Überwachung am Arbeitsplatz: Big Boss is watching you
Wann darf der Arbeitgeber heimlich seine Angestellten filmen? Und wann ist eine Bespitzelung sogar im privaten Bereich zulässig? Darüber will am heutigen Donnerstag das Bundesarbeitsgericht entscheiden.
Sie wartete auf dem Fußweg, besuchte einen Waschsalon und begrüßte einen Hund: Alltagsmomente aus dem Leben einer Sekretärin aus Münster. Nur: Sie wurden festgehalten mit der Kamera eines Privatdetektivs, im Auftrag ihres Arbeitgebers. Der glaubte nämlich nicht an die Arbeitsunfähigkeit seiner Angestellten, wegen derer sie für längere Zeit krank geschrieben war – und schickte deshalb den Detektiv hinterher.
Es ist eine unheimliche Vorstellung, vom Chef bespitzelt zu werden. Trotz großer Überwachungsskandale bei Lidl, Telekom und der Bahn beobachten einige deutsche Betriebe ihre Beschäftigen noch immer verdeckt per Video. Doch wann und in welchem Umfang ist das überhaupt zulässig? „Weil es in Deutschland kein sinnvolles Arbeitnehmerdatenschutzgesetz gibt, wird von Gerichten eine allgemein formulierte Vorschrift im Bundesdatenschutzgesetz herangezogen. Es kommt auf die Auslegung an“, erklärt Marta Böning, Arbeitsrechtsexpertin vom Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB). Auch deshalb wird das Urteil im Fall der Münsteraner Sekretärin mit Spannung erwartet. Sollte das Bundesarbeitsgericht am heutigen Donnerstag der Forderung der Klägerin nach einer Geldentschädigung entsprechen – sie selbst hält 10 500 Euro für angemessen – wäre das zumindest ein Zeichen gegen die Überwachung von Arbeitnehmern im privaten Bereich.
Die Überwachung muss zur Aufklärung einer Straftat dienen
Grundsätzlich gibt es zwei Arten der Videoüberwachung von Arbeitnehmern. Wenn Kameras in öffentlich zugänglichen Räumen angebracht werden, in denen sich etwa auch Kunden aufhalten, muss darauf mit gut sichtbaren Schildern hingewiesen werden. Diese Kameras sollen auch präventiv gegen Ladendiebstähle und Raubüberfälle wirken. Wenn der Arbeitgeber verdeckt einen Bereich überwachen will, der nur Angestellten zugänglich ist – ausgenommen sind Toiletten und Umkleidekabinen –, dann muss das der Aufklärung einer Straftat dienen. „Es geht oft um Diebstahl im Betrieb, fehlendes Material im Warenlager oder Kassenmanipulation im Einzelhandel. Die Überwachung des Betriebsgeländes kommt zuweilen vor, wenn der Arbeitgeber Anlass hat zu glauben, dass Mitarbeiter den Arbeitsplatz verlassen ohne auszustempeln“, erklärt Nathalie Oberthür, Rechtsanwältin für Arbeitsrecht. Auch außerhalb des Betriebs wird überwacht, wenn der Chef der Meinung ist, ein Angestellter mache Urlaub während der Krankheit oder täusche Arbeitsunfähigkeit vor. „Ein Privatdetektiv ist da in der Regel das letzte Mittel, so mancher Arbeitgeber geht auch selbst mal los“, erzählt Oberthür.
