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Genau hingehört. Eine Task Force sichtete eine Liste mit 3300 Personen und Institutionen, die der Nachrichtendienst belauscht hatte.
© dpa

Deutscher Geheimdienst: BND hatte dutzende Regierungen im Visier

Der BND hat offenbar mehr Regierungen und diplomatische Vertretungen abgehört als bisher bekannt. Jetzt übt das Parlamentarische Kontrollgremium öffentlich Kritik an dem Vorgehen

Der Bundesnachrichtendienst wird jetzt noch einmal mit der Kritik des Bundestages an der Ausspähung von Institutionen befreundeter Staaten in EU und Nato konfrontiert. Die „Steuerung von führenden Politikern und Beschäftigten verschiedener Ministerien aus Partnerländern in der Erwartung von Informationen über relevante Themen und Staaten“ sei als „nicht auftragskonform und rechtlich unzulässig zu betrachten“, sagt das Parlamentarische Kontrollgremium (PKGr) in einer Öffentlichen Bewertung. Mit „Steuerung“ ist der zielgerichtete Einsatz von Suchbegriffen, so genannten Selektoren, in der Fernmeldeaufklärung des BND gemeint. Mit den Selektoren sollten verdächtige Inhalte in Telefonaten, E-Mails und weiteren Kommunikationsströmen aufgespürt werden. Das war nach Ansicht des PKGr in vielen Fällen, die EU- und Nato-Länder betrafen, problematisch - und brachte oft wenig.

Eine „Task Force“ des PKGr hatte von Oktober 2015 bis Februar an den BND-Standorten in Berlin und Pullach sowie beim Bundeskanzleramt die Spionage-Aktionen die Aktionen des BND untersucht. Ende 2015 waren bereits Ergebnisse bekannt geworden. Demnach hatte der BND bis Oktober 2013, dann wurde diese Praxis beendet, unter anderem die Telekommunikation des damaligen französischen Außenministers Laurent Fabius und des deutschen EU-Diplomaten Hansjörg Haber angezapft. Das PKGr äußerte dazu, allerdings ohne Namen zu nennen, Kritik – die nun im Schlussbericht, der Öffentlichen Bewertung, noch massiver wird.

Der Vorgang ist ungewöhnlich, zumal die im Gremium tätigen Abgeordneten üblicherweise gar nichts öffentlich sagen, da sie zur Geheimhaltung verpflichtet sind. Im Schlussbericht werden denn auch erneut keine Namen von ausgespähten Politikern genannt, doch der Ton ist deutlich. Und ein Fingerzeig der Abgeordneten, wie nötig sie die beiden Gesetze zur BND-Reform und zur Stärkung der parlamentarischen Kontrolle der Nachrichtendienste des Bundes halten.

Spionage war häufig nicht auftragskonform

Nur bei einem Drittel der Ziele in den EU- und Nato-Staaten war die „Steuerung“ des BND nach Ansicht des PKGr „rechtlich nachvollziehbar und auftragskonform“. Die Task Force hatte eine Liste mit 3300 Personen und Institutionen gesichtet, die der Nachrichtendienst belauscht hatte. Häufig gab es gleich mehrere „Telekommunikationsmerkmale“. Im Schlussbericht des PKGr ist von insgesamt „rund 15000“ die Rede. Die Abgeordneten werteten Stichroben aus.

Das Gremium sei über die Aktionen des BND „viel zu spät und zunächst nur rudimentär“ von der Bundesregierung unterrichtet worden, heißt es im Bericht. Außerdem erscheint den Abgeordneten das damalige „Auftragsprofil“ der Bundesregierung für die Aktivitäten des BND vage. Die strategische Fernmeldeaufklärung werde „bezüglich politisch sensibler Aufklärungsziele“ nicht begrenzt. Und es werde kein ausreichender „Verhältnismäßigkeitsmaßstab“ vorgegeben.

Härter noch äußert sich der Grünen-Abgeordnete im PKGr, Hans-Christian Ströbele. „Die Steuerungen von Staats- oder Regierungschefs aus EU- und Nato-Ländern waren schwere Verstöße gegen Sinn und Wortlaut der EU- und Nato-Verträge“, sagt Ströbele in einem Sondervotum zum Schlussbericht. Es bedürfe „dringend einer Korrektur in Aufsicht und Gesetzgebung“, mahnte am Montag der Vorsitzende des PKGr, Clemens Binninger (CDU). Sein SPD-Kollege Burkhard Lischka blickt schon in die nähere Zukunft: „Das Ausspionieren von befreundeten Regierungen und deren Repräsentanten ist mit der Reform des BND-Gesetzes Geschichte.“

Der Bundestag hat vergangenen Freitag in erster Lesung den Entwurf des Kanzleramts zum „Gesetz zur Ausland- Ausland-Fernmeldeaufklärung“ beraten. Demnach darf der BND eine „gezielte Erfassung“ von Einrichtungen der EU nur betreiben, wenn die Bundesregierung zustimmt oder zumindest das Kanzleramt gemeinsam mit dem Auswärtigen Amt und den Ministerien für Inneres, Verteidigung und Wirtschaft. Und der BND kann erst dann in der EU aufklären, wenn Deutschland konkrete, gravierende Gefahren drohen, zum Beispiel ein Terroranschlag, die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen oder ein Cyberangriff. Vermutlich im Oktober wird der Bundestag das Gesetz beschließen.

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