EU-Kommission gegen deutsches Maut-Gesetz: Blauer Brief für Verkehrsminister Dobrindt
EU-Kommission rügt das Maut-Projekt des Verkehrsministers: Sein Gesetz sei nicht rechtskonform.
Alexander Dobrindt kennt sich aus mit der Wirkungsmacht von Bildern. Am Morgen schlendert der Verkehrsminister an Angela Merkels Seite in den Plenarsaal im Reichstag, und er bleibt mit der Kanzlerin ins Gespräch vertieft, bis auch der letzte Fotograf auf der Pressetribüne die Szene im Kasten hat. Dann geht Dobrindt weiter zum Finanzminister, was das nächste Bild vertrauter Einigkeit im Kabinettskollegenkreis liefert. Die EU-Kommission hat am Donnerstag die deutsche Pkw-Maut ausgebremst. Aber der CSU-Minister macht nicht den Eindruck eines Menschen, der darüber in tiefe Trauer verfällt.
Der blaue Brief aus Brüssel ist keine Überraschung. Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker hatte vor Kurzem schon öffentlich Zweifel daran geäußert, dass Dobrindts Pläne mit dem Diskriminierungsverbot in der EU vereinbar sind. Amtlich tätig werden konnten die Brüsseler Wächter der EU-Grundsätze und -Verträge aber erst, nachdem Bundespräsident Joachim Gauck das Gesetz vorige Woche unterzeichnet hatte.
Brüssel rügt formale Tricks
Verkehrskommissarin Violeta Bulc erläuterte am Donnerstag in Brüssel die „erheblichen Zweifel“, die sie an dem Maut-Plan hat. „Eine Straßennutzungsgebühr ist nur dann EU-rechtskonform, wenn sie nicht aufgrund der Staatsangehörigkeit diskriminiert“, betonte die Slowenin. Genau das solle aber in Deutschland geschehen, weil deutsche Fahrzeugnutzer – und nur diese – die Maut de facto nicht zahlen müssten. Dass die Einführung der Maut und die exakt gleichzeitige Entlastung der Deutschen über die Kfz- Steuer formal in zwei Gesetzen geregelt sind, wertet die Kommission als sehr durchsichtigen formalen Trick. Dobrindts Argumentation, nicht Ausländer würden diskriminiert, sondern im Gegenteil die Deutschen vor einer Doppelbelastung geschützt, verfing in Brüssel nicht.
Zweiter Punkt des Anstoßes sind die Kurzzeitvignetten, die das Gesetz vorsieht. Die seien erstens „typischerweise für ausländische Nutzer vorgesehen“ und zweitens überproportional teuer – auch hier liege Ungleichbehandlung ausländischer EU-Bürger vor, moniert Brüssel. Bulc habe mit Dobrindt vielfach geredet, doch „bedauerlicherweise“ habe der die Bedenken nicht ausräumen können.
Dobrindt verweist am Mittag in Berlin ebenfalls auf die monatelangen Debatten mit Brüssel: „Umso unverständlicher ist jetzt diese Entscheidung.“ Bundesregierung, Bundestag und Bundesrat hätten EU-konforme Gesetze beschlossen, und dazu werde man stehen. „Wir werden eine harte Auseinandersetzung mit Brüssel führen“, kündigte der Bundesverkehrsminister an und fügt hinzu: „Ich bin durchaus verärgert über diesen Brief aus Brüssel.“
Dieser Satz war insofern angezeigt, als man durchaus auf die Idee kommen könnte, dass ihm der Brief sogar ganz recht kommt. Schon bevor die EU-Kommission ihr Verfahren öffentlich gemacht hatte, hat Dobrindt nämlich angekündigt, dass er das Maut-Gesetz aussetzt – und zwar bis zu einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs. „Es gibt keine andere mögliche Entscheidung, die vertretbar wäre“, sagte er anderntags; man könne die Ausschreibung für einen Maut-Betreiber vorbereiten, aber während des EU-Verfahrens nicht betreiben.
Der Koalitionspartner SPD stimmt dem zu: Niemand dürfe Steuergelder in ein Projekt stecken, das am Ende gestoppt werde, erklärt SPD-Fraktionsvize Sören Bartol. Aber der Sozialdemokrat fordert von Dobrindt, dass er nicht gleich von einem Prozess in Luxemburg ausgeht, sondern „durch intensive Gespräche mit der EU-Kommission noch eine Klage ... abwendet“.
Regierung hat zwei Monate Zeit, um zu reagieren
Tatsächlich ist diese Klage keineswegs zwingend. Die Bundesregierung hat jetzt zwei Monate Zeit, auf die Bedenken zu antworten. Ist Kommissarin Bulc damit nicht zufrieden, folgt ein zweiter Brief. Erst der dritte Schritt wäre eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof in Luxemburg. In der Praxis ist dieser letzte Schritt selten, meist einigt sich die Kommission vorher mit der jeweiligen Regierung.
Aber es gibt auch in der Koalition durchaus Leute, die vermuten, dass es Dobrindt in Wahrheit nicht eilig hat. Ein komplettes Vertragsverletzungsverfahren inklusive Gericht kann mehrere Jahre dauern. Die Maut käme also, wenn überhaupt, erst kurz vor der nächsten Bundestagswahl, die erste Abrechnung frühestens nach der Bayern-Wahl 2018. Sollte sich der Verdacht bestätigen, dass das CSU-Projekt womöglich mehr kostet als es einbringt, dann jedenfalls zu einem politisch unbedenklichen Zeitpunkt.
Und bis dahin kann die CSU den Wahlkampfschlager ins nächste Remake schicken. Dobrindt fängt schon an. „Es geht um Gerechtigkeit auf unseren Straßen“, verkündet der Minister. Sein Nachfolger als Generalsekretär, Andreas Scheuer, assistiert: „Damit steigt der Ärger über die Überall-Einmisch-EU nur noch weiter!“
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