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Die BASF bildet in Brandenburg zum Chemikant aus.
© promo

Industrie und Tourismus: Brandenburg kann auch Wirtschaft

Brandenburg lockt Firmen mit großen Flächen, guter Infrastruktur, geringen Kosten und Fördergeldern. Viele sind dem Ruf ins Zentrum Europas gefolgt - und darunter sind nicht nur Industriebetriebe.

Noch ist hier am Rand von Wittenberge eine grüne Wiese, doch in wenigen Tagen rollen die Bagger an. Dann erfolgt der erste Spatenstich für eine Produktionshalle, in der ab 2017 Oberflächenbeschichtungen für Stahlrohre hergestellt werden sollen. Auf einer Fläche von 50.000 Quadratmetern errichtet die Firma MV Pipe Technologies ein 24.000 Quadratmeter großes Werk. 37 Millionen Euro beträgt die Investitionssumme, 66 Arbeits- und Ausbildungsplätze werden geschaffen.

Das Vorhaben ist die dritte große Neuansiedlung in der 17.000-Einwohner-Stadt im Kreis Prignitz. Im vergangenen Jahr hat der österreichische Dämmstoff-Spezialist Austrotherm in Wittenberge seine Fabrik in Betrieb genommen. 2012 hat Prignitzer Chemie für 25 Millionen Euro sein Werk ausgebaut.

Die heimische Wirtschaftsfördergesellschaft Zukunftsagentur Brandenburg (ZAB) erzählt diese Erfolgsgeschichten gerne. Sie sollen zeigen, dass das flächenmäßig größte Bundesland im Osten Deutschlands nicht nur für gelbe Rapsfelder, Klatschmohnwiesen und endlos lange Alleen steht. Brandenburg kann auch Wirtschaft. Im Vergleich zum Westen Deutschlands sind Wirtschaftskraft und Wirtschaftsdynamik noch immer recht gering, zumal, wenn man Bundesländer wie Bayern oder Baden-Württemberg zum Vergleich heranzieht, wo die Weltmarktführer dicht an dicht sitzen. Dennoch: Brandenburg hat sich in den knapp 26 Jahren seit dem Mauerfall positiv entwickelt. Es ist das erfolgreichste Land nach Sachsen. Das gilt sowohl, wenn man das Bruttoinlandsprodukt pro Einwohner vergleicht, als auch, wenn man den Umsatz pro Beschäftigtem zugrunde legt, und ebenso, wenn man die Gewerbeanmeldungen zählt. Bei der Zahl der Selbstständigen liegt das Land, das Berlin umschließt, sogar auf Platz eins der fünf neuen Flächenstaaten. Die Quote der Selbstständigen liegt bei zwölf Prozent, im letztplatzierten Sachsen-Anhalt beträgt sie nur gut neun Prozent.

Größter Player und Sorgenkind: Vattenfall

Zu den bekanntesten Unternehmen in Brandenburg zählen BASF, Rolls-Royce und Bombardier. In der Lausitz produziert BASF mit rund 1800 Mitarbeitern unter anderem Pflanzenschutzmittel und technische Kunststoffe. Der Luft- und Raumfahrtkonzern Rolls-Royce beschäftigt in Dahlewitz 2300 Menschen, für Bombardier stellen in Hennigsdorf – dem größten europäischen Produktionsstandort des Konzerns – mehr als 2800 Mitarbeiter Züge, U- und Straßenbahnen her.

"In der zweiten Jahreshälfte beginnt die Produktion der U-Bahn für Stockholm – der modernsten U-Bahn Europas", sagt Pressesprecher Immo von Fallois. Einer der größten Player, aber auch eines der größten Sorgenkinder, ist Vattenfall. In Brandenburg betreibt der schwedische Energiekonzern die Kraftwerke Jänschwalde und Schwarze Pumpe sowie die Tagebaue Welzow-Süd, Jänschwalde und Cottbus-Nord. Weitere Tagebaue sollen erschlossen werden. Allerdings hat Vattenfall Ende 2014 angekündigt, die Tagebaue und die Kohle-Kraftwerke in Brandenburg und Sachsen zu veräußern. In der Region mag man sich gar nicht ausmalen, wie es dann weitergeht.

Energie in der Lausitz, Papier in Schwedt, Tourismus im Seenland Oder-Spree – in Brandenburg hat jede Region ihre wirtschaftlichen Schwerpunkte. Über alle Regionen hinweg aber ist die Wirtschaft in Brandenburg vor allem von zwei Wirtschaftszweigen geprägt: der Logistik und, ganz vorne, der Industrie. Die 1200 Industriebetriebe setzen rund 23 Milliarden Euro um.

Lage mitten in Europa

Der große Aufschwung im Bereich der Logistik ist unter anderem den drei Güterverkehrszentren rund um Berlin zu verdanken. Sie gehören zu den erfolgreichsten in Deutschland. Mehr als 100 Speditionen, Handelslogistikfirmen oder Verkehrsunternehmen haben sich dort angesiedelt. Ein weiterer Grund für die positive Entwicklung in diesem Bereich ist die Lage "mitten in Europa", wie ZAB-Pressesprecher Alexander Gallrein sagt. Außerdem verfügt das Land über eine gute Verkehrsinfrastruktur. Und sie wird weiter ausgebaut. "Im Koalitionsvertrag sind allein 100 Millionen Euro für Landesstraßen und Ortsdurchfahrten vorgesehen", sagt Brandenburgs Wirtschaftsminister Albrecht Gerber. Das Geld scheint sinnvoll angelegt: Die "gute Infrastrukturanbindung" wird häufig als Grund für die Ansiedlung genannt. Auch von der Pressesprecherin der Viking-Minimax GmbH, dem Mutterunternehmen von MV Pipe Technologies. Ein anderer wichtiger Aspekt: "Wir brauchten Platz, um uns auszudehnen."

Platz ist in Brandenburg vorhanden, vor allem im Vergleich zu Berlin kann das Nachbarbundesland mit ausreichend vorhandenen – und vergleichsweise günstigen – Flächen dienen. Deswegen expandieren viele Firmen, gerade auch jene aus der Hauptstadt, in Brandenburg. Und deswegen hat sich viel Industrie hier angesiedelt, wenngleich bei der Standortentscheidung auch Förderprogramme eine Rolle spielen, relativ niedrige Gewerbesteuerhebesätze sowie die von der Landesregierung 2012 verabschiedete Industrie­strategie "ProIndustrie". Alles zusammen hat dazu geführt, dass sich der industrielle Sektor im vergangenen Jahr "so gut entwickelt hat wie kaum zuvor", so Gallrein: Von den Gesamtinvestitionen in Höhe von 824 Millionen Euro entfielen 523 Millionen Euro auf das produzierende Gewerbe.

Jedes Jahr Rekordergebnisse im Tourismus

Zu den Leuchtturmprojekten zählt das Vorhaben des Mode-Unternehmens Clinton, in Hoppegarten die Europazentrale zu errichten und die Designabteilung auszubauen. Kostenpunkt: 57 Millionen Euro. Der Pharmakonzern Takeda baut für 100 Millionen Euro sein Werk in Oranienburg aus und schafft 180 neue Arbeitsplätze. Der Spezialist für Laminat- und Designböden Classen Industries hat 50 Millionen Euro investiert, um seine Produktionsstätte in Baruth zu vergrößern, der Technologiekonzern ZF Friedrichshafen baut für 125 Millionen Euro seine Produktionsstätte für Doppelkupplungsgetriebe in Brandenburg an der Havel aus.

Doch Brandenburg steht auch für andere Wirtschaftszweige. Eine wichtige Rolle spielt die Tourismusbranche mit rund 60.000 Beschäftigten in mehr als 10.000 Unternehmen und einem Umsatz von 4,3 Milliarden Euro. Jedes Jahr vermeldet die TMB Tourismus-Marketing Brandenburg GmbH Rekordergebnisse, 2014 wurde die neue Höchstmarke von 4,4 Millionen Besuchern und knapp zwölf Millionen Übernachtungen erreicht. Das entspricht einer Steigerung von 3,6 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Die touristische Wertschöpfungskette ist aber nicht auf das Gastgewerbe beschränkt, das nur rund 44 Prozent des Umsatzes generiert. Ein erheblicher Anteil fließt in den Einzelhandel und die Dienstleistungsbranche.

Nicht ohne Grund hat man in Brandenburg – neben den fünf mit Berlin gemeinschaftlich betreuten Clustern – das rein brandenburgische Cluster Tourismus ins Leben gerufen. Ein weiteres Cluster im Land ist die Ernährungswirtschaft mit fast 59.000 Beschäftigten in rund 3700 Unternehmen. Der Sektor ist von klein- und mittelständischen Unternehmen wie der Confiserie Felicitas oder dem Spreewälder Gurkenhersteller Ernst Krügermann geprägt, aber auch große Firmen wie Katjes oder Coca Cola produzieren in Brandenburg. Weitere 65.000 Beschäftigte arbeiten in den Branchen IKT, Medien und Kreativwirtschaft, etwa im Studio Babelsberg. Die 10.000 Unternehmen erwirtschaften einen Umsatz von 5,3 Milliarden Euro.

Trotz der vielen positiven Entwicklungen – Brandenburg könnte einen Auftrieb gebrauchen. Aber früher oder später wird dieser kommen, ist Gallrein überzeugt: "Ist der Flughafen BER erst einmal eröffnet, wird es einen deutlichen Schub geben."

Dieses Stück erschien zuerst im Wirtschaftsmagazin "Köpfe" aus dem Tagesspiegel-Verlag, das Sie hier bekommen können: Tagesspiegel Köpfe bestellen

Sabine Hölper

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