Es dürfen keine weniger drastischen Mittel zur Verfügung stehen
Fakt ist aber: Eine rein präventive Videoüberwachung ist nicht zulässig. Es muss bereits eine Straftat stattgefunden haben oder zumindest ein konkreter Verdacht bestehen, damit eine Kamera heimlich installiert werden darf. Diesen Verdacht muss der Arbeitgeber sachlich begründen können. Und:„Ihm dürfen zur Aufklärung des Verbrechens keine weniger einschneidenden Mittel zur Verfügung stehen“, sagt Rechtsanwalt Fenimore Freiherr von Bredow, Vizepräsident des Verbands deutscher Arbeitsrechtsanwälte. Um herauszufinden, ob jemand wirklich arbeitsunfähig ist oder das nur vorspielt, könne der Arbeitgeber statt einer Observierung durch einen Privatdetektiv auch den medizinischen Dienst der Krankenkassen einschalten. Der lädt den Arbeitnehmer zu einer Untersuchung ein und überprüft den Verdacht. „Es muss abgewogen werden, ob die Maßnahme verhältnismäßig ist.“ Also: Ist die Aufklärung wichtiger als das Persönlichkeitsrecht des Beschäftigten? „Um jemanden im privaten Bereich per Video zu überwachen, wie es im Fall der Sekretärin geschehen ist, müsste man schon sehr, sehr gewichtige Gründe haben. Das dürfte bei der Frage einer vorgetäuschten Arbeitsunfähigkeit zweifelhaft sein“, erklärt von Bredow. Zumal die Überwachung an den Mitarbeitern nicht spurlos vorüber geht. Nach Aussagen des Anwalts der Sekretärin ist diese in der Folge mehrere Monate in psychologischer Betreuung gewesen.
"Es wird sehr verantwortungsvoll damit umgegangen"
Besonders oft findet die Überwachung laut Jurist von Bredow im Einzelhandel statt – hier seien die Anreize für Vergehen groß, die Möglichkeiten zu Diebstahl und Manipulation zahlreich. Das Problem sieht auch Heribert Jöris, Geschäftsführer beim Handelsverband Deutschland (HDE). „Jedes Jahr entstehen im Einzelhandel vier Milliarde Euro Inventurdifferenzen. Ein Viertel davon durch Mitarbeiterdiebstähle“, sagt er. Dass die Mitarbeiter durch verdeckte Aufnahmen überwacht würden, geschehe aber nur in Ausnahmefällen und wenn die erforderlichen Voraussetzungen dafür gegeben sind. „Mit dieser Möglichkeit wird sehr verantwortungsvoll umgegangen“, sagt Jöris. Er hofft, dass an den grundsätzlichen Regelungen nichts verändert wird – die Möglichkeit der verdeckten Überwachung sei manchmal das letzte wirksame Mittel. Er weist auch auf die Alternative hin: Wenn der Arbeitgeber nicht herausfinden kann, welcher von zwei Mitarbeitern die Straftat begangen hat, sähe er sich möglicherweise gezwungen, einfach beiden eine Verdachtskündigung auszusprechen.
Der Betriebsrat muss zustimmen
In der Vergangenheit hat es bereits eine Reihe von Urteilen zur Kameraüberwachung am Arbeitsplatz gegeben. Wenn die Gerichte zum Schluss kamen, der Eingriff in das Persönlichkeitsrecht sei unverhältnismäßig, mussten häufig Entschädigungen in Höhe von mehreren tausend Euro gezahlt werden. So hat das Hessische Landesarbeitsgericht in Frankfurt am Main 2011 einen Arbeitgeber zur Zahlung von 7000 Euro verurteilt, weil dieser eine Mitarbeiterin an ihrem Arbeitsplatz permanent mit einer Videokamera überwachte. In einem anderen Fall von 2003 war dagegen einem Arbeitgeber Recht gegeben worden – er hatte eine Mitarbeiterin anhand von Videoaufnahmen der Unterschlagung von Firmengeldern überführt. Die verdeckte Video-Überwachung sei praktisch das einzig verbleibende Mittel gewesen, so das Urteil.
Für einzelne Beschäftigte ist es laut DGB in der Praxis schwierig, gegen die Videoüberwachung vorzugehen. In Unternehmen, in denen es einen Betriebsrat gebe, müsse dieser aber an der Entscheidung zur Kameraüberwachung beteiligt werden. Geschehe das nicht, sei die Überwachungsmaßnahme auch nicht zulässig. Der DGB fordert, die verdeckte Überwachung von Arbeitnehmern in einem künftigen Beschäftigtendatenschutzgesetz generell zu verbieten. Arbeitgeber sollten bei konkreten Verdachtsmomenten schlicht die Polizei einschalten.