Raubbau für E-Autos?: Bolivien versucht die drastischen Umweltfolgen der neuen Mobilität zu lindern
In Bolivien und Chile ist ein harter Wettkampf um Lithium entbrannt, ein Schlüssel-Rohstoff für Batteriezellen von E-Autos. Auch Deutschland mischt mit.
Ende März fand ein indisch-bolivianisches Spitzentreffen in den Anden statt. Indiens Präsident Ram Nath Kovind traf in La Paz ein, um Evo Morales zu treffen. Morales ist seit 13 Jahren Staatschef von Bolivien. Der Andenstaat ist zwar immer noch das ärmste Land Südamerikas, erlebt aber ausgerechnet unter dem Sozialisten Morales einen Wirtschaftsboom mit den höchsten Wachstumsraten des Süd-Kontinents. Und das seit Jahren.
Dafür sind vor allem die Rohstoffe verantwortlich, insbesondere Erdgas, auf dem Bolivien in großen Mengen sitzt. Und wegen eines Rohstoffs waren auch die Inder da: Lithium. Das Alkalimetall wird oft als „weißes Gold“ bezeichnet, weil es ein Hauptbestandteil moderner Batteriezellen und somit unverzichtbar in der mutmaßlich elektro-getriebenen Zukunft ist. Lithium – eine Schlüsselressource des 21. Jahrhunderts, etwa für die Fertigung von Batterien für E-Autos.
Ausgerechnet das arme Bolivien hat eine der größten Lithium-Reserven der Welt. Bis zu zehn Millionen Tonnen werden hier vermutet. Sie befinden sich unter einem ausgetrockneten See, dem Salar de Uyuni. Er liegt auf kühlen 3650 Metern Höhe, ist mit 10.500 Quadratkilometern größer als Niederbayern und wegen seiner surreal wirkenden Licht- und Farbenspiele eine der größten Touristenattraktionen des Landes. Mittendrin soll nun Boliviens industrielle Phase beginnen. Und dabei sollen die Inder helfen.
Schwäbische Firmen in Bolivien
Die Präsidenten beider Länder unterzeichneten eine Grundsatzvereinbarung zur Lithium-Ausbeutung und gemeinsamen Herstellung von Lithium-Ionen-Batterien. Indien, wo bereits große Batteriefabriken gebaut werden, sichert sich damit einen direkten Zugriff auf den hoch gehandelten Rohstoff. Und Bolivien will vom technischen Know-how der Südasiaten profitieren.
Indien ist indes nicht das einzige Land, das von Bolivien einen Zuschlag bekommen hat. Zuerst war 2016 China da. Dann kam Deutschland. Ende letzten Jahres schloss die schwäbische ACI Systems Alemania (ACISA) mit dem jungen bolivianischen Staatskonzern Yacimientos de Litio Bolivianos (YLB) ein Joint Venture. Zu dem Konsortium gehört auch die Thüringer Firma K-Utec, die die Förderanlagen plant.
Das Projekt beinhaltet Investitionen in Höhe von circa einer Milliarde Euro und den Bau dreier Batterie-Fabriken in Bolivien. Der Produktionsbeginn ist für 2021 geplant. Die Förderung soll 70 Jahre lang laufen, die Jahresproduktion bei 40.000 bis 50.000 Tonnen Lithiumhydroxid liegen. 10.000 direkte und indirekte Arbeitsplätze könnten entstehen.
Der Zuschlag für den deutschen Mittelständler ist in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert. Deutschland sichert sich erstmals wieder den direkten Zugriff auf einen international begehrten Rohstoff. ACISA setzte sich gegen acht internationale Konsortien durch. Dabei spielten Umweltaspekte eine große Rolle. ACI versprach die Ausbeutung umweltverträglich zu gestalten, etwa regenerative Energien zu nutzen und eine dezentrale Stromversorgung aufzubauen. Zudem wird das bolivianische Staatsunternehmen YLB einen Anteil von 51 Prozent an dem Joint-Venture halten.
Die staatliche Mehrheit ist Voraussetzung, damit ausländische Konzerne in Bolivien Rohstoffe fördern dürfen. Und sie ist ein Erfolgsrezept, weil Bolivien so Kontrolle über seine Reichtümer behält und mit den Einnahmen wirtschaften kann. Morales ist Sozialist und Pragmatiker. Er weiß, dass sein Land dringend ausländische Investitionen braucht. Aber er will nicht die Fehler der Vergangenheit wiederholen.
