher. Wir hatten in den vergangenen Wochen ein starkes Hoch im Norden und zwei Tiefs im Süden, eine solche Omega-Wetterlage ist in der Regel sehr stabil und kann sich über mehrere Wochen halten.
Auch über mehrere Monate?
Wir hatten nicht nur eine, sondern mehrere solcher Wetterlagen in Folge. Allerdings war das Wetter nur im Nordosten heiß und trocken, im Süden ist alles grün. In Bayern hatten wir bislang ganz normales Wetter mit vielen Gewittern und Schauern.
Berlin ist im vergangenen Sommer im Starkregen untergegangen, jetzt hatten wir eine monatelange Trockenheit. Warum ist das Wetter in unserer Region so extrem?
Dass gerade die Region Berlin-Brandenburg so stark betroffen ist, ist Zufall. Aber wir sehen, dass in Mitteleuropa die Sommer schon seit langem immer trockener und die Winter immer feuchter werden. Und das wird auch so weitergehen.
Ist das der Klimawandel?
Einen eindeutigen Beweis gibt es dafür nicht. Aber sagen wir so: Die Auswirkungen des Klimawandels würden zu solchen Mustern passen.
Berlin war zuletzt an vielen Tagen wärmer als Barcelona. Wird die Hauptstadtregion das neue Katalonien?
Die Klima- und die Vegetationszonen rücken von Süden nach Norden vor. Das merkt man zum Beispiel auch beim Wein. In Deutschland werden jetzt auch Sorten angebaut, die mehr Sonne und Wärme brauchen.
Wie sieht die Region in 100 Jahren aus?
Wenn die Entwicklung so weiter geht, werden wir in Deutschland eine Vegetation haben wie in Norditalien. Die Landwirtschaft muss sich anpassen. Die Brandenburger Bauern werden mittelfristig nicht mehr Getreide anbauen können, sondern müssen dann eher Olivenbäume pflanzen.
Man hat den Eindruck, dass auch der Herbst länger wird und der Winter später kommt.
Ja, das ist so. Aber dafür zieht sich die Kälte dann oft bis in die Frühlingsmonate hinein. Insgesamt werden die Winter generell wärmer. Das zeigen die Aufzeichnungen der letzten 30 Jahre. Weltweit gesehen hat sich die Welt seit gut 100 Jahren um ein Grad erwärmt.
Das klingt nicht so dramatisch.
Ist es aber. Es ist ja nicht so, dass nur die Durchschnittstemperatur von 23 auf 24 Grad steigt, sondern auch die Extreme nehmen zu. Es gibt viel mehr heiße Tage.
"Kohlendioxid bleibt sehr lange in der Atmosphäre"
Welche Regionen sind von den Extremen besonders betroffen?
Das ist keine Frage von Nord oder Süd, sondern eher von Arm und Reich. Bei gleicher Intensität und Häufigkeit von Naturkatastrophen kommen Arme eher zu Tode.
Weil sie sich nicht schützen können?
Ja. Sie können sich nicht anpassen. Das hängt mit der Bauweise der Häuser zusammen, aber auch mit dem Zugang zu Informationen. In Entwicklungsländern erfahren die Dorfbewohner oft gar nicht, dass Unwetter anziehen. Klimapolitik hat zwei Stoßrichtungen: Wie vermeiden wir den weiteren Ausstoß von Klimagasen? Und wie können sich Staaten an den Klimawandel anpassen? Letzteres ist vor allem in den ärmeren Ländern ein Riesenproblem, hier gibt es extrem hohen Handlungsbedarf. Denn eines ist klar: Selbst wenn die Welt die Emissionen von Klimagasen jetzt sehr schnell zurückfahren würde, würde sich das erst in 100 Jahren bemerkbar machen.
Was wir jetzt einsparen, zahlt sich erst in 100 Jahren aus?
Ja, das liegt daran, dass sich Treibhausgase wie etwa Kohlendioxid sehr lange in der Atmosphäre halten. Wenn wir heute sparen, merken die nächsten zwei, drei Generationen davon noch nichts. Im Pariser Klimaabkommen hat man sich ja darauf verständigt, dass die Temperatur weltweit nicht um mehr als zwei Grad steigen soll – und das geht nur, wenn die Emissionen bis Mitte des Jahrhunderts in weiten Teilen der Welt auf Null sinken.
Das heißt, wenn Deutschland aus der Braunkohle aussteigt, hat das erst einmal keine Klimaeffekte?
Keine unmittelbaren. Mit langfristiger Perspektive muss man das aber machen. Und wie gesagt: Wichtig ist, dass sich die Menschen in der ganzen Welt besser an den Klimawandel anpassen.
Wie soll das gehen?
Man muss die Information der Menschen vor allem in den armen Ländern verbessern. Tropische Wirbelstürme ziehen mit einem Vorlauf von mehreren Tagen heran. Im Internet lässt sich das gut verfolgen. Aber viele Menschen in Entwicklungs- und Schwellenländern haben keinen Zugang zu dieser Information. Wenn der Dorfvorstand oder der Lehrer die Bewohner warnen würden, könnten sie sich in Sicherheit bringen. Es müsste heute kein Mensch mehr durch eine Sturmflut ertrinken. Dass das geht, zeigt etwa Bangladesch.
Was ist da getan worden?
Bangladesch hatte früher Sturmfluten mit über Hunderttausend Toten pro Ereignis. Es sind dann hoch gelegene Schutzräume aus Beton gebaut worden. Allerdings hat man am Anfang den Fehler gemacht, Schutzräume nicht nach Geschlechtern zu trennen. In muslimischen Gesellschaften ist das jedoch notwendig. Man hat das korrigiert. Seitdem sind die Opferzahlen stark gesunken.
"Es droht eine neue Fluchtwelle"
Wer zahlt das?
Der öffentliche Bereich – und dazu zählen auch lokale Regierungen – und die Privatwirtschaft müssen kooperieren. Wichtig ist, dass die Regierungen der betroffenen Länder ein Interesse daran haben, das Risikomanagement für ihre Bevölkerung zu verbessern. Die Finanzierung geht dann meist über internationale Hilfsgelder. Heute geschieht das in aller Regel noch immer über Katastrophenhilfe nach einem Ereignis. Wichtig wäre aber, dass Geld auch in die Vorsorge fließt, um die Schäden gering zu halten. Es gibt dazu politisch einige gute Initiativen, etwa die G7 Insuresilience Initiative, oder das IDF, das Insurance Development Forum. Man versucht, im Rahmen von Partnerschaften von Regierungen, Entwicklungsbanken und der Privatwirtschaft – dazu zählt auch die Versicherungswirtschaft – langfristig wirkende Programme zu schnüren.
Was tun die Versicherer?
Wir Versicherer liefern Daten zu Unwetterschäden und entwickeln etwa Mikroversicherungen für die Karibik, um Menschen dort bezahlbare Versicherungslösungen anbieten zu können. Wir sind bereit, solche kleinen Pilotprojekte zu unterstützen und zu subventionieren. Aber langfristig können wir nur Versicherungen anbieten, die sich auch wirtschaftlich tragen. Und auch für die Regierungen der Entwicklungs- und Schwellenländer muss es einen Anreiz geben, Anstrengungen für das Klimamangement zu leisten.
Droht eine neue Fluchtwelle, wenn die Anpassung nicht gelingt?
Wenn sich die Lebensgrundlagen weiter verschlechtern, könnte das in den Entwicklungs- und Schwellenländern durchaus so sein. Es wird sehr wahrscheinlich eine klimabedingte Migrationszunahme geben, wenn der Klimawandel fortschreitet.
Hat die deutsche Politik das Thema erkannt?
Ja, durchaus. Nehmen Sie die von Entwicklungshilfeminister Gerd Müller ins Leben gerufenen „Partnerschaft mit Afrika“. Die zielt ja in diese Richtung. Was für uns von besonderem Interesse ist, sind die im Zusammenhang mit Desertec möglichen neuen Partnerschaften mit Ländern in der Mena-Region, also in Nordafrika und in Nahost.
Desertec wollte in der nordafrikanischen Wüste Solarkraftwerke bauen und den Strom nach Europa zu bringen...
Leider hat sich das ursprüngliche Projekt nicht umsetzen lassen. Aber die Gesellschaft ist weiterhin aktiv unter dem Namen Dii Desert Energy. Sie hat ihren Sitz in Dubai, Gesellschafter sind jetzt der chinesische Stromkonzern China State Grid, aus Deutschland ist Innogy dabei, und wir begleiten das mit unserer Risikomanagement-Expertise. Es werden Objekte gebaut in Nordafrika, der Türkei und dem Nahen Osten, der sogenannten Menat-Region. Im Kontext der Energiewende und dem Ausstieg aus der Kohle wird die Energiezufuhr aus dem Ausland wichtiger. Deutschland hat ja beschlossen, bis zum Jahr 2050 rund 80 bis 90 Prozent weniger Kohle zu verfeuern. Wenn das umgesetzt wird, bräuchte man mehr Energie aus erneuerbaren Quellen, und hier ist die Menat-Region einfach besser geeignet als Europa. Das wäre eine Chance für ein Desertec 2.0.
Mit Klimaveränderungen, tropischen Stürmen und Naturkatastrophen kennt er sich aus: Ernst Rauch leitet die Klimaforschung beim weltgrößten Rückversicherer Munich Re (Münchener Rück). Alarmiert durch immer höhere Schäden durch Naturkatastrophen in den 70er Jahren gründete der Dax-Konzern bereits 1974 eine eigene Abteilung für Naturgefahren und betreibt seitdem eigenen Forschungen über Klimaveränderungen und Umweltrisiken. Rauch ist Diplom-Geophysiker und arbeitet seit 1988 bei der Munich Re.