Das Geld blieb nie in Südamerika
Bolivien ist eines der am schlimmsten ausgebeuteten Länder Lateinamerikas. Der Reichtum aus seinen Bodenschätzen blieb nie hier, sondern floss immer in fremde Taschen. Das beste Beispiel ist der Silberberg von Potosí. Unmengen von Silber wurden über Jahrhunderte nach Spanien verschifft, so viel, dass man damit laut Legende eine Brücke über den Atlantik bauen könnte. Und mit den Knochen der verreckten Bergarbeiter eine Brücke zurück. Beim Lithium soll sich das nicht wiederholen. Ausgerechnet bei Potosí wird in den nächsten Jahren die erste bolivianische Fabrik für Lithium-Akkus entstehen.
Einen anderen Ansatz bei der Lithium-Produktion verfolgt Boliviens Nachbar Chile, das neoliberale Musterland Südamerikas. Gemeinsam mit Argentinien bilden Chile und Bolivien das Lithium-Dreieck, ein Großteil der weltweiten Vorkommen liegt hier. Bald wird man wohl von einem Viereck sprechen müssen, weil auch in Peru große Lithiumfunde gemacht wurden. Das chilenische Lithium liegt unter der Atacama-Wüste.
Es wird bereits in großen Mengen gefördert, Chile ist der zweitgrößte Produzent der Welt. Dabei kontrollieren zwei Unternehmen die Lithium-Ausbeutung in Chile: Der US- Konzern Albermarle und das chilenische Privatunternehmen SQM (Sociedad Quimica y Minera de Chile). Sie sind die größten Lithiumproduzenten der Welt, verantwortlich für mehr als die Hälfte der globalen Herstellung.
Gegen beide existieren in Chile Vorbehalte. Es gibt Forderungen, die öffentliche Hand müsse die Lithiumförderung stärker kontrollieren. Einer der Kritikpunkte: Chile exportiere den Rohstoff lediglich und tue zu wenig, um ihn selbst weiterzuverarbeiten. Zwar enthalten die Abkommen mit SQM und Albermarle Klauseln, nach denen ein Viertel des Lithiums in Chile bleiben müsse. Aber eine Industrie zur Batterieherstellung gibt es noch nicht.
Ein weiteres Problem mit SQM: Ein Großteil der Anteile hält die Familie des verstorbenen Diktators Augusto Pinochet. Außerdem wurde gegen den Konzern bereits wegen Geldwäsche, Steuerhinterziehung und illegaler Wahlkampffinanzierung ermittelt. Derzeit läuft ein Prozess gegen Ex-Wirtschaftsminister Pablo Longueira, der von SQM geschmiert worden sein soll, um Wasserregulierungen zugunsten der Lithium-Industrie zu formulieren.
Auch die Umwelt leidet
Denn eins wird in großen Mengen benötigt, um Lithium zu gewinnen: Wasser. In der Atacama-Wüste pumpt man es aus dem Untergrund an die Oberfläche und leitet es in Verdunstungsbecken. Hat das Lithiumchlorid dort die nötige Konzentration erreicht, wird die Lösung in eine Aufbereitungsanlage gepumpt, wo unerwünschtes Bor oder Magnesium ausgefiltert werden. Dann wird sie mit Natriumcarbonat behandelt. Das dabei ausgefällte Lithiumcarbonat wird gefiltert und getrocknet. Bei diesem Prozess braucht man insgesamt zwei Millionen Liter Wasser für die Herstellung einer Tonne Lithiumsalz.
Das hat rund um die Atacamawüste zum Absinken des Grundwasserspiegels geführt. Einige Flussläufe sind ausgetrocknet, die zumeist indigene Bevölkerung hat kein Wasser mehr zum Leben. Wie stark der Grundwasserspiegel sinkt, zeigt auch die Tatsache, dass immer mehr Johannisbrotbäume vertrocknen. Sie sind eigentlich robuste Wüstenpflanzen, die ihre Wurzeln tief graben.
Dennoch bekamen SQM und Albermarle großzügige Rechte zur Lithium- Ausbeutung von Chiles Entwicklungsagentur (CORFO) zugesprochen. Das bedeutet: Sie konkurrieren nun um das Wasser. Beide Unternehmen planen, ihre Produktion zu vervielfachen. SQM spricht von einer Verdopplung schon bis 2020, man wolle Albermarle als größten Lithium-Produzenten überholen. Kritiker warnen nun vor einem Wasserkrieg in der Wüste. In Argentinien, dem dritten großen Lithium-Produzenten Südamerikas, tobt der Wasser-Streit schon seit Jahren. Den Bolivianern steht er noch bevor.